Mittwoch, November 5, 2025

Die Evolution von Bakteriophagen der Milchsäurebakterien

Für die wirtschaftliche Nutzung ist das Verstehen des Zusammenspiels der Evolution von Bakteriophagen und Bakterienkulturen entscheidend.

Der gezielte Einsatz von Milchsäurebakterien in der Molkereiwirtschaft unterstützt die Herstellung von Milchprodukten wie Käse, Joghurt oder Butter. Diese als sogenannte Starterkulturen industriell genutzten Bakterienkulturen werden häufig von bakterienspezifischen Viren infiziert, den sogenannten Bakteriophagen oder kurz Phagen. Ein deutsches Forschungsteam hat unlängst erstmals die Geschwindigkeit der Evolution der Anpassungen von Bakteriophagen an Bakterienkulturen beschrieben.



 

Unerwünschten Effekte der Bakteriophagen vermeiden

Wenn Bakteriophagen die Milchsäurebakterien befallen, kann es zu einer Störung des Fermentationsprozesses oder sogar zum Zusammenbruch der gesamten Bakterienkultur kommen. Für die wirtschaftliche Nutzung ist es also von entscheidender Bedeutung, das Zusammenspiel von Bakteriophagen, dessen Evolution und Bakterienkulturen genauer zu verstehen. Und zwar, um diese unerwünschten Effekte besser kontrollieren zu können.

In diesem Zusammenhang hat die Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie am Institut für Allgemeine Mikrobiologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gemeinsam mit dem Kieler Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie am Max Rubner-Institut (MRI) die genetischen Mechanismen der Evolution von Bakteriophagen aus einer Molkerei untersucht.

Dazu konnten sie auf die umfangreiche Sammlung von Bakteriophagen des MRI zurückgreifen, in der die Bakteriophagen aus einer über rund 30 Jahre kontinuierlich genutzten Milchsäurebakterien-Kultur (Lactococcus lactis) eines Betriebes tiefgefroren gelagert wurden.

 

Anpassung an bakterielle Wirte

Die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten, wie schnell und auf welchen Wegen sich die genetischen Eigenschaften von Phagen der Familie Siphoviridae in Anpassung an ihre bakteriellen Wirte über einen langen Zeitraum verändern.

Um Infektionen der zur Fermentation der Milch eingesetzten Bakterienkulturen mit Phagen zu vermeiden, führen Molkereien gezielt umfangreiche Phagenkontrollmaßnahmen durch, zum Beispiel Reinigungs- und Desinfektionsschritte. Trotzdem können Phageninfektionen im Produktionsablauf nicht immer vermieden werden.

„Welche Interaktionen zwischen Bakterien und Phagen während der Fermentation ablaufen und welche Prozesse Phageninfektionen möglicherweise begünstigen oder unterbinden, wird am MRI und in anderen Laboren weltweit untersucht. Dank unserer langjährigen Probenreihen haben wir uns nun gewissermaßen auf eine Zeitreise begeben und die Effekte von fast drei Jahrzehnten gegenseitiger Anpassungen von Phagen und Bakterien auf die Evolution von genetischen Elementen der Phagen untersucht“, betont Dr. Horst Neve, Leiter der Arbeitsgruppe „Bakteriophagen und Elektronenmikroskopie“ am MRI in Kiel.



 

Rückschlüsse auf die Evolution der Bakteriophagen

Um diesen langjährigen Prozess nachzuvollziehen und die damit verbundenen Veränderungen der Phagen identifizieren zu können, entschlüsselte das Kieler Forschungsteam die gesamten genetischen Informationen von 34 Siphoviridae-Phagen über den Verlauf von fast 30 Jahren. Dabei machten sie zwei wichtige Beobachtungen, die Rückschlüsse auf die Evolution der Phagen zuließen.

Besonders der sogenannte horizontale Gentransfer, also der Austausch von genetischen Informationen zwischen verschiedenen Organismen, findet zwischen Phagen demnach besonders intensiv statt. Dabei fanden die Forschenden Bereiche in den Erbinformationen, die sich kaum änderten, während an anderen Stellen starke Variabilität herrschte. In den besonders variablen Abschnitten liegen Gene, die für die Interaktion zwischen Phagen und Bakterien verantwortlich sind und damit einem besonders hohen Selektionsdruck ausgesetzt sind.

