Sonntag, Oktober 6, 2024

Mit individualisierter Medizin einen Gehirntumor behandeln

Bei Gehirntumor konnte der große Durchbruch in der Behandlung noch nicht erzielt werden. Jede Erkrankung ist individuell, wodurch nur maßgeschneiderte Therapien auch bei Gehirntumor wirklich erfolgreich sein können.

Wir wissen heutzutage immer mehr über einen Gehirntumor Bescheid. Vor etwa 3 Jahrzehnten waren nur wenige Formen bekannt, gegenwärtig kennen wir rund 130 verschiedene, wovon jede  individuell und durch ein eigenes Wachstum charakterisiert ist – und jede ist anders zu behandeln.

„Gehirntumor und seine Behandlung ist ein Paradebeispiel für individualisierte Medizin“, betont Prim. Priv.-Doz. Dr. Stefan Oberndorfer  vom Landeskrankenhaus St. Pölten. Der Neuro-Onkologe ist Mitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses der „European Association of Neuro Oncology“ (EANO), deren Jahreskongress derzeit vom 9. bis zum 12. Oktober in Turin stattfindet. Prim. Oberndorfer bedauert in einem Zug, dass viele neue Erkenntnissen – zum Beispiel über Genetik, Tumorimmunologie, Gefäßneubildung und Ausbreitung von Gehirntumoren – „noch nicht in einen signifikanten therapeutischen Erfolg umgesetzt werden.“

Vielfalt bei Gehirntumor erschwert Entwicklung neuer Wirkstoffe

Die Vielfalt bei Gehirntumor erschwert die Erforschung neuer Arzneien. Die Wirkung eines Medikaments wird grundsätzlich in aufwändigen Zulassungsstudien untersucht. Weil jeder Gehirtumor aber individuell anders ist, kann es dazu kommen, dass ein Wirkstoff in manchen Fällen sehr gut, in manchen Fällen gar nicht wirkt, was wiederum dazu führt, dass es im Durchschnitt kein signifikantes Ergebnis beim Gesamtüberleben gibt.

Aufgrund sehr hoher Entwicklungskosten verzichtet man seitens der Industrie aus wirtschaftlichen Gründen aber häufig auf das Erforschen und Entwickeln von Substanzen, die nur bei einer sehr kleinen Patientengruppe wirksam sind.

MGMT-Metylierungsstatus beim Glioblastom

Gehirntumore zählen zu den eher seltenen Erkrankungen des Gehirns. Die häufigsten Tumore, die aus hirneigenem Gewebe hervorgehen, sind das in der Regel gutartige Meningeom und das aggressive, rasch wachsende Glioblastom, an dem in Österreich jährlich etwa 400 Menschen neu erkranken.

Bei letzterem zeichnet sich gegenwärtig eine Entwicklung zu einer genaueren molekularbiologischen Charakterisierung mit potentiellen zielgerichteten Therapiekonsequenzen ab, berichtet Prim. Oberndorfer: „Ein aktuelles Beispiel, das sich in zukünftigen Leitlinien wiederfinden könnte, ist der so genannte MGMT-Metylierungsstatus bei älteren Glioblastom-Patienten. Er wird für die Therapieentscheidung – alleinige Chemotherapie bzw. alleinige Strahlentherapie – bereits in vielen Zentren herangezogen.“

Zukünftig könnten Glioblastom-Patienten mit so genanntem „nicht metyliertem MGMT-Promotor“ für eine zielgerichtete Therapie mit dem humanisierten monoklonalen Antikörper Bevacizumab in Kombination mit Standard-Radiochemotherapie in Frage kommen, so Prim. Oberndorfer.

Verhinderung von neurologischen Schädigung

Im Bereich der zerebralen Metastasierung nimmt das Gehirn im Vergleich zum Befall anderer Organen eine Sonderstellung ein: Es ist einerseits durch eine Bluthirnschranke vor einer Vielzahl von systemischen Antitumortherapien geschützt. Andererseits verursachen zerebrale Metastasen je nach Lokalisation unterschiedliche neurologische Ausfälle, die sich auf die  Lebensqualität der Patienten auswirken. Prim. Oberndorfer: „Hier gilt es in besonderem Maße, sowohl bei systemischen Therapieansätzen als auch lokalen Therapien –wie z. B. chirurgischen Eingriffen oder radioonkologischen Therapieverfahren – eine zusätzliche neurologische Schädigung zu verhindern.“

Die Prognose von Patienten mit zerebraler Metastasierung variiert aufgrund der unterschiedlichen prognostischen Faktoren wie Alter, gesamtonkologische Situation und Allgemeinzustand, aber auch aufgrund der Histologie des Primärtumors. So schwankt z. B. die mittlere Überlebensdauer von Menschen mit Brustkrebs bei günstigen prognostischen Faktoren von über 2 Jahren, bis hin zu Patienten mit kleinzelligem Lungenkrebs mit schlechten prognostischen Faktoren von nur 3 Monaten. Prim. Oberndorfer: „Dementsprechend gilt es, unter Berücksichtigung von prognostischen Faktoren, individuelle Behandlungskonzepte im Rahmen der neuroonkologischen Tumorboards zu entwickeln.“

Interdisziplinäre Betreuungsteams bei Gehirntumor-Patienten

International haben sich in der Betreuung von Gehirntumor-Patienten interdisziplinäre Betreuungsteams bzw. Tumorboards etabliert. In diesen sind neben der Neurologie und Neurochirurgie Fächer wie Radioonkologie, internistische Onkologie, Neuropathologie, Neuroradiologie, Nuklearmedizin eingebunden. Auch assoziierte Fachbereiche wie Psychoonkologie, Pflege und Neurorehabilitation haben sich als Bestandteile des Betreuungsnetzwerkes etabliert. Aufgrund der multimodalen diagnostischen Verfahren wie im Bereich der Neuropathologie – Immunhistochemie, Molekularbiologie und Genetik –, im Bereich der Bildgebung die Kernspintomographie und Nuklearmedizin sowie auch der klinischen Neurologie, inklusive Neuropsychologie, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit obligat, sagt  Prim. Oberndorfer.

Quelle: Österreichischen Gesellschaft für Neurologie http://www.oegn.atPrim. Priv.-Doz. Dr. Stefan Oberndorfer, Vorsitzender der ARGE-Neuroonkologie

BildGehirntumore zählen zu den eher seltenen Erkrankungen des Gehirns. Trotz enormen Mehrwissens bleiben große Therapieerfolge aus.

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