Donnerstag, April 18, 2024

Wirkung von Cannabis bei Patienten mit Tourette-Syndrom

Cannabis-basierte Medikamente mit THC und CBD, Cannabidiol, können bei Erwachsenen mit Tourette-Syndrom die Tics-Werte verbessern.

Das Tourette-Syndrom ist eine Nervenerkrankung, die mit Tics einhergeht, und unwillkürliche Bewegungen und Lautäußerungen verursacht. Als Tic bezeichnet man ein Krankheitssymptom, das eine kurze und unwillkürliche, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrende und teilweise komplexe motorische Kontraktion einzelner Muskeln oder Muskelgruppen verursacht. Unter dem Strich ist Tourette nicht heilbar. Nach wie vor behandelt man Tics verhaltenstherapeutisch sowie mit Psychopharmaka. Seit einigen Jahren wird nun Tetrahydrocannabinol (THC) sowie Cannabidiol (CBD) für die mögliche Anwendung untersucht – auch, weil viele Tourette-Patienten nach dem Konsum von Cannabis eine Linderung ihrer Symptome erfahren.

 

Medizinisches Cannabis bei erwachsenen Patienten mit Tourette-Syndrom

Im Grunde genommen gibt es bislang noch zu wenige ausreichende Erkenntnisse, um eine solche Behandlung empfehlen zu können. Dennoch setzen man weltweit zunehmend medizinisches Cannabis bei erwachsenen Patienten mit Tourette-Syndrom ein. Die pharmakologischen Wirkungen Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol wurden jedoch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht systematisch untersucht.

Eine aktuelle Studie der britischen Universität in Aberdeen zeigte jetzt, dass auch bei jungen Betroffenen die pharmakologische Wirkung von Tetrahydrocannabinol periphere, aber nicht zentrale motorische Tics wirksam umkehren kann. Weiter kann anscheinend aber CBD die motorischen Tics bei Jugendlichen nicht wirksam beeinflussen zu. Und die Tics bei Patienten mit Tourette-Syndrom könnten sich sogar verschlimmern.

 

Kosten von Cannabis-basierten Medikamenten werden bei Tourette-Syndrom nicht erstattet

Theoretisch können Cannabis-basierte Medikamente zwar auch heute schon verordnet werden, dies scheitert aber meist an der fehlenden Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Eben, weil die Wirkung von THC und CBD in der Behandlung von Patienten mit Tourette-Snydrom noch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. Alternativ können Patienten bereits heute Medizinal-Cannabis legal in der Apotheke kaufen.

 

Bundesweit größte Tic-Sprechstunde

Wie sehr Cannabis-basierte Medikamente zur Behandlung von Erwachsenen mit Tourette-Syndrom geeignet sind, versucht Professorin Dr. Kirsten Müller-Vahl aus der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) seit einigen Jahren zu erforschen.

Professorin Müller-Vahl hat bisher rund 2.500 Patienten mit Tourette-Syndrom und Tics in ihrer Sprechstunde kennengelernt. Es handelt sich um die größte Sprechstunde dieser Art in Deutschland, in der Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche behandelt werden.

„Das Cannabinoid-Rezeptor-System ist in unserem Körper weit verbreitet und dessen Stimulation führt zu vielfältigen Wirkungen. Deshalb helfen Cannabis-basierte Medikamente möglicherweise bei rund 50 Krankheiten beziehungsweise Symptomen“, sagt sie.

Professorin Müller-Vahl betreut unter anderem auch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit gut einer Million Euro unterstützte klinische Studie ONLINE-TICS. Dabei wird auf einer Internet-Plattform eine Verhaltenstherapie für die Behandlung von Patienten mit Tourette-Syndrom und Tics angeboten. So soll die Versorgungslücke geschlossen werden, die derzeit in Bezug auf erfahrene Verhaltenstherapeuten besteht. Patienten können an beiden Studien teilnehmen.


Literatur:

Gorberg V, McCaffery P, Anavi-Goffer S. Different responses of repetitive behaviours in juvenile and young adult mice to Δ9 -tetrahydrocannabinol and cannabidiol may affect decision making for Tourette syndrome. Br J Pharmacol. 2020 Oct 30. doi: 10.1111/bph.15302. Epub ahead of print. PMID: 33125731.

Billnitzer A, Jankovic J. Current Management of Tics and Tourette Syndrome: Behavioral, Pharmacologic, and Surgical Treatments. Neurotherapeutics. 2020 Aug 27. doi: 10.1007/s13311-020-00914-6. Epub ahead of print. PMID: 32856174.

Jakubovski E, Müller-Vahl K. Speechlessness in Gilles de la Tourette Syndrome: Cannabis-Based Medicines Improve Severe Vocal Blocking Tics in Two Patients. Int J Mol Sci. 2017;18(8):1739. Published 2017 Aug 10. doi:10.3390/ijms18081739

Abi-Jaoude E, Chen L, Cheung P, Bhikram T, Sandor P. Preliminary Evidence on Cannabis Effectiveness and Tolerability for Adults With Tourette Syndrome. J Neuropsychiatry Clin Neurosci. 2017;29(4):391‐400. doi:10.1176/appi.neuropsych.16110310

Latest Articles

Folgt uns auf Facebook!

Gehirn, Nerven und Psyche

Resilienz: die Kunst, psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken

Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandsfähigkeit, die uns auch ermöglicht, aus Krisen zu lernen und daraus gestärkt hervorzugehen. In einer idealen Welt wären wir vor Schicksalsschlägen,...
- Advertisement -

Related Articles

Neuroplastizität bei Schlaganfall

Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, seine Strukturen ein Leben lang ändern zu können. Dies kann man nach Schlaganfall sehr gut nutzen. Im Grunde genommen ist jeder Schlaganfall...

Neuropsychologische Diagnostik bei neuro­logischen Akutpatienten

Die neuropsychologische Diagnostik ist bei neuro­logischen Akutpatienten – wie mit Schlaganfall und Epilepsie  – von großer Bedeutung. Neurologische Akuterkrankungen – wie Zerebrale Ischämie oder Blutung,...

Fischöl und seine Omega-3-Fettsäuren gegen Psychosen bei Jugendlichen

Fischöl-Kapseln mit seinen mehrfach ungesättigten Omega 3-Fettsäuren konnten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Psychosen entgegenwirken. In einer systematischen Meta-Analyse haben Forscher die Auswirkungen von mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren...