Heute ist bei Lungenkrebs die multimodale Therapie, bei der Chemo- und Strahlentherapie gleichzeitig durchgeführt werden, in den Leitlinien fest verankert.
Angesichts der beispiellosen Dynamik in den letzten Jahren scheint es gerechtfertigt zu sein, von einer kleinen Revolution in der Behandlung von Lungentumoren zu sprechen, betont Dr. Wilfried E.E. Eberhardt, Thoraxonkologie, Lungenkrebszentrum am Westdeutschen Tumorzentrum, Universitätsklinikum Essen. Was im letzten Jahrzehnt durch die multimodale Therapie erreicht werden konnte, war bereits ein großer Fortschritt – und mit den seit kurzem verfügbaren Methoden der Immuntherapie sei eine völlig neue Ebene der Behandlungsmöglichkeiten erreicht.
Multimodale Therapie macht Lungenkrebs heilbar
Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren galten bis vor kurzem als unheilbar, vor zehn Jahren war man froh, wenn fünf bis zehn Prozent dieser Patienten überlebten. Heute erlaubt die multimodale Therapie eine intelligente Kombination von systemischer Chemo- und lokaler Strahlentherapie, die mit oder ohne chirurgische Eingriffe zum Einsatz kommt. Damit überleben 30 bis 40 Prozent aus dieser Patientengruppe, so dass die Behauptung stimmt, dass Lungenkrebs heilbar geworden ist.
Mittlerweile ist die multimodale Therapie, bei der Chemo- und Strahlentherapie nicht hintereinander sondern gleichzeitig durchgeführt werden, in unseren Leitlinien fest verankert. In den meisten spezialisierten Zentren ist diese interdisziplinäre Vorgangsweise bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium heute der etablierte Therapiestandard. Allerdings sehe ich da durchaus noch Verbesserungsbedarf.
Eine multimodale Therapie erfordert viele maßgeschneiderte, individuelle Entscheidungen und ein hohes Maß an Erfahrung. Die Patientengruppe, die für diese Behandlungen in Frage kommt, ist sehr heterogen und im Schnitt beinahe 70 Jahre alt. Da gilt es bereits viele Komorbiditäten zu berücksichtigen. Zudem ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen internistischen Onkologen, Strahlentherapeuten und Thoraxchirurgen noch nicht überall so selbstverständlich wie sie es sein sollte. Da ist noch Aufklärung und manchmal auch eine größere Bereitschaft zur fächerübergreifenden Zusammenarbeit nötig.
Zahlreiche Behandlungsfortschritte
Möglich wurden Fortschritte nicht zuletzt durch die enorme Weiterentwicklung der Strahlentherapie. Heute kann zielsicherer und effizienter bestrahlt werden als noch vor wenigen Jahren, wobei diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. In naher Zukunft sollten sich Bestrahlungen noch derartig verbessern, so dass sie noch toxischer auf den Tumor wirken und gleichzeitig das umliegende Gewebe noch mehr schont.
Zudem werden die
chirurgischen Eingriffe immer minimalinvasiver. Mit den neuen Operationstechniken gelingt es zunehmend Organ-sparend zu operieren. Das ist für die Patienten nicht nur weniger belastend sondern auch für die weitere Prognose wichtig. Denn wenn es gelingt, einen Tumor vollständig zu entfernen, kann Jahre später ein neuer auftreten. Dann ist es ein enormer Vorteil, wenn noch genügend Gewebe für einen weiteren Eingriff vorhanden ist.
Hinzu kommen weiters die neuen Möglichkeiten der Immuntherapie, Dr. Eberhardt hofft deswegen, dass es bald gelingen wird, mehr als 50 Prozent der Fälle mit lokal fortgeschrittenem Lungenkrebs zu heilen.
Maßgeschneiderte Immuntherapie könnte Durchbruch in der Behandlung bringen
Mit den neuen Verfahren der Immuntherapie können heute Lungentumore ganz gezielt und sehr individuell bekämpfen können. Dabei wird versucht, eine heimtückische Fähigkeit von Tumorzellen zu umgehen. Sie können sich durch einen bestimmten Immunmarker, den sogenannte Programmed Death Ligand-1 (PDL1), vor dem Angriff von körpereigenen Immunzellen schützen. Durch eine Antikörpertherapie kann diese Hemmung der Immunzellen aufgehoben werden, und somit können die Immunzellen die Tumorzellen wieder attackieren.
Die Wirksamkeit dieser Methode, die in der Behandlung von schwarzem Hautkrebs schon länger eingesetzt wird, wurde 2015 in einer großen Studie auch bei Lungenkrebs gezeigt. Dabei wurden 272 Patienten untersucht, die einen Rückfall eines Plattenepithelkarzinoms der Lunge erlitten hatten. Sie wurden mit dem immunstimulierenden Antikörper Nivolumab behandelt und mit der Standardtherapie – einer Chemotherapie mit dem Docetaxel – verglichen. Diese Studie – publiziert im New England Journal of Medicine – und einige andere Studien machten deutlich, dass die Immuntherapie eine neue Ära einleitet. Während in der Chemotherapie-Gruppe nur 9 Prozent auf die Behandlung ansprachen, waren es in der Immuntherapie-Gruppe immerhin 20 Prozent. Ein Jahr nach Beginn der Behandlung hatten von den mit Chemotherapie behandelten Patienten 24 Prozent überlebt – nach der immunstimulierenden Behandlung waren es aber 42 Prozent.
Im Durchschnitt überlebten die Patienten nach der Chemotherapie sechs Monte, nach der Immunbehandlung 9,2 Monate. Das mag auf den ersten Blick nicht nach einem großen Durchbruch klingen. Aber für zehn bis 20 Prozent der bis vor kurzem todgeweihten Patienten bedeutet das, dass sie auch zwei bis drei Jahre nach Beginn der Immuntherapie noch tumorfrei leben.
Dazu kommt, dass die immunstimulierende Behandlung für die Betroffenen deutlich besser verträglich ist als eine konventionelle Chemotherapie. Die klassischen Nebeneffekte wie Schleimhautentzündungen, Haarausfall, Blutbildungsstörungen, Übelkeit und Erbrechen sowie das Fatigue-Syndrom sind bei einer Immuntherapie deutlich weniger ausgeprägt. Dafür kommt es öfter zu allergischen Reaktionen und zu autoimmunologischen Phänomenen wie einer Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse oder Beschwerden aus dem rheumatischen Formenkreis. Diese Nebenwirkungen lassen sich medikamentös aber in der Regel leicht beherrschen.
Wohin diese Entwicklung führen wird, ist noch nicht abschätzbar: die Immuntherapie ist erst seit einem Jahr zugelassen – für Patientinnen und Patienten, die bereits einen Rückfall erlitten haben. Dennoch konnte beobachtet werden, dass es mit Eingriffen in das Immunsystem gelingen kann, einen Tumor zum Schrumpfen zu bringen. Doch die genauen Wirkmechanismen wurden noch nicht gänzlich aufgeklärt und es kann durchaus geschehen, es im Lauf der Jahre zu Resistenzbildungen kommt, die den Tumor wieder wachsen lassen.
Quelle und Literatur:
Statement »Wir erleben eine Revolution in der Behandlung von Lungenkrebs« von Dr. Wilfried E.E. Eberhardt, Thoraxonkologie, Lungenkrebszentrum am Westdeutschen Tumorzentrum, Universitätsklinikum Essen anlässlich des WCLC 2016.
N Engl J Med 2015; 373:123-135July 9, 2015 DOI: 10.1056/NEJMoa1504627