Kardiologentagung: Experten warnen vor Fachärztemangel
In Österreich droht ein Fachärztemangel in der Kardiologie. Darauf macht die Österreichische Kardiologische Gesellschaft anlässlich ihrer Jahrestagung aufmerksam. In den kommenden zehn Jahren dürfte es schon schwierig werden, Personalstände zu halten – vom Ausbau der Versorgung gar nicht zu reden. Die ÖKG fordert eine Bedarfserhebung und die erforderlichen Geldmittel.
Wien/Innsbruck, 26. Mai 2015 – Die Herz-Kreislauf-Medizin gewinnt angesichts der steigenden Lebenserwartung und des zunehmenden Durchschnittsalters der Bevölkerung beständig an Bedeutung. „Ob die kardiologische Versorgung in Österreich mit diesen steigenden Anforderungen wird mithalten können, bleibt allerdings fraglich“, so Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Michael Franz, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin/Kardiologie, Innsbruck, und Vorstandsmitglied der ÖKG, anlässlich der Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG). „Die Menschen erwarten, dass das Versorgungsniveau in der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Österreich nicht abgesenkt wird. Außerdem muss sich dieses Versorgungsniveau weiterhin an EU-Standards orientieren. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass ausreichend viele Kardiologinnen und Kardiologen zur Verfügung stehen.“
60 Prozent der heute tätigen Kardiologen gehen bis 2030 in Pension
Angesichts dieser Herausforderungen hat die ÖKG erhoben, wie viele Kardiologen in den nächsten Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden, wie viele Kardiologen versorgungswirksam tätig sind, wie der Bedarf ist und wie viele Ausbildungsstätten in Zukunft benötigt werden. Das Ergebnis zusammengefasst: Es wird eng, was die Versorgung von Herzpatienten betrifft.
Ein hoher Prozentsatz der österreichischen Kardiologinnen und Kardiologen ist heute Mitte bis Ende 50 und wird in spätestens zehn Jahren in Pension gehen. Prof. Franz: „Alleine auf Grund des Alters der Kolleginnen und Kollegen müssen wir davon ausgehen, dass wir in den Jahren 2020 bis 2030 60 Prozent der Kollegenschaft ersetzen müssen.“ Wäre das noch nicht schwierig genug, muss obendrein noch von einem steigenden Bedarf ausgegangen werden. So weisen beispielsweise die Daten der Universitätsklinik Innsbruck seit der Jahrtausendwende eine beständig steigende Zahl von Untersuchungen und Behandlungen mit dem Herzkatheter aus.
Eine Entwicklungsabschätzung des Personalbedarfs an Fachärzten für Innere Medizin und Kardiologie in Österreich ab 2020 verheißt mögliche Probleme. Prof. Franz: „Ende 2020 müssten 366 Ärzte als Ersatz für ausgeschiedene Kolleginnen und Kollegen sowie zusätzlich 288 Ärzte aufgrund der Zusatzeffekte verfügbar sein. Das sind insgesamt 654 Kardiologen.“ Wo diese allerdings herkommen sollen, ist völlig unklar. Denn aktuell gibt es nur rund 150 Ausbildungsplätze für Kardiologie an österreichischen Kliniken. Prof. Franz: „Wenn 2015 mit der reformierten Ausbildung unter Nutzung aller Platzkapazitäten begonnen würde, könnten im Jahr 2021 rechnerisch von den dann zusätzlich benötigten 654 Kardiologen nur 44 Prozent aus der fachärztlichen Ausbildung in Österreich heraus bereitgestellt werden.“ Mit anderen Worten: Ärztemangel ist in der Kardiologie keine theoretische Überlegung mehr, sondern vielleicht schon in naher Zukunft Realität.
„Unser Fazit: Die derzeitigen Ausbildungskapazitäten sind nicht ausreichend, um einen massiven Fachärztemangel in der Kardiologie ab 2021 zu verhindern“, sagt Prof. Franz und fordert die Beauftragung einer mittelfristige Bedarfsprognose für den Bedarf an Kardiologen („Fachärzte für Innere Medizin und Kardiologie“) durch das Gesundheits- und Wissenschaftsministerium.
Ein Cent pro Einwohner und Jahr für Kardiologen
Allerdings gibt es auch Hoffnung. Die aktuelle Ausbildungsreform verkürze nämlich die Ausbildungszeit auf sechs Jahre und mache damit durch einen schnelleren Berufseinstieg diese Ausbildung wieder attraktiver, so Prof. Franz: „Trotz der vielen Herausforderungen werden wir das Niveau der Herzmedizin für die österreichische Bevölkerung halten und weiterhin unsere Patienten auf europäischem Leitlinien-Niveau versorgen.“ Damit werden zwangsläufig auch Kosten verbunden sein. Diese bewegen sich allerdings angesichts der Bedeutung der Herzmedizin in einem überschaubaren Rahmen. Berechnungen haben nämlich gezeigt, dass eine zusätzliche Facharztstelle für Kardiologie in österreichischen Kliniken nicht mehr 1 Cent je Einwohner und Jahr kostet.