Samstag, April 27, 2024

Herausforderung für Ärzte und Medizin: Klimawandel und seine medizinischen Folgen

Im Kern definiert sich von alters her die Rolle von Ärztinnen und Ärzten aus dem Gegenüber oder dem Miteinander mit und zu den Patientinnen und Patienten, die sich ihnen anvertrauen. Der Bereich ärztlicher Verantwortung ist daher zunächst auf dieses Binnenverhältnis begrenzt. Wenn Krankheitskonzepte aber die äußeren Umstände und Lebensverhältnisse als Ursachen benennen, kann es Teil des ärztlichen Auftrags werden, sich auch damit auseinanderzusetzen. Aus dieser Sichtweise heraus ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem neuen Wissen der Bakteriologie und dem Verständnis der Lebensbedingungen des Industrieproletariats schließlich die Sozialhygiene entstanden. Sie definierte die Bewertung und Veränderung von Wohn-, Ernährungs- und Arbeitsbedingungen ausdrücklich als Teil der ärztlichen Verantwortung.

Eine wiederum neue Dimension ist hinzugekommen mit der globalen Bedrohung durch die Atombewaffnung. In den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts formierte sich auf Betreiben eines sowjetischen und eines US-amerikanischen Kardiologen die IPPNW. Sie betrachtete und betrachtet vor dem Hintergrund der möglichen Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen durch die Anwendung von Atomwaffen das politische Eintreten für Frieden und Abrüstung auch als spezifisch ärztliche Aufgabe.

Eine gleichermaßen globale Bedrohung stellt heute der Klimawandel dar. Im Unterschied zum Atomkrieg geht es allerdings nicht um die Verhinderung einer möglichen Katastrophe, sondern um die Verlangsamung einer sich bereits seit Jahren tatsächlich entwickelnden Katastrophe. Wiederum sehen sich Ärztinnen und Ärzte in einer besonderen Rolle und Verantwortung, da sie die zunehmenden Veränderungen der klimatischen Bedingungen als Krankheitsursachen verstehen und belegen und daher quasi mit Expertenwissen darüber aufklären können. Darüber hinaus sehen sie sich in der Verantwortung, da das Eintreten für eine „Lebensstiländerung“ bei vielen Erkrankungen ohnedies Teil der ärztlichen Beratung ist, die angeratenen Veränderungen zum Beispiel von Ernährung und Bewegung aber qua CO2-Ausstoß in ihrer Gesamtheit auch klimarelevant sind.

Ein dritter Aspekt von Verantwortung betrifft die Gestaltung des ärztlichen Arbeitsumfeldes in Praxis und Krankenhaus. Vor zwei oder drei Jahren hat die DGIM begonnen, sich diese Sichtweise zu eigen zu machen und sich in entsprechende Initiativen einzubringen, sie zu unterstützen und ihre Mitglieder zu sensibilisieren. Bereits im vergangenen Jahr war geplant, den Klimawandel und die ärztliche Verantwortung zu einem gut sichtbaren Thema der Jahrestagung zu machen. Wir haben das Momentum bewahrt und verstärkt und präsentieren in diesem Jahr das Thema in seiner ganzen Breite und Vielfalt.


Quelle:

REFERENTENSTATEMENT » Klimawandel – ein Auftrag für die Ärzteschaft: Was müssen Medizinerinnen und Mediziner wissen, was können sie tun? « Professor Dr. med. Sebastian Schellong, Vorsitzender der DGIM 2020/2021 und Präsident des 127. Kongresses, Chefarzt II. Medizinische Klinik, Städtisches Klinikum Dresden

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