„Der umfangreiche Austausch genetischer Informationen zwischen Phagen erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass es ihnen gelingt, die mit ihnen assoziierten Bakterien zu infizieren“, betont Erstautorin Dr. Anne Kupczok, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Professorin Tal Dagans Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie an der CAU forscht.

Der zweite auffällige Aspekt lag in der Geschwindigkeit, mit der sich einzelne Bestandteile der genetischen Informationen im Laufe der Evolution zufällig verändern. Diese so genannte absolute Substitutionsrate ist bei den Phagen deutlich schneller als bei Bakterien: Sie können sich also in kürzerer Zeit an veränderte Bedingungen anpassen als ihre bakteriellen Wirte. Dadurch, dass sie schneller evolvieren, erlangen sie möglicherweise einen Vorteil, der ihnen die Infektion der Bakterienkulturen erleichtert.

 

Auswirkung der Evolution auf das Zusammenspiel von Bakteriophagen mit industriell genutzten Bakterienkulturen

Die nun vorliegende Studie bildet damit eine wichtige Grundlage, um die Auswirkung der Evolution auf das Zusammenspiel von Bakteriophagen mit industriell genutzten Bakterienkulturen besser bestimmen zu können.

„Wir hoffen, daraus künftig möglicherweise neue Strategien abzuleiten, um unter anderem die unerwünschten Effekte von Phagen-Infektionen in der Milchwirtschaft zielgerichteter einzudämmen“, zeigt sich PD Dr. Charles Franz, Leiter des MRI-Instituts für Mikrobiologie und Biotechnologie in Kiel, zuversichtlich.

Die Ergebnisse des Forschungsteams unterstreichen zudem den besonderen Wert langfristig angelegter Evolutionsstudien: Ähnlich wie beispielsweise im Langzeit-Evolutionsexperiment mit Escherichia coli-Bakterien (englisch: E. coli long-term evolution experiment, LTEE) des US-amerikanischen Evolutionsbiologen Professor Richard Lenski konnten die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die evolutionären Veränderungen eines Modellorganismus hinsichtlich der Genetik und des Erscheinungsbildes über mehrere Jahrzehnte dokumentieren. Sie konnten so umfangreiche Einblicke in den Ablauf evolutionärer Prozesse erlangen.




Literatur:

Kupczok A, Neve H, Huang KD, Hoeppner MP, Heller KJ, Franz CMAP, Dagan T. Rates of Mutation and Recombination in Siphoviridae Phage Genome Evolution over Three Decades. Mol Biol Evol. 2018 May 1;35(5):1147-1159. doi: 10.1093/molbev/msy027. PMID: 29688542; PMCID: PMC5913663.

Latest Articles

Folgt uns auf Facebook!

Fokus Kinder

Behandlung mittels Psychotherapie bei jungen Menschen mit Depression

Psychotherapie wie die kognitive Verhaltenstherapie sollte die erste Behandlung bei jungen Menschen mit Depression sein. Und erst später Medikamente. Laut einer rezenten australischen Studie sollte...
- Advertisement -

Related Articles

Depressionen bei Kindern und im Jugendalter erkennen

Traurigkeit ist häufig ein Anzeichen für Depressionen bei Kindern: Bis zu 2,5 Prozent der Kinder und bis zu 8,3 Prozent im Jugendalter leiden daran,...

Fieber bei Kindern muss man erst senken, wenn das Kind dadurch leidet

Wenn die Temperatur stark steigt, dann hilft das oft gegen Krankheitserreger. Wobei man Fieber bei Kindern nicht senken muss, solange das Kind nicht darunter...

Enuresis – beim Einnässen von Kindern an alles denken

Prinzipiell muss man zwischen der klassischen Enuresis und der nicht organischen und organischen Harninkontinenz unterscheiden. Beim Einnässen von Kindern muss man zwischen erstens der klassischen Enuresis,...