Dienstag, Oktober 1, 2024

Physikalische Therapie bei Rheuma

Harte Arbeit statt Wellness: Wie sehr die physikalische Therapie bei Rheuma-Patienten effektiv sein kann, wenn diese aktiv die Behandlung absolvieren.

Die Physikalische Therapie beziehungswqeise physikalisch-therapeutische Maßnahmen bei Rheuma sind in der Behandlung zahlreicher rheumatischer Erkrankungen unentbehrlich und können sogar Priorität vor einer Pharmakotherapie haben. Die therapeutischen Möglichkeiten umfassen die Anwendung von

  • mechanischer Energie (Bewegungstherapie/Krankengymnastik, Massagen, manueller Medizin
  • thermischer Energie: Wärme- und Kältebehandlungen (lokal, Ganzkörpertherapie)
  • elektrischer Energie: Strombehandlungen mit nieder-, mittel- und hochfrequenten Strömen
  • elektromagnetischer Strahlung: Infrarot, Ultraviolett

Die Indikationen und Aufgabenkreise der physikalisch-therapeutischen Behandlungen fokussieren auf

  • Schmerzlinderung
  • Verbesserung der Durchblutung und Gewebetrophik
  • Entzündungsdämpfung
  • Funktionsverbesserung
  • Vor- und Nachbehandlung nach operativen Eingriffen
  • Prävention und Rehabilitation
  • Verbesserung der allgemeinen Reaktionslage und der körperlichen „Fitness“, Stärkung des Immunsystems

Besonderheiten bei rheumatischen Erkrankungen:

  • Eine Therapie von rheumatischen Erkrankungen ohne physikalisch-therapeutische Maßnahmen ist stets inkomplett; sie kann durch nichts ersetzt werden.
  • Entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind in der Regel gut beeinflussbar durch physikalisch-therapeutische Maßnahmen.
  • Je akuter und florider der Krankheitsprozess ist, desto vorsichtiger muss dosiert werden.
  • Es handelt sich bei den physikalisch-medizinischen Maßnahmen um eine eigenständige Behandlungsform mit eigenen Indikationen und Kontraindikationen. Die Anwendungen müssen ebenso wie eine medikamentöse Therapie überwacht werden (so macht etwa der Wechsel der Krankheitsaktivität eine Therapieanpassung notwendig).
  • Die Maßnahmen sind in der Regel belastend und nicht entlastend, bei „serieller Therapie“ sind Therapiepausen zwischen den Behandlungen erforderlich.
  • Die Behandlungen gehören – gleichberechtigt zur medikamentösen Therapie – in das rheumatologische Akutkrankenhaus und können sogar Grund für eine stationäre Aufnahme sein (multimodale rheumatologische Komplextherapie).

Merke: Letztendlich kann die Funktionalität von Gelenken und der Wirbelsäule nur durch konsequente „Bewegungstherapie“ erhalten beziehungsweise verbessert werden und nicht durch eine „Pille“.

 

Der Stellenwert einer Physikalischen Therapie bei Rheuma in Studien belegt

Fünf aktuelle englischsprachig publizierte Arbeiten belegen den Stellenwert der Physikalischen Therapie bei Rheuma:

Physikalische Therapie als serielle Ganzkörpertherapie im Radonstollen bei Rheuma-Patienten

Bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis (M. Bechterew) und rheumatoider Arthritis konnte eine signifikante Abnahme der Schmerzen objektiviert werden – bei geringerem Schmerzmittelverbrauch, anhaltend bis zu drei Monaten. Zudem konnte eine Abnahme von Entzündungsmolekülen nachgewiesen werden und eine positive Beeinflussung molekularer Mechanismen der entzündungsbedingten Osteoporose [Lange U. et al. Clin Rheumatol 2016 in press] .

 

Physikalische Therapie bei Rheuma mittels Physiotherapie bei akuter entzündlicher Wirbelsäulenmanifestation

In dieser Pilotstudie an 20 Patienten mit Indikation für eine TNFBlockertherapie wurde untersucht, ob sich mittels intensiver Physiotherapie (3x pro Woche 45 Minuten) und nur halber Standarddosis von Etanercept eine den TNF-Blockern ähnliche effektive Wirkung erzielen lässt. Nach vier Monaten Therapie konnte bei 50 Prozent der Patienten eine 40-prozentige Verbesserung erzielt werden. Die Wirksamkeit von Etanercept in Volldosis ergab in der Zulassungsstudie erst nach sechs Monaten eine entsprechende Verbesserung bei 42 Prozent der Patienten. Zudem konnte in der Studie unter der Kombinationstherapie eine Kostenersparnis von 76.000 € erzielt werden. Die Studie zeigt, dass Physiotherapie einen nachweisbaren positiven Effekt auf die Zytokin-vermittelten Krankheitsmechanismen besitzt [Meier F et al. J Rheumatol 2014].

