Samstag, April 27, 2024

Ärztinnen haben oft andere Ansprüche an Arbeitsbedingungen

Die Arbeitsbedingungen werden sich ändern müssen, wenn man nicht auf das Potential der Ärztinnen verzichten möchte, was man sich bei zunehmendem Ärztemangel nicht leisten kann.

Die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich, die Mehrzahl der Menschen mit tertiärem Bildungsabschluss sind mittlerweile Frauen, mehr als die Hälfte der Medizinstudierenden sind junge Frauen. Sowohl dort, wo Schulnoten, als auch dort, wo Eignungstests über die Aufnahme zum Medizinstudium entscheiden, sind die Frauen in der Überzahl. Letzteres aber vor allem, weil sich deutlich mehr Frauen als Männer für Medizin interessieren. Die Medizin wird also weiblich, oder? Wenn man sich die Zahl der Professorinnen, Primaria oder Rektorinnen anschaut, so ergibt sich allerdings nach wie vor ein anderes Bild. Die Führungspositionen sind immer noch überwiegend in männlicher Hand, Tradition und hierarchische Strukturen sind in der Medizin weiter maßgeblich und primär männlich. Und das, obwohl mehr Frauen das Medizinstudium abschließen und zunächst im Drittmittelbereich und in befristeten Dienstverträgen angestellt sind.

Die “leaky pipeline“ beginnt bei Habilitationen, unbefristeten Dienstverträgen/Karrierestellen und ersten Leitungsfunktionen, also am Beginn der eigentlichen akademischen Karriere. Das beruht unter anderem darauf, dass Frauen immer noch oft unbemerkt im Hintergrund zuarbeiten, ohne Erfolge für ihre Arbeit zu beanspruchen und Selbstbewusstsein und männliche Machtmechanismen nicht erlernt haben. Außerdem fehlen noch „role models“. Kinder sind immer noch oft ein Karrierekiller für Frauen. Während erfolgreiche Männer in Führungspositionen meist mehrere Kinder haben, ist das bei Frauen in Leitungspositionen selten. Bei gleicher beruflicher Qualifikation und Position haben Frauen häufig weiter den Großteil der Kinderbetreuung und Familienaufgaben zu absolvieren. Sie leiden vermehrt unter Doppelbelastung, Arbeitsstress und Gewissenskonflikten. In Ländern, in denen ausreichend Kinderbetreuungsplätze vorhanden sind und volle Berufstätigkeit von Frauen und Müttern gesellschaftlich unterstützt werden, sind auch mehr Frauen und Mütter in Top-Positionen zu finden. In Führungspositionen sind Frauen in der akademischen Medizin den Männern in Bezug auf Anzahl der Publikationen und dem Hirsch-Index jedenfalls ebenbürtig.

Zudem findet man in der Wissenschaft nach wie vor Hinweise auf Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei Akzeptanz von Publikationen bei Erstautorschaften, Vergabe von Grants bei Einreicherinnen sowie in der Besetzung von Editorial Boards und Reviewer-Komitees renommierter Zeitschriften und Fördergesellschaften. Trotz Bestrebungen zu Gender Mainstreaming mit Mentoring-Programmen und Chancengleichheit in der Medizin ist eine akademische Karriere für Frauen meist schwerer. An den meisten medizinischen Universitäten ist die Zahl der weiblichen Professorinnen daher stabil um die 20 Prozent, die Rektoratsleitung überwiegend männlich.

Attraktivere Arbeitsbedingungen für Ärztinnen

Außerdem haben Ärztinnen oft andere Ansprüche bezüglich der Work-Life-Balance und der Bereitschaft zu Vollzeitarbeit, Nacht- und Wochenenddiensten. Die Arbeitsbedingungen werden sich ändern müssen, wenn man nicht auf das Potential der Ärztinnen verzichten möchte. Und das wird man sich bei zunehmendem Ärztemangel nicht leisten können. Attraktivere Arbeitsbedingungen und mehr Flexibilität werden in der Medizin der Zukunft nötig sein, für den männlichen und weiblichen Nachwuchs. Frauen in der Medizin sind unverzichtbar, noch dazu, wo Frauen sich durchschnittlich mehr für Prävention engagieren, mehr Zeit und Empathie für die PatientInnen aufbringen und teilweise ein besseres PatientInnen-Management aufweisen.

Daneben tragen soziale und biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen auch zur gesundheitlichen Ungleichheit von Männern und Frauen bei, was in der Medizin immer noch zu wenig beachtet wird. Eine gelebte Chancengleichheit von Frauen im gesundheitlichen und beruflichen Alltag bedeutet eine Weiterentwicklung der Gesellschaft an sich. „Cherchez la femme“ sollte also in der Medizin der Zukunft in allen Bereichen und Funktionen nicht nötig sein!

Quelle:

Professor Dr. med. Alexandra Kautzky-Willer
Professor Dr. med. Alexandra Kautzky-Willer

Statement »Erfolgreich an der Universität und in der Wissenschaft: Ist es für Frauen schwerer?« von Professor Dr. med. Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender Medicine, Leiterin der Diabetesambulanz, Lipidambulanz und Adipositasambulanz an der Klinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Wien beim 123. Internistenkongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM)

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