Ein breites ExpertInnenbündnis fordert Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetz. Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in Selbstmedikation und durch Internethandel machen eine Gesetzesänderung ohnehin notwendig.
Die Fristenlösung schien nach 40 Jahren einzementiert, nun kommt Bewegung in die Debatte. Das war bei der gestrigen Podiumsdiskussion „40 Jahre Fristenlösung. Wer soll entscheiden?“ auf Einladung des Wiener Verhütungsmuseums im vollen Bildungszentrum der AK Wien zu vernehmen. Am Podium nahmen nationale und internationale ExpertInnen das österreichische Modell der Fristenlösung kritisch unter die Lupe. Unisono fordern sie, das Gesetz an die medizinische und gesellschaftspolitische Entwicklung anzupassen.
Fristenlösung blockiert Behandlung
Christian Fiala, Gynäkologe und Direktor des Wiener Verhütungsmuseums, klärte im Zuge der lebhaften Diskussion darüber auf, dass die Fristenlösung keineswegs totes Recht ist. Aufgrund der Kriminalisierung findet Schwangerschaftsabbruch keine Berücksichtigung in der medizinischen Ausbildung. Eine österreichweite und flächendeckende Behandlung von ungewollt schwangeren Frauen wird immer noch politisch blockiert. Eine Kostenübernahme der Behandlungskosten durch die Sozialversicherung gibt es – anders als in fast allen westeuropäischen Ländern – in Österreich nicht.
Erschreckendes Bild
Wie eine vom Museum für Verhütung durchgeführte Straßenbefragung zeigt, die im Zuge des spannenden Abends präsentiert wurde, ist der Wissenstand der jüngeren Bevölkerung über die rechtlichen Implikationen der Fristenlösung sehr mangelhaft. Viele der Befragten zeigen sich zudem erstaunt, dass die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch überhaupt strafrechtlich geregelt ist.
Link Video: https://www.youtube.com/watch?v=7ZhnNjhuz8w
Vorbild Kanada
In Kanada hingegen wurde der Schwangerschaftsabbruch schon vor 27 Jahren aus dem Strafgesetz genommen, nachdem die kanadischen Höchstrichter zur Erkenntnis gelangt waren, dass der Staat nicht legitimiert sei, in die Persönlichkeitsrechte von Frauen einzugreifen. Die am Podium mitdiskutierende Professorin für Strafrecht in Kanada, Jula Hughes, zerstreute Befürchtungen, dass diese Entkriminalisierung einen Anstieg von Spätabbrüchen oder generell von Abbrüchen verursache. Vielmehr hat in Kanada die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche trotz anwachsender Bevölkerung sogar abgenommen.
Zunehmende Selbstmedikation
Die derzeit geltende Fristenlösung verbietet die Selbstmedikation beim Schwangerschaftsabbruch mit einer Strafandrohung von einem Jahr Gefängnis für die betroffene Frau. Doch während ein Abbruch in Eigenregie mittels Tabletten vor 40 Jahren noch undenkbar war, sind Wirkstoffe wie Mifepriston und Misoprostol heute weit verbreitet. Durch den globalen Internethandel werden sie auch nach Österreich verschickt, wie MUVS-Direktor Fiala berichtet. Diese Medikamente sind besonders bei Migrantinnen beliebt und werden immer häufiger verkauft. „Will der Gesetzgeber diese Frauen nicht kriminalisieren, bleibt ihm nur übrig, den Abbruch ersatzlos aus dem Strafgesetz zu streichen“ so Fiala.
Einfache Mehrheit im Parlament
Verfassungsjuristin Brigitte Hornik erklärte, dass mit einfacher Mehrheit im Parlament eine entsprechende Gesetzesänderung beschlossen werden könne. Sie appellierte an die SPÖ, notfalls eine freie Mehrheit außerhalb der aktuellen Koalition anzustreben.