Sonntag, September 29, 2024

Ökonomisierung der Medizin am Beispiel Endoprothetik

Zur Ökonomisierung der Medizin: Aktuelle Gesetzgebung und wirtschaftlicher Druck beeinflussen die Patientenversorgung in der Endoprothetik.

Zunächst zum Thema Behandlungs-Ökonomisierung: Die Süddeutsche Zeitung titelte am 24. Januar 2012 „Rettet die Medizin vor der Ökonomie“. Es wird kritisiert, dass von Kunden von medizinischen Leistungserbringern gesprochen wird und ständig Reformen durchgeführt werden. Die „Zeit“ formuliert einen Artikel zum Thema „Patienten sind wichtiger als Profit“. Der Eid der Mediziner werde in Deutschlands Krankenhäusern jeden Tag tausendfach gebrochen …

Ebenso warnen Harvard-Mediziner vor der Ökonomisierung der Medizin. Sie reden wiederum von „Fabriken von industrialisierter Krankenhausbehandlung“. Man spricht davon, dass Medizin beliebig und austauschbar und Personal letztlich nur als Kostenfaktor gesehen wird.

Der Hartmannbund sieht seine Einstellung durch den Ethikrat bestätigt und tituliert: „Ökonomischer Druck an Kliniken ist eine Gefahr für Ärzte und Patienten.“ Man fordert, dass Geschäftsführer medizinische und pflegerische Fachkompetenz haben sollten, und konstatiert, dass ökonomische Entscheidungen die Situation von Ärzten und Pflegern im Sinne der schlechteren Patientenversorgung ins Unzumutbare verschlechtern.

Betrachtet man die Krankenhausstatistik der letzten Jahre, so haben wir bei kontinuierlicher Verweildauerreduktion und nur leichtem Rückgang von aufgestellten Betten eine deutliche Fallzahlsteigerung zu verzeichnen. Neben der Zunahme an Fällen und Belastungen im Krankenhaus, nicht zuletzt möglicherweise auch durch Personalreduktion, wird Qualität großgeschrieben, was sehr zu begrüßen ist. Gerade auch im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes wird dies noch einmal gefordert. Das heißt, wir sehen uns im positiven Sinne konfrontiert, zum Beispiel mit dem Gesundheitsnavigator der AOK, mit der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung sowie EndoCert und EPRD.

Die Einführung der Fallpauschalen hat zu einem dramatischen Paradigmenwechsel in der stationären Krankenhausversorgung geführt. Medizinische Entscheidungskriterien und alle Arten der zuwendungsorientierten Behandlungen verlieren zunehmend an Bedeutung zugunsten des geforderten betriebswirtschaftlichen Erfolgs. Der Ethikrat hat sich am 7. April 2016 zu diesem Thema in seinem Arbeitspapier „Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – zur normativen Funktion ihrer Bewertung“ geäußert. Man hält hier fest, dass betriebswirtschaftliche Parameter eine zunehmende Bedeutung gewinnen und dass medizinische Abläufe eine ökonomische Überforderung erfahren. DRGs würden Fehlanreize setzen. So zum Beispiel vorzeitige Entlassung oder Verlegung, die durch rückläufige, einnahmenbedingte Anpassungen des Personalschlüssels die Patient Care beeinflussen und alle am Patienten arbeitenden Menschen demotivieren. Der Ethikrat konstatiert, dass das Gesundheitssystem fehlgeleitet und unterfinanziert sei. Es ist eine Abwärtsspirale im Krankenhaus zu sehen, der ökonomische Druck steigt, damit steigt die Arbeitsbelastung, die Arbeitszufriedenheit sinkt, Motivation sinkt, Stress steigt, die Rate an Burnouts und Krankenstand steigt. Letztlich kommt es langfristig hierdurch zu einer Verringerung der Qualität in der Versorgung, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit sinken. Letztlich ist dies medizinisch, ethisch und ökonomisch untragbar und erfordert einen zwingenden Handlungsbedarf.

In Deutschland wurden die DRGs 2002 eingeführt. Kein Land der Welt hat mit dieser Radikalität die Finanzierungsgrundlagen seiner Krankenhäuser umgekrempelt. Viele Länder haben DRGs, aber nicht als Preissystem. Kaum ein anderes Land ist mit dem ursprünglichen Ziel der Kostensenkung so grandios gescheitert wie Deutschland. Nach den DRGs gab es die höchsten Steigerungsraten seit den 80er-Jahren, nicht zuletzt auch durch – oder dadurch bedingt – die explosionsartige Zunahme der Privatisierung im Krankenhauswesen.

