Dienstag, April 23, 2024

Falschdiagnosen bei seltenen Erkrankungen der Hypophyse vermeiden: Beispiele Riesenwuchs (Akromegalie) und Morbus Cushing

Falschdiagnosen bei seltenen Erkrankungen der Hypophyse am Beispiel von Riesenwuchs (Akromegalie) und Morbus Cushing vermeiden.

Vom Symptombeginn bis zur Diagnose einer seltenen Erkrankung vergehen im Durchschnitt vier bis fünf Jahre, manche Erkrankte warten länger als eine Dekade auf ihre richtige Diagnose. Bis dahin erhalten Betroffene oft Fehldiagnosen und – wenn überhaupt – symptomatische Therapien. In diesem Sinne stehen die seltenen Hypophyse-Erkrankungen Akromegalie und den Morbus Cushing im Blickpunkt.

 

Akromegalie und Morbus Cushing – seltene Erkrankungen der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)

Akromegalie und den Morbus Cushing werden durch einen gutartigen, hormonproduzierenden Tumor (Adenom) der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) verursacht. Diese kleine Drüse an der Basis des Gehirns steuert die Produktion und Freisetzung vieler verschiedener Hormone im gesamten Körper.

Normalerweise sorgt sie mit anderen körpereigenen Rückkopplungsmechanismen, zum Beispiel im Zwischenhirn, dafür, dass immer genau die richtige Hormonmenge für die verschiedenen Körperfunktionen vorhanden ist.

Entsteht in der Hypophyse allerdings ein Tumor, der den Körper mit einem Überschuss eines von ihr produzierten Hormons überschwemmt, führt dies zu zahlreichen, oft schwerwiegenden Krankheitssymptomen.

 

Akromegalie

Bei der Akromegalie (altgriechisch akros = äußerst und megas = groß) produziert das zugrunde liegende Hypophysenadenom einen unkontrollierten Überschuss an Wachstumshormon. Dieses Hormon brauchen Kinder und Jugendliche, um zu wachsen, bei Erwachsenen hilft es, den Stoffwechsel von Muskeln, Knochen und Fetten zu regulieren.

Die äußeren Symptome der Akromegalie sind zum Zeitpunkt der Diagnosestellung oft unverkennbar. Betroffene entwickeln häufig grobe Gesichtszüge, einschließlich einer vorstehenden Stirn und eines vorstehenden Kiefers, sowie große, vor allem in der Breite verdickte Hände und Füße. Bei Auftreten der Erkrankung im Kindesalter kommt es zum Riesenwuchs.

Die Akromegalie verursacht aber auch andere Symptome wie Gelenkschmerzen, Schlafapnoe, Karpaltunnelsyndrom und Müdigkeit, eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), einen Bluthochdruck sowie ein Wachstum der inneren Organe, zum Beispiel des Herzens, und begünstigt auch Entstehung und Wachstum anderer Tumoren.

Die letztgenannten Probleme sind besonders besorgniserregend, da sie bei Patienten mit unbehandelter Akromegalie die Ursache für starke psychische und physische Beeinträchtigungen und einen vorzeitigen Tod sein können.

 

Morbus Cushing

Beim Morbus Cushing, benannt nach dem US-amerikanischen Neurochirurgen Harvey Cushing, produziert der Hypophysentumor das hypophysäre Steuerhormon adrenocorticotropes Hormon, kurz ACTH, das die Nebennieren zur Produktion von Kortisol anregt. Kortisol ist für die Stressreaktion des Körpers notwendig.

Es erhöht den Blutzucker, den Stoffwechsel von Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten, unterdrückt das Immunsystem und hat Auswirkungen auf Gedächtnis und Stimmung.

Das Hormon ist zwar lebensnotwendig, aber eine anhaltende Überproduktion hat massive, schädliche Auswirkungen.

Vom Morbus Cushing betroffene Personen entwickeln ein ganz anderes charakteristisches äußeres Erscheinungsbild als bei der Akromegalie. Es kommt zu einer zentralen Gewichtszunahme mit einem dicken Bauch, dünnen Armen und Beinen und Fettablagerungen am Hals, oftmals auch rötlichen Dehnungsstreifen, einer Neigung zu Blutergüssen, Akne und einem abnormalen Haarwuchs im Gesicht.

Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Osteoporose, Thromboseneigung, Infektanfälligkeit, Stimmungsschwankungen, Depressionen und Gedächtnisstörungen sind ebenfalls häufige Krankheitssymptome.

 

Die richtige Diagnose der seltenen Erkrankungen der Hypophyse, Akromegalie und Morbus Cushing oft erst nach vielen Jahren

Beiden dieser seltenen endokrinen Erkrankungen ist gemeinsam, dass sich die mit ihnen verbundenen Veränderungen in der Regel allmählich entwickeln und sich mit vielen Symptomen der Allgemeinbevölkerung überschneiden.

Erkrankte warten auch oft zu lange ab, bevor sie sich mit ihren Symptomen in ärztliche Behandlung begeben, und suchen dann verschiedene Fachärzte auf, denen sie möglicherweise nur eines ihrer Symptome isoliert präsentieren.