 

Als Physikalische Therapie bei Rheuma ein Standardisiertes Osteoporose-Training über zwei Jahre: Das verbesserte die Knochendichte und vermindert das Sturzrisiko

In einer zweijährigen Prospektivstudie [Dischereit G et al. Phys Med Rehab Kuror 2016] konnte durch ein wöchentliches Osteoporose-Training eine Zunahme der Knochendichte in der Trainingsgruppe objektiviert werden, passend dazu auch eine Modulation von Markern des Knochenstoffwechsels, eine Schmerzlinderung und eine Verbesserung von Sturzparametern.

 

Bei M. Bechterew im nicht eingesteiften Stadium als physikalische Therapie bei Rheuma: Manuelle Therapie der Brustwirbelsäule (BWS)

 Serielle manuelle Therapie im Rahmen einer Standardphysiotherapie erbrachte einen Benefit auf diverse Bewegungsparameter der BWS, die inspiratorische Vitalkapazität und krankheitsspezifische Scores. Es handelt sich hierbei um die weltweit erste Studie zur manuellen Therapie bei M. Bechterew [Lange U et al. J Musculoskelet Disord Treat 2016].

 

Biomechanische Stimulationstherapie (BMS) erweitert die Mundöffnung bei Mikrostomie bei systemischer Sklerose

In dieser Studie wurden Patienten mit deutlich reduzierter Mundöffnung im Rahmen einer Sklerodermie seriell mit BMS über drei Wochen behandelt, wobei eine Gruppe drei Applikationen (à 20 Minuten) und die andere fünf Applikationen pro Woche ( à 30 Minuten) erhielt (BMS-Frequenz 23-28 Hz). In beiden Gruppen kam es zu einer signifikanten Erweiterung der Mundöffnung, wobei die 5-fach-Anwendung klar überlegen war. Die Mikrostomie lässt sich medikamentös nicht verhindern, kann aber durch BMS positiv beeinflusst werden und in Selbstanwendung erfolgen [Berg W et al. J Rheum Dis Treat 2016].

 

Fazit

Die Studien belegen, dass die physikalische medizinische Therapie bei Patienten mit Rheuma wie beispielsweise auch bei Osteoporose ihren festen Stellenwert im Behandlungsplan haben. Sie kann zum Teil sogar noch positive Effekte erzielen, wo man mit Medikamenten allein nicht mehr helfen kann. Zudem lassen sich auf molekularer Ebene Änderungen objektivieren, die erstmals einen Deutungsversuch zulassen, warum diese Maßnahmen mit positiven Effekten einhergehen.


Literatur:

Lange U, Dischereit G, Tarner I, Frommer K, Neumann E, Müller-Ladner U, Kürten B. The impact of serial radon and hyperthermia exposure in a therapeutic adit on pivotal cytokines of bone metabolism in rheumatoid arthritis and osteoarthritis. Clin Rheumatol. 2016 Nov;35(11):2783-2788. doi: 10.1007/s10067-016-3236-7. Epub 2016 Apr 6. PMID: 27053095.

Meier FM, Müller-Ladner U, Lange U. Efficacy of intensive physiotherapy in combination with low-dose etanercept in active spondyloarthritis: a monocentric pilot study. J Rheumatol. 2014 Sep;41(9):1897-8. doi: 10.3899/jrheum.131431. PMID: 25179984.

Berg W, Tarner IH, Riemekasten G, Müller-Ladner U, Lange U (2016). Biomechanical Stimulation Therapy – An Efficacious Method for Facial Scleroderma with Reduced Oral Aperture. J Rheum Dis Treat 2:030

Lange U, Sperling M, Richter K, Dischereit G, Müller-Ladner U, et al. (2016). The Effects of Manual Mobilization on the Mobility of the Thoracic Spine in Patients with Ankylosing Spondylitis. J Musculoskelet Disord Treat 2:011.

G. Dischereit, U. Müller-Ladner, U. Lange. Effects of Osteoporosis Specific Standardized Physical Therapy on Functional Capacity, Bone Mineral Density and Bone Metabolism. A 2-Year Prospective and Randomized Study. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2016; 26(03): 124-129. DOI: 10.1055/s-0042-103427


Quelle:

Statement „Harte Arbeit statt Wellness: Wie physikalische Therapie Rheumapatienten hilft, die aktiv mitmachen“ von Professor Dr. med. Uwe Lange, Leiter der Abteilung Osteologie, Physikalische Medizin und stellv. Direktor der Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim anlässlich des 44. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) 2016 in Frankfurt am Main.

 

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