Das Krankenhaus wird so zum Wirtschaftsbetrieb mit notwendigen Effizienzsteigerungen, das heißt, es müssen möglichst viele Patienten so kurz wie möglich behandelt werden, um viele Fallpauschalen zu generieren. Abteilungen, die Behandlungen mit möglichst lukrativen Fallpauschalen anbieten, müssen gefördert und ausgebaut werden. Hierzu später mehr. Die neue Berufsgruppe der DRG-Codierer oder auch Codier-Assistenten achtet meist unter Weisung der Geschäftsführer auf die Dokumentation der erlös- und abrechnungsrelevanten Tätigkeiten.

Ziel ist somit in vielen Fällen die Kostenbelegoptimierung zum Zweck der Fallzahlsteigerung. Hierzu bedarf es eines schlagkräftigen Medizincontrollings. Die Aufstockung von Verwaltungsstellen geht häufig zulasten des ärztlichen und Pflegedienstes. Verlierer des Systems sind Patienten, Ärzte und Pfleger sowie die Mitarbeiter des Krankenhauses. Patienten als Hilfsbedürftige verstehen dieses System häufig nicht. Krankenhäuser haben insbesondere dann, wenn es Fachkliniken, so zum Beispiel für Orthopädie, sind, keine Kompensationsmöglichkeit. Das heißt, der Neoliberalismus hat das Feld für eine vollständige Privatisierung und Ökonomisierung des deutschen Gesundheitssystems bereitet.

Es wird viel über Mengenentwicklung des endoprothetischen Ersatzes in Deutschland geredet. Aus diesem Grund haben wir das „Weißbuch Endoprothetik“ mitgestaltet und konnten belegen, dass seit 2009 die Zahlen nur noch durch demografische Entwicklungen steigen und auch dass Deutschland nicht der Weltmeister der Endoprothetik ist, wie dies so gerne kolportiert wird.

Das Krankenhausstrukturgesetz hat es den entsprechenden Gremien ermöglicht, dass diese fallzahlanfälligen Leistungen über die normale InEK-Kalkulation hinaus abstrafen dürfen. In diesem Jahr waren hier 24 kardiologische und orthopädische Leistungen berücksichtigt. Letztlich sind nur die Hüftendoprothetik und einige Wirbelsäulenoperationen ausgeschaut worden. Dies führt dazu, dass in den nächsten zwei Jahren diese Leistungen um 12,4 Prozent abgewertet werden, was aber auch letztlich die Gefahr in sich birgt, dass der Patient hier nicht mehr optimal versorgt werden kann. Denn mit einer solch radikal reduzierten Fallpauschale ist eine Hüftendoprothese nicht mehr kostendeckend zu erbringen, was möglicherweise die Gefahr der Qualitätseinbuße noch weiter verstärkt.

Parallel dazu werden in diesen Kalkulationen des InEK jährlich auch die knieendoprothetischen Eingriffe deutlich reduziert, sodass auch hier die Umsetzung für die Krankenhäuser schwerfällt. Einerseits fordert die Politik hoch spezialisierte Fachkliniken, die diese Entwicklung aber nicht mehr lange kompensieren können. Die Gelder für die DRG-Abwertungen werden zwar zu patientenzugewandten Leistungen umgewidmet, so zum Beispiel zugunsten internistischer Kliniken. In einer Fachklinik sind solche Kliniken aber nicht existent, somit kommt es hierüber langfristig zu gravierenden Problemen.

Somit muss man festhalten, dass das DRG-System derzeit dazu benutzt wird, die aus Kostenträgersicht möglicherweise gewollte Rationierung und Priorisierung umzusetzen. Viele Kliniken werden der letzten Wiese beraubt. Die Folgen sind dramatisch, ein Handeln ist unverzichtbar.

Professor Dr. med. Karl-Dieter Heller
Professor Dr. med. Karl-Dieter Heller

Quelle:

Statement » Ökonomisierung der Medizin: Wie aktuelle Gesetzgebung und wirtschaftlicher Druck die Patientenversorgung in der Endoprothetik beeinflussen « von Professor Dr. med. Karl-Dieter Heller, Generalsekretär der AE, Chefarzt der Orthopädischen Klinik Braunschweig anlässlich des Gesundheitspolitischen Symposiums „Patientenversorgung durch Endoprothetik – Analyse eines Gruppenerfolges“ und des Jahreskongresses der AE in Berlin, Dezember 2016.

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