Freitag, April 26, 2024

Der Hippocampus als Konfliktlöser

Der Hippocampus als Konfliktlöser und Entscheidungsinstanz ist vielseitig. Die auch als „Gedächtnis-Region“ bezeichnete Teil des Gehirns ist auch am Lösen von Konflikten beteiligt.

 

Nicht nur für das Langzeitgedächtnis ist der Hippocampus im Schläfenlappen des Gehirns verantwortlich. Forscher zeigten nun erstmals, dass der Hippocampus als Konfliktlöser auch am schnellen und erfolgreichen Lösen von Konflikten beteiligt ist. Das Team um Prof. Dr. Nikolai Axmacher von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) berichtet gemeinsam mit Kollegen vom Universitätsklinikum Bonn sowie aus Aachen und Birmingham in der Zeitschrift „Current Biology“.

 

Der Hippocampus als Konfliktlöser muss im Alltag permanent kritische Entscheidungen treffen

Im Alltag sind Menschen ständig mit Entscheidungskonflikten konfrontiert, vor allem dann, wenn sie eine normalerweise sinnvolle Handlung unterdrücken müssen. Ein Beispiel: Wenn die Fußgängerampel auf Grün springt, würde ein Passant üblicherweise losgehen. Wenn aber gleichzeitig ein Auto angerast kommt, bleibt er in diesem Fall besser stehen. Im Experiment wählten die Forscher eine weniger bedrohliche Situation. Probanden hörten die Wörter „hoch“ oder „tief“ in einer hohen oder einer tiefen Stimmlage und mussten – unabhängig von der Wortbedeutung – angeben, in welcher Tonhöhe der Sprecher die Begriffe sagte. Wenn Stimmlage und Wortbedeutung nicht zusammenpassen, erzeugt das einen Konflikt: Die Teilnehmer antworten langsamer und machen mehr Fehler.

Der Hippocampus ist besonders aktiv bei schnellen und erfolgreichen Entscheidungen. © RUB, Sabine Bierstedt
Der Hippocampus ist besonders aktiv bei schnellen und erfolgreichen Entscheidungen. © RUB, Sabine Bierstedt

Ergebnisse mit zwei Messmethoden bestätigt

Gleich mit zwei Messmethoden zeigte das Team, dass der Hippocampus in solch widersprüchlichen Situationen aktiv ist, und zwar besonders stark, wenn Menschen Konflikte schnell und erfolgreich lösen. Nikolai Axmacher vom Institut für Kognitive Neurowissenschaft und Kollegen analysierten die Hirnaktivität bei gesunden Teilnehmern mit der funktionellen Magnetresonanztomografie. Die gleichen Ergebnisse erzielten sie auch bei Epilepsiepatienten, denen zur Operationsplanung EEG-Elektroden in den Hippocampus implantiert worden waren; so konnten die Wissenschaftler die Aktivität dieser Hirnregion direkt messen.

 

Gedächtnissystem könnte aus gelösten Konflikten lernen

Da der Hippocampus entscheidend für das Gedächtnis ist, spekulieren die Forscher über seine Rolle bei der Konfliktlösung: „Unsere Daten zeigen zunächst eine komplett neue Aufgabe des Hippocampus – das Verarbeiten von Handlungskonflikten“, sagt Carina Oehrn von der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. „Die Frage nach der Interaktion dieser Funktion mit Gedächtnisprozessen werden wir jedoch erst durch weitere Untersuchungen klären können“. „Vielleicht wird das Gedächtnissystem besonders aktiv, wenn es gelingt, einen Konflikt zu lösen“, spekuliert Nikolai Axmacher. „Aus dauerhaft ungelösten Konflikten kann man keine hilfreichen Lehren für die Zukunft ziehen. Nach unserem Modell arbeitet das Gedächtnis wie ein Filter. Gelöste Konflikte sprechen es besonders an, ungelöste Widersprüche oder Standardsituationen hingegen nicht. Diese These müssen wir aber in weiteren Studien überprüfen.“

 

Der Hippocampus als Entscheidungsinstanz

Vor einigen Jahren konnten Forscher des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg und der Universität Oxford zeigen, dass NMDA-Rezeptoren im Hippocampus des Gehirns bei komplexen Orientierungsaufgaben es möglich machen, die richtige Entscheidung zu treffen.

Der Hippocampus ist Teil des Vorderhirns und verarbeitet eine Vielzahl von Informationen aus verschiedensten Hirnregionen. Die eingehenden Signale werden von Körnerzellen im Gyrus dentatus zu Pyramidenzellen in der CA3-Region und von diesen zu Pyramidenzellen in der CA1-Rgion weitergeleitet. An den am Signalfluss beteiligten Synapsen können NMDA-Rezeptoren die Übertragungseffizienz des Glutamat Botenstoffs optimieren oder abschwächen.

 

Quelle: C.R. Oehrn, C. Baumann, J. Fell, H. Lee, H. Kessler, U. Habel, S. Hanslmayr, N. Axmacher (2015): Human hippocampal dynamics during response conflict, Current Biology, DOI: 10.1016/j.cub.2015.07.032

David M. Bannerman, Thorsten Bus, Amy Taylor, David J. Sanderson, Inna Schwarz, Vidar Jensen, Øivind Hvalby, J. Nicholas P. Rawlins, Peter H. Seeburg & Rolf Sprengel
Dissecting spatial knowledge from spatial choice by hippocampal NMDA receptor deletion
Nature Neuroscience, 15. Juli 2012

Related Articles

Aktuell

Vitamin D-Mangel bei chronischer Niereninsuffizienz

Die Behandlung von Vitamin D-Mangel spielt bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz eine bedeutende Rolle. Vitamin D-Mangel ist eine häufige Komplikation bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz,...
- Advertisement -

Latest Articles

Hülsenfrüchte liefern hochwertiges Eiweiß und qualitativ gute Fette

Hülsenfrüchte sind gesunde Energielieferanten und haben mit ihrem hochwertigen Eiweiß und guten Fetten einen großen Nutzen für die Ernährung. Hülsenfrüchte, einschließlich Linsen, Erbsen und Bohnen,...

Resilienz: die Kunst, psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken

Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandsfähigkeit, die uns auch ermöglicht, aus Krisen zu lernen und daraus gestärkt hervorzugehen. In einer idealen Welt wären wir vor Schicksalsschlägen,...

Zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom kultivieren

Wichtig zur Klärung der Metastasierung: Forscher gelang es, zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom zu kultivieren. Die Forschung zum kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC), einer besonders aggressiven Form...