So konnten Studien zeigen, dass Patientinnen und Patienten mit einer Akromegalie wegen eines Karpaltunnelsyndroms eine neurologische, wegen ihrer Gelenkschmerzen eine orthopädische und wegen nächtlicher Atemaussetzer eine HNO-ärztliche Abklärung anstreben, während Betroffene mit einem Morbus Cushing sich aufgrund von Hautproblemen in eine hautärztliche oder aufgrund von Depressionen und Gedächtnisstörungen in eine neurologisch-psychiatrische Behandlung begeben.

Die anfänglich oft unspezifischen Krankheitserscheinungen, eine isolierte Fokussierung auf spezifische Symptome für das jeweilige Fachgebiet, fachgebietsbezogene Diagnostik, Zeitdruck und kurze Konsultationszeiten im ärztlichen Alltag sind neben der Seltenheit der beiden Erkrankungen wahrscheinliche Gründe dafür, warum auch bei der Akromegalie und dem Morbus Cushing die richtige Diagnose oft erst nach vielen Jahren gestellt wird.

Haben die Erkrankungen erst einmal ihren korrekten Namen, sind sie in der Regel durch ein interdisziplinäres Vorgehen unter Beteiligung von neurochirurgischer, endokrinologischer, manchmal auch strahlentherapeutischer Expertise so gut behandelbar, dass eine Normalisierung der erhöhten Hormonwerte gelingt. Damit normalisiert sich auch die Lebenserwartung.

 

Ernste gesundheitliche Folgen des langen diagnostischen Irrwegs

Für die Betroffenen ist der lange diagnostische Irrweg dennoch mit gravierenden gesundheitlichen Folgen verbunden.

Bei Patientinnen und Patienten mit einer Akromegalie ist das Hypophysenadenom zum Zeitpunkt der Diagnosestellung oft so groß, dass es sich nicht durch eine neurochirurgische Operation vollständig entfernen lässt und somit eine medikamentöse Dauerbehandlung, manchmal auch eine Strahlentherapie erforderlich wird.

Einmal eingetretene belastende Begleiterscheinungen, wie die stigmatisierenden äußerlichen Veränderungen und Gelenkarthrosen im Falle der Akromegalie, bilden sich kaum zurück.

Patientinnen und Patienten mit einem Morbus Cushing leiden oft auch nach der erfolgreichen Behandlung unter Stimmungsschwankungen bis hin zu schweren Depressionen oder unter den Folgen Osteoporose bedingter Knochenbrüche.

Dauerhaft behandlungsbedürftige internistische und neuropsychiatrische Folgeerkrankungen (Komorbiditäten) sind bei beiden Erkrankungen keine Seltenheit.

Die Lebensqualität der Betroffenen bleibt trotz optimaler Therapie oft auf der Strecke. Viele der chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen trotz erfolgreicher Behandlung der Akromegalie oder des Morbus Cushing wären durch eine frühzeitigere Diagnosestellung vermeidbar oder weniger stark ausgeprägt.

Im Grunde genommen ist daher eine schnellere Erkennung, eine zielgerichtete Therapie und weitere Erforschung dieser beiden und weiterer seltener hormoneller Erkrankungen unter interdisziplinärer Beteiligung von großer Bedeutung.

Dabei soll ein ganzheitlicher Therapieansatz, in dem nicht nur die Behandlung der medizinischen Symptome, sondern auch die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen im Fokus steht, verfolgt werden.


Literatur:

Seltene Erkrankungen: Bundesministerium für Gesundheit. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html

Kreitschmann-Andermahr I, Psaras T, Tsiogka M, Starz D, Kleist B, Siegel S, Milian M, Kohlmann J, Menzel C, Führer-Sakel D, Honegger J, Sure U, Müller O, Buchfelder M. From first symptoms to final diagnosis of Cushing’s disease: experiences of 176 patients. Eur J Endocrinol. 2015 Jun; 172(6):X1. doi: 10.1530/EJE-14-0766e. Erratum for: Eur J Endocrinol. 2015 Mar;172(3):285-9. PMID: 25976214.

Kreitschmann-Andermahr I, Siegel S, Kleist B, Kohlmann J, Starz D, Buslei R, Koltowska-Häggström M, Strasburger CJ, Buchfelder M. Diagnosis and management of acromegaly: the patient’s perspective. Pituitary. 2016 Jun;19(3):268-76. doi: 10.1007/s11102-015-0702-1. PMID: 26742496.

Siegel S, Streetz-van der Werf C, Schott JS, Nolte K, Karges W, Kreitschmann-Andermahr I. Diagnostic delay is associated with psychosocial impairment in acromegaly. Pituitary. 2013 Dec; 16(4):507-14. doi: 10.1007/s11102-012-0447-z. PMID: 23179964.


Quelle:

»Gefährliche Falschdiagnosen bei seltenen Erkrankungen der Hypophyse am Beispiel von Riesenwuchs (Akromegalie) und Morbus Cushing – wie lassen sie sich vermeiden?«. Prof. Dr. med. Ilonka Kreitschmann-Andermahr. Neurochirurgin, Leitung Ambulanz, Oberärztin für Neurologie und Spezielle Schmerztherapie, Neurochirurgische Klinik, Universitätsmedizin Essen, Vorstandsmitglied DGE. 66. Kongresses für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Mai 2023

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