Eine internationale Konferenz beschäftigte sich in den letzten Tagen in Wien mit der Situation der Ärztinnen und Ärzte in Österreich nach dem Anschluss 1938 mit Hitlerdeutschland.
Am 18. und 19. November befasste sich in Wien eine Internationale Konferenz mit der Situation und den Auswirkungen von Ärztinnen und Ärzte in Wien nach dem Anschluss 1938 mit Hitlerdeutschland. Die Rassengesetze zeigten enormen Einfluss auf die Gesundheitsversorgung, 55 Prozent der Hochschullehrer der Medizinischen Fakultät der Universität Wien wurden vertrieben und/oder ermordet, es kam zu einer Völligen Umstrukturierung des Ärztestands.
NS-Verfolgung von Ärztinnen und Ärzten
Die Entrechtung jüdischer Ärztinnen und Ärzte nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 führte zu einer völligen Umstrukturierung des Ärztestands in Österreich. Besonders drastisch zeigte sich dies an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, wo zwischen 1938 und spätestens 1942 in etwa 55 Prozent der Hochschullehrer entlassen und in der Folge vertrieben und/oder ermordet wurden. Darauf wiesen Experten am ersten Tag der auf zwei Tage anberaumten Konferenz „NS-Verfolgung von Ärztinnen und Ärzten“ an der MedUni Wien hin.
Die allermeisten Hochschullehrer wurden wegen ihrer „jüdischen Abstammung“ oder der Ehe mit einer als „jüdisch“ geltenden Ehefrau entlassen. Nach Disziplinen variiert der Anteil der Entlassenen sehr stark von einer maximalen Vertretung in Psychiatrie oder Pädiatrie zu einer recht geringen Repräsentanz in Chirurgie oder Augenheilkunde, was wohl auf eine disziplin-spezifische antijüdische Diskriminierung sowie entsprechende Selbstrekrutierung zurückzuführen sein dürfte.
Aber auch die Studierenden waren vom Rassenwahn der Nationalsozialisten betroffen: Etwa 1000 Medizinstudenten wurden 1938 aus rassistischen Gründen innerhalb nur weniger Wochen gewaltsam von der Universität Wien vertrieben und an der Fortführung beziehungsweise dem Abschluss ihres Studiums gehindert. Von diesen konnten im Rahmen einer sogenannten „Nichtari-erpromotion“ zwischen Juni und Dezember 1938 noch 110 Medizinstudierende promovieren – allerdings bei gleichzeitigem Berufsverbot.
Studierenden, die als „jüdische Mischlinge“ kategorisiert wurden, war das Studium 1938 zwar nicht generell untersagt, ab 1940 jedoch zunehmend erschwert und wurde in den Folgejahren sukzessive eingeschränkt.
Auch fast alle Ärztinnen und Ärzte, die als Juden galten und in Spitälern beschäftigt waren, verloren bereits im März 1938 ihre Anstellungen. Und niedergelassenen praktischen Ärzten und Fachärzten jüdischer Herkunft war es ab 1. Oktober 1938 untersagt, ihre ärztliche Tätigkeit auszuüben.
Mit Einsetzen der Massendeportationen im Jahr 1941 waren die „Krankenbehandler“ als Gutachter in den Sammellagern oder als Begleitärzte bei den Transporten in die Ghettos und Vernichtungslager in den organisatorischen Ablauf der Deportationen mit eingebunden. Ein Großteil dieser Mediziner wurde selbst Opfer des Holocaust, sofern eine Flucht ins rettende Ausland nicht gelang.
Raubzug am privaten Vermögen
Mit der Entfernung von Ärztinnen und Ärzten jüdischer Herkunft aus ihren Positionen an den Medizinischen Fakultäten und in Spitälern, dem Entzug der Kassenverträge und dem Berufsverbot durch Erlöschen ihrer „Bestallungen“ ging auch ein Raubzug am privaten Vermögen einher: Wohnungen und Ordinationen wurden beschlagnahmt, private Sanatorien und Heilanstalten arisiert.
Nur wenige jüdische Ärztinnen und Ärzte in Österreich wurden unter der diskriminierenden Bezeichnung „Krankenbehandler“, „Fachbehandler“ und „Zahnbehandler“ zur Behandlung ausschließlich jüdischer Patienten zugelassen.
Unter der Kontrolle der nationalsozialistischen Behörden gelang es der Israelitischen Kultusgemeinde dennoch, bis zum Ende der Gewaltherrschaft ein Netz von Gesundheits- und Fürsorgeeinrichtungen – darunter das renommierte Rothschild-Spital – zur Versorgung der jüdischen Bevölkerung Wiens aufrechtzuerhalten.
