Populäre Annahmen zu Gelenkschmerzen widersprechen oft aktuellen Forschungsergebnissen, wobei Fehleinschätzungen wirksamen Therapien im Wege stehen können.
Rund um das Thema Gelenkschmerzen kursieren viele Mythen, falsche Annahmen. Die zum Teil zu pessimistischen Fehleinschätzungen verhindern oft, dass sich Patientinnen und Patienten in Therapie begeben, obwohl ihr Zustand verbessert und ihre Schmerzen reduziert werden könnten.
Es stimmt nicht immer, dass die Gelenkschmerzen umso schlimmer sind, je größer der Gelenkschaden ist
Sehr hartnäckig hält sich die falsche Vorstellung, dass die Schmerzintensität mit dem Grad der anatomischen Gelenkschäden zusammenhängt. Dies stimmt wenn dann nur bei sehr starken Läsionen: die Hälfte der Personen mit radiologisch nachweisbaren Gelenkschädigungen kann schmerzfrei leben, während jeder zweite Patient mit Knieschmerzen ein intaktes Gelenk aufweist. Somit stellt sich eher die Frage, ob es Gelenkveränderungen gibt, die Gelenkschmerzen begünstigen beziehungsweise verursachen.
Verschiedene Studienergebnisse lassen vermuten, dass eine Gelenkspaltverengung eher zu Knieschmerzen führt als Osteophyten, also degenerative, strukturelle Veränderungen des Knochens. So sollen intensive Gelenkschmerzen maßgeblich mit Synovialitis – einer Entzündung der Gelenkinnenhaut – oder Verletzungen des Knochenmarks zusammenhängen, nicht aber mit Osteophyten, Knorpelgeweb-Veränderungen, Knochenzysten, Subluxationen des Meniskus oder Bändereinrissen.
Gelenkschmerzen gehen nicht immer mit Entzündung einher
Wer hinter Gelenkschmerzen automatisch eine Entzündung vermutet, liegt ebenfalls falsch. Entzündungen spielen hauptsächlich bei akuten, nicht aber bei chronischen und mechanischen Schmerzen eine Rolle. Pathophysiologisch gesehen sind Gelenkschmerzen beides: Eine Entzündung der Gelenkinnenhaut und Knochenschmerz, bedingt durch Gelenksspaltverengung, die den lokalen Druck verstärkt.
Laut einer älteren Studie, kann eine Behandlung mit Zoldedronsäure – in der Dosierung 5 mg i.v. – den Knochenschmerz um 15 Punkte auf der hunderteiligen VAS-Skala reduzieren. Die Knochenmarksverletzungen gehen um 37 Prozent zurück. Bei Schmerzen, die einer Entzündung der Gelenkinnenhaut geschuldet sind, entsteht hilft eine Behandlung mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR). Auch die Behandlung von Knochenmarksödemen kann den Schmerz lindern.
Gelenkschmerzen kommen nicht immer vom Gelenk
Scheinbar naheliegend, aber dennoch ein Irrtum ist die Annahme, dass Gelenkschmerzen von Gelenken kommen muss. Gelenkschmerz wird auch durch soziale Einflüsse, Schmerzverhalten, Gefühle, Gedanken, Schmerzempfinden und Schäden im nozizeptiven Gewebe beeinflusst.
Wie sehr Schmerz letztlich zur Kopfsache werden kann, demonstriert er am Beispiel Arthrose: Spontaner Arthrose-Schmerz zeigt sich im Gehirn im medialen präfrontalen Kortex und wirkt sich auf den Gemütszustand aus. Der durch einen Stimulus hervorgerufene Schmerz zeigt sich in den Gehirnregionen, die somatosensorisch nozizeptive Prozesse bearbeiten. Im Zentralnervensystem führt Gelenkschmerz zur Sensibilisierung des Gehirns und dadurch zur lokalen Überempfindlichkeit.
Gelenkschmerzen müssen im Alter nicht sein und sind behandelbar
80 Prozent der Arthrose-Patienten gehören zur Altersklasse 50+. Alter alleine entscheidet nicht darüber, ob und wie stark man unter Gelenkschmerzen leidet. Für die Schmerzintensität bei Arthrose sind neben dem Alter Übergewicht und lokale Verletzungen bestimmend. Menschen mit dem Genotyp Ile585Val TRPV1 haben eine geringere Schmerzempfindlichkeit im unteren Teil des Körpers und somit ein deutlich verringertes Risiko für schmerzhafter Kniearthrose im Knie.
Bei entzündlichen Gelenkerkrankungen kann das Geschlecht über den Schmerzlevel entscheiden: Frauen leiden stärker als Männer darunter. Auch Hormone können an Gelenkschmerzen beteiligt sein: Wird Östrogen blockiert, etwa bei einer Brustkrebsbehandlung, kann es rasch zu entzündlichen Veränderungen in den Hand- und Fußgelenken kommen.
Auch wenn Schmerzfreiheit in manchen Fällen kein realistisches Therapieziel ist: Schmerzen müssen nicht ohne Hoffnung auf Erleichterung hingenommen werden. Selbst intensiver Schmerz ist nicht gleichbedeutend mit ernsthaften Schädigungen des Gelenks.
Gelenkschmerzen sind sehr heterogen, daher müssen die Schmerzphänotypen genau analysiert werden, um eine geeignete Behandlung einleiten zu können. In jedem Fall sollte das Schmerzmanagement aus einer Kombination aus medikamentösen und nicht-medikamentösen Zugängen bestehen, empfehlen Schmerzmediziner.
Quelle: EFIC 2016 – Topical Symposium on Acute and Chronic Joint Pain: Statement Prof. Serge Perrot