Statement des interdisziplinären DFG Netzwerks » Kindeswohl und Kinderschutz – Normative Grundlagen des Kindeswohls « zur Tagung in Göttingen.
Gewalt gegen Kinder ist verboten. Aber wie sieht es mit Zwang gegen Kinder in besonderen Situationen, etwa in der medizinischen Praxis, aus? Sollen Kinder zu medizinischen Interventionen oder im Rahmen erzieherischer Maßnahmen gezwungen werden? Was ist genau unter Zwang zu verstehen? Wo oder wie finden sich latente, versteckte, strukturelle Zwänge in Gesellschaft und Institution? Zwang zu legitimieren ist nicht einfach. Schlicht zu meinen, dass Zwang etwas Gutes beabsichtigt, reicht letztendlich nicht aus, ihn zu rechtfertigen. Unter dem Titel „Fürsorge – Zwang – Gewalt“ diskutierten in Göttingen 30 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen, wie Philosophie, Erziehungswissenschaften, Sozialpädagogik, Jura, Medizin, Ethik und Theologie, vom 4.- 6. Oktober 2016 über das Konzept des Kindeswohls und Vorstellungen zum Wohlergehen von Kindern.
Normative Grundlagen des Kindeswohls
Der Workshop fand im Rahmen des DFG-Netzwerks „Kindeswohl und Kinderschutz – Normative Grundlagen des Kindeswohls“ (Koordination: Dr. Alexander Bagattini, Ludwig-Maximilians-Universität München) statt. Veranstalter des Workshops waren Prof. Dr. Claudia Wiesemann und Friederike Maaßen vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen.
Statement des DFG-Netzwerkes
„Wer beruflich mit Kindern zu tun hat, sollte über die Rechte der Kinder und die sie betreffenden ethischen Fragestellungen gut informiert sein. Kinder, ihr Schutz und ihr Wohlergehen, müssen in Wissenschaft und Gesellschaft, Politik und Institutionen Beachtung finden. Das Thema braucht aber auch interdisziplinäre Verständigung und Vergewisserung.
Während Rechtsprechung und -praxis vorwiegend auf die Kindeswohl-Gefährdung fokussiert, sind positive Vorstellungen des Kindeswohls von Kindern wesentlich schwieriger zu fassen. Es geht es um schwierige Handlungsentscheidungen in der Spannung zwischen der Sorge um den gegenwärtigen Augenblick und die Zukunft des Kindes.
Welche Formen von fürsorglicher Bevormundung sind gerechtfertigt und ab wann und in welchen Kontexten sollten Kinder autonom entscheiden können? Kindern pauschal Selbstbestimmungsrechte vorzuenthalten, ist jedenfalls nicht gerechtfertigt.
So erscheint etwa die erzwungene medizinische Altersschätzung bei unbegleiteten jungen geflüchteten Menschen mit Blick auf das Kindeswohl und das Selbstbestimmungsrecht als äußerst problematisch. Als weitere Themen wurden u. a. das kindzentrierte Krankenhaus, der Umgang mit Zwang in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder der Heimerziehung und ganz allgemein die Umsetzung von Kinderrechten in der Praxis diskutiert.
Die philosophische, rechtliche und gesellschaftliche Verständigung über das Kindeswohl muss lebendig bleiben. Diese Diskussion braucht die Stimme der Kinder. Sie müssen gehört werden. Kinder haben das Recht auf Partizipation in all diesen Fragen.“