Darüber hinaus fielen den jüdischen Ärztinnen und Ärzten in Österreich Tätigkeitsbereiche zu, die in unmittelbarem Kontext der nationalsozialistischen Ausgrenzungs-, Vertreibungs- und späteren Vernichtungspolitik standen: Mit Einsetzen der Massendeportationen im Jahr 1941 waren die „Krankenbehandler“ als Gutachter in den Sammellagern oder als Begleitärzte bei den Transporten in die Ghettos und Vernichtungslager in den organisatorischen Ablauf der Deportationen mit eingebunden. Ein Großteil dieser Mediziner wurde selbst Opfer des Holocaust, sofern eine Flucht ins rettende Ausland nicht gelang.
Die wenigen überlebenden jüdischen Ärztinnen und Ärzte in Österreich standen nach der Befreiung vor dem ökonomischen Nichts und mussten in mühseligen Interventionen um den Wiedererhalt ihres geraubten Eigentums kämpfen. Etliche von ihnen konnten im öffentlichen Gesundheitswesen der Stadt Wien beziehungsweise bei Behörden wie der Polizei Fuss fassen, wo Bedarf an politisch unbelasteten Personen bestand.
Flucht ins Ausland
Einen kleinen „Vorteil“ gab es für die verfolgten Ärztinnen und Ärzte in Österreich: Dank ihres Berufes und den so überall grundsätzlich anwendbaren medizinischen Kenntnissen konnten sehr viele der gefährdeten Ärztinnen und Ärzten in Österreich erfolgreich ins Ausland fliehen. Die Emigration konzentrierte sich dabei vor allem auf Großbritannien, die USA sowie Palästina beziehungsweise Israel.
Trotz vieler massiver Hindernisse gelang es dabei den meisten Medizinern, neue Positionen an Kliniken und Spitälern zu erhalten beziehungsweise Ordinationen zu eröffnen und ihre Karrieren fortzusetzen. In den USA beispielweise wurden Ärztinnen und Ärzte durch spezielle Hilfsorganisationen für Mediziner – beispielsweise durch das „Emergency Committee in Aid of Displaced Physicians“ oder das „National Committee for Resettlement of Foreign Physicians“ unterstützt.
Vorrangige Ziele waren, die Befähigung beziehungsweise Eignung der individuellen Emigranten zu beurteilen und diese in verschiedene Staaten der USA zu vermitteln. Trotz dieser Anstrengungen blieb der größte Teil der geflüchteten Mediziner, nämlich zwei Drittel, in New York ansässig.
Nach 1945 lässt sich die Stimmung mit „Rückkehr unerwünscht“ beschreiben – die wenigsten der vertriebenen Ärztinnen und Ärzte sind nach Österreich zurückgekehrt, unter anderem, weil sie die beruflichen Positionen in den neuen Ländern nicht wieder aufgeben wollten und auch weil sie gegenüber dem Immigrationsland eine gewisse Dankbarkeit und Wertschätzung empfanden. Zusätzlich wollte man auch die nächste Generation nicht wieder entwurzeln.
Lebenswege der betroffenen Ärztinnen und Ärzte nachgezeichnet
Die von der Wiener Ärztekammer in Zusammenarbeit mit der MedUni Wien und dem Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien organisierte Konferenz „NS-Verfolgung von Ärztinnen und Ärzten“ ist Teil des laufenden Forschungsprojekts „Ärzte und Ärztinnen in Österreich 1933–1945. Entrechtung, Vertreibung, Ermordung“. Ende 2017 soll im Verlag der Ärztekammer für Wien ein Gedenkband erscheinen, der die Lebenswege möglichst aller von Diskriminierung, Vertreibung und Ermordung betroffenen Ärztinnen und Ärzte in Österreich nachzeichnet.
Im Zuge der Recherchen konnten bislang ungefähr 3700 Verfolgte ermittelt werden, wovon in etwa 3300 als „jüdisch“ im Sinne der NS-Rassengesetze galten. Dem Großteil der Betroffenen gelang bis 1941 die Flucht, die im Land Verbliebenen wurden zumeist deportiert und ermordet.
Schwieriger zu identifizieren sind die als „Mischlinge“ Verfolgten, da ihnen die Genehmigung zur Ausübung des ärztlichen Berufs nicht entzogen wurde. Sie verloren jedoch die Kassenverträge und Stellen im öffentlichen Dienst.
Analog verfuhr die NS-Gesundheitsverwaltung mit denjenigen, die zwar selbst als „arisch“ galten, jedoch mit rassisch Verfolgten verheiratet waren.
Quellen und weitere Informationen:
Presseaussendung der wiener Ärztekammer; www.aekwien.at/nsverfolgungaerzte
http://drmed1938.univie.ac.at/team/
http://medienportal.univie.ac.at/uniview/forschung/detailansicht/artikel/verfolgte-medizinerinnen-im-nationalsozialismus/