Sonntag, September 29, 2024

Typ-1-Diabetes bei Kindern und ­Jugendlichen: Prognose verbessern

Der Grundstein für eine bessere Prognose von Typ-1-Diabetes wird mit einer optimalen Stoffwechseleinstellung bei Kindern und Jugendlichen gelegt.

Unter dem Strich ist Typ-1-Diabetes bei Kindern und ­Jugendlichen die häufigste Form des Diabetes mellitus. Typ-1-Diabetes kann in jedem Alter auftreten, am häufigsten ist ein Krankheitsbeginn aber in der Pubertät, wobei in den letzten Jahren die Erkrankung auch zunehmend bei jüngeren Kindern diagnostiziert wird. Wichtig für die Prognose bei Kindern mit Typ-1-Diabetes ist jedenfalls die Einstellung des Stoffwechsels. Wesentlich seltener können im Kindes- und Jugendalter auch andere Diabetesformen wie der MODY-Diabetes oder der Typ-2-Diabetes vorkommen.

 

Klinik und Diagnose

Bei Kindern mit Typ-1-Diabetes fallen erste Anzeichen meist schon einige Zeit, etwa 1 bis 2 Wochen, vor der eigentlichen Diagnose auf. Typische Symptome sind übermäßiger Durst, Polyurie (auch sekundäres Einnässen), Gewichtsabnahme, Leistungsschwäche, ev. Verhaltensauffälligkeiten. Mitunter auch häufige bakterielle und Pilzinfektionen. Sehr kleine Kinder, bei denen erste Symptome oft nicht ausreichend wahrgenommen werden, imponieren mitunter erst durch Symptome einer Ketoazidose (Apathie, Azidoseatmung etc.).

Die Diagnose wird anhand der Anamnese mit Bestätigung durch eine Harnuntersuchung (Glukose, Keton) und eine Blutzuckerbestimmung (BZ > 200 mg/dl) gestellt. Ein Glukosetoleranztest mit 1,75g Glukose/kg KG ist routinemäßig nicht erforderlich, kann aber in Einzelfällen indiziert sein, z.B. bei bekannter familiärer Dis­position und anamnestischem Verdacht.

Zur differentialdiagnostischen ­Abgrenzung der selteneren Diabetes­formen sind die Familienanamnese aber auch die Bestimmung B-Zellspezifischer Autoantikörper und des C-Peptid-Spiegels oder auch molekulargenetische Untersuchungen (MODY-Genetk) hilfreich (Tabelle 1).

Typ-I-Diabetes-Tab1

Allgemeines zur Therapie Typ-1-Diabetes bei Kindern und ­Jugendlichen

Die Wahl der Therapieform erfolgt individuell in Abhängigkeit von Alter und sozialem Umfeld des Kindes. Die konventionelle Einstellung (Insulin und Broteinheiten in Menge und Zeit mehr oder weniger fix vorgegeben) hat sich als relativ einfache Therapie für Kinder bewährt, die ohnehin sehr regelmäßig leben (bis zum Volksschulalter). Der Vorteil liegt für Kinder, die noch nicht selbst spritzen können, darin, dass die Insulingabe oft nur zweimal am Tag erfolgen muss. Während untertags nur Esszeiten und BE eingehalten und Blutzucker kontrolliert werden müssen.


Das Prinzip der Insulintherapie

  • Unterdrückung der hepatischen Glucoseproduktion durch einen kontinuierlichen Insulinspiegel über 24 Stunden
  • Kompensation des postprandialen Blutzuckeranstiegs durch Erhöhung des Insulinspiegels nach den Hauptmahlzeiten

Möglichkeiten der Insulintherapie

Konventionell – Anpassung der Nahrungszufuhr (Menge und Verteilung) an die Insulinwirkung

Funktionell (Basis-Bolus, intensiviert) l Anpassung der Insulindosierung an die Nahrungszufuhr, getrennte Substitution des basalen und des prandialen Insulinbedarfs

Tabelle 2


Die Vorteile der intensivierten Therapie liegen in der flexibel an Zeiten und Menge der Mahlzeiten anzupassenden Insulingabe – um den Preis, dass zu jeder Mahlzeit gepritzt werden muss. Die intensivierte Therapie wird in der Regel von Jugendlichen von Beginn an gewählt. Sie ist auch bei Kindern unter 2 Jahren die bevorzugte Therapieform, weil sehr junge Kinder noch schwer an ein fixes Essschema zu gewöhnen sind.

 

Optimale ­Stoffwechselkontrolle

Ziel der Therapie ist auch für das Kindes- und Jugendalter eine möglichst nahe normoglykämische Führung des Patienten unter Vermeidung häufiger schwerer Hypoglykämien (Tab 3). Dies ist bei Kindern jedoch schwieriger als bei Erwachsenen, sodass der HbA1c-Zielwert von < 7,5% wahrscheinlich nicht für alle erreichbar ist. Insbesondere bei jüngeren Kindern muss oft ein HbA1c von 8% toleriert werden.


Ziel der Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes

  • Vermeidung akuter Stoffwechsel- Entgleisungen
  • Reduktion der diabetesbedingten Folgeerkrankungen
  • Normale körperliche und psychosoziale Entwicklung

Metabolisches Ziel der Insulintherapie bei Kindern und Jugendlichen

  • Das individuell niedrigste HbA1c mit der geringsten Inzidenz von schweren Hypoglykämien
  • Blutzucker: präprandial 80- 120mg/dl und postprandial (60-120min) 140-180mg/dl l HbA1c: 6 – 7.5 (8)%

Tabelle 3


Eine 2001 publizierte Multicenter-Studie, an der 21 Zentren in 17 Ländern teilnahmen, ergab einen HbA1c-Mittelwert von 8,62 %. Allerdings bei einer sehr großen Streuung zwischen den einzelnen Diabeteszentren. Ob hinsichtlich der Prognose Unterschiede in den Therapiemodalitäten bestehen, ist nicht ganz geklärt. Entscheidend für die Vermeidung von Spätfolgen und Langzeitproblemen ist primär die Qualität der erreichten metabolischen Kontrolle. Es gibt Hinweise aus der Folgeuntersuchung der DCCT-Studie (EDIC), dass eine möglichst frühe nahe normoglykämische Diabeteseinstellung auch noch nach Jahren einen positiven Effekt hinsichtlich der Progression der Spätfolgen zeigt.

 

Schulung

Große Bedeutung kommt im Rahmen der Diabetestherapie der Schulung des Kindes und seiner Eltern zu. In strukturierter Form erlernt das Kind von einem Team – bestehend aus Diät­assistenten, Schulungsschwestern, Psychologen und Arzt – den möglichst selbständigen, altersangepassten Umgang mit der Erkrankung. Blutzuckerselbstmessungen erlernen oft schon Kindergartenkinder, ab dem Schulalter sollte man Kinder zudem zur Selbstinjektion des Insulins motivieren.

 

Kontrolluntersuchungen

Nach der Stabilisierung sollte das Kind etwa alle 3 Monate im Diabeteszentrum ambulant kontrolliert werden. Folgende Untersuchungen sollten erfolgen:

  • Regelmäßig: HbA1c, Blutdruck
  • 1x jährlich Kontrolle der Albuminausscheidung (Mikroalbuminurie) ab einer Krankheitsdauer von etwa 5 Jahren bzw. in der Pubertät
  • 1x jährlich: Ausschluss von Begleiterkrankungen (Autoimmunthyreotitis, Zöliakie)
  • ab einer Krankheitsdauer von etwa 5 Jahren oder wenn Kind >11 J.:1x jährlich augenärztliche Kontrolle (Retinopathie)

 

Prognose bei Kindern mit Typ-1-Diabetes

Jedenfalls ist das erhöhte Risiko für Spätkomplikationen (Nephropathie, – oft silent verlaufende – Myokardinfarkte) nach einer Krankheitsdauer von etwa 25 Jahren ­bekannt. Einzelne Studien be­legen jedoch eine Abnahme der Prävalenz von Spätkomplika­tionen bei nach 1970 erkrankten und damit nach derzeit gültigen Standards behandelten Patienten. Ob das tatsächlich für alle Populationen gilt, ist Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion.

Der Grundstein für eine bessere Prognose bei Kindern mit Typ-1-Diabetes wird jedoch sicher in der Kinderheilkunde gelegt. Ein kritischer Zeitpunkt hinsichtlich der kontinuierlichen Betreuung liegt schließlich in der ­Pubertät. Und zwar, wenn Jugendliche der pädiatrischen Betreuung entwachsen, dann jedoch oft nicht in die internistische Betreuung wechseln.


Literatur:

Saßmann H, Kim-Dorner SJ, Berndt V, Biester T, Dehn-Hindenberg A, Heidtmann B, Jorch N, Lilienthal E, Nellen-Hellmuth N, Neu A, Schaaf K, Ziegler R, Lange K. Understanding Daily, Emotional, and Physical Burdens and Needs of Parents Caring for Children with Type 1 Diabetes. J Diabetes Res. 2022 Dec 13;2022:9604115. doi: 10.1155/2022/9604115. PMID: 36561282; PMCID: PMC9767735.

Nevo-Shenker M, Phillip M, Nimri R, Shalitin S. Type 1 diabetes mellitus management in young children. Implementation of current technologies. Pediatr Res. 2020 Mar;87(4):624-629. doi: 10.1038/s41390-019-0665-4. Epub 2019 Nov 12. PMID: 31715623.

Diabetes Canada Clinical Practice Guidelines Expert Committee; Wherrett DK, Ho J, Huot C, Legault L, Nakhla M, Rosolowsky E. Type 1 Diabetes in Children and Adolescents. Can J Diabetes. 2018 Apr;42 Suppl 1:S234-S246. doi: 10.1016/j.jcjd.2017.10.036. PMID: 29650103.


Quellen:

Typ-I-Diabetes bei Kindern und ­Jugendlichen. Univ.-Prof. Dr. Edith Schober. MEDMIX 4/2006.

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