Bis zum Jahr 2030 fehlen in Österreich rund 100.000 zusätzliche Fachkräfte im Pflege- und Sozialbereich – eine herausfordernde Situation, die nach einem Potpourri an Maßnahmen verlangt.
Fachkräftemangel. Dieser Begriff ist am Arbeitsmarkt seit ein paar Jahren allgegenwärtig. Vor allem der Pflege- und Sozialbereich ist davon schwer betroffen. Schon vor Corona war die Lage angespannt, die Pandemie hat die Situation jedoch weiter verschärft. Die Folge: Das österreichische Gesundheitssystem steht kurz vor dem Kollaps, organisatorische wie personelle Grenzen wurden in vielen Bereichen längst überschritten und es geht nur langsam in Richtung bessere Zukunft. Oder um es konkreter auszudrücken: Bis zum Jahr 2030 fehlen hierzulande rund 100.000 zusätzliche Pflegekräfte. Aber warum ist das eigentlich so und welche Lösungsansätze gibt es bislang? Der folgende Artikel klärt auf.
Von der Demographie bis zur Struktur: Gründe für den Pflegekräfte-Mangel
Der Grund für diese prekäre Situation lässt sich nicht auf einen einzelnen Faktor zurückführen – vielmehr sind es mehrere Aspekte, die den Mangel verschärfen. Grob können sie in vier Bereiche unterteilt werden:
– Demographie. Zunächst haben demographische Entwicklungen einen großen Einfluss auf die Situation, denn die Gesellschaft wird immer älter: Bis zum Jahr 2030 wird die Anzahl der über 85-Jährigen in Österreich auf rund 327.000 Menschen ansteigen. Das entspricht einem Plus von 45 Prozent. Gleichzeitig wird der prozentuelle Anteil der erwerbsfähigen Personen (20- bis Unter-65-Jährige) weiter sinken – nämlich von 62 auf rund 57 Prozent. Mit anderen Worten: Es wird künftig immer mehr Pflegebedürftige geben, allerdings zeitgleich immer weniger Menschen, die tatsächlich Ausbildungen im Pflege- und Sozialbereich machen können – und auch wollen. Derzeit wird ein Teil der fehlenden Arbeitskräfte durch ausländische Fachkräfte abgefedert, doch die Entlohnung dieser ist meist gering, die bürokratischen Hürden sind dafür umso höher. Hinzu kommt die Tatsache, dass rund ein Drittel des aktuellen Pflegepersonals über 50 Jahre alt ist – und somit nicht mehr lange arbeiten wird. Rollt diese Pensionierungswelle übers Land, wird sich die Situation weiter zuspitzen.
– Epidemie. Ein weiterer Grund hängt mit der Corona-Pandemie zusammen – und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen hat die Seuche vielen zu denken gegeben. Das heißt: Personen, die sich davor für Berufe im medizinischen Bereich interessiert haben, haben nun zu viel Respekt und Ehrfurcht vor der Tätigkeit und sich umentschieden. Zum anderen wurden strukturelle Unzulänglichkeiten, die insbesondere in Krisensituationen zum Tragen kommen, sichtbar, wodurch viele diesen beruflichen Bereichen den Rücken gekehrt haben oder erst gar nicht in der Pflege Fuß fassen wollen.
– Struktur. Zu den strukturellen Mankos, die speziell die Pandemie verdeutlicht hat, gehören zum Beispiel ungünstige oder ungesunde Arbeitszeiten, eine unzureichende Entlohnung, schlechte Arbeitsbedingungen oder Imageschwierigkeiten.
– Wirtschaft. Schließlich trägt auch der in puncto Nachwuchs fast leergefegte Arbeitsmarkt, in Kombination mit einer ausbaufähigen Rekrutierung von zukünftigem Pflegepersonal, zur Situation bei. Denn auch die Absolventen von Pflegeausbildungen gehen zurück. Aktuellen Auswertungen zufolge wird es der Ausbildungssektor so schon nächstes Jahr nicht mehr schaffen, die nötigen Pflegefachkräfte bereitzustellen. Bis 2030 bräuchte es jährlich zwischen rund 1.000 und 2.000 zusätzliche Absolventen, um den Bedarf zu decken. Auffallend sind hierbei auch die hohen Abbrecherquoten. Als positive Entwicklung bezeichnen Experten hingegen die neuen Fachschulen für Sozialberufe sowie die Höheren Lehranstalten für Sozialbetreuung und Pflege – damit kann eine Ausbildung im Pflegebereich früher gestartet werden. Dieser Versuch der Attraktivierung von Gesundheits- und Krankenberufen soll dem prognostizierten Abwärtstrend in dieser Berufssparte entgegenwirken.
Pflegereform: Paket mit 1 Milliarde Euro geschnürt
Ob nun im Krankenhaus oder in der häuslichen Pflege – kompetentes Personal fehlt, also an allen Ecken und Enden. Und genau deswegen wurde die Pflegereform ins Leben gerufen, die seit 2023 gilt. Hierfür wird zirka eine Milliarde Euro in die Hand genommen, wobei zwanzig Maßnahmen – von Verbesserungen für den Pflegeassistenzberuf bis hin solchen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige – ausgearbeitet wurden. So wurde etwa die Nachtarbeit von Pflegekräften aufgewertet und der Zugang zur sechsten Urlaubswoche erweitert. Ebenso gibt es erneut einen Gehalts-Bonus für Beschäftigte in Pflegeberufen. Außerdem wird auch das Pflegegeld weiterhin automatisch angepasst – für 2023 bedeutet dies eine Steigerung von 5,8 Prozent.
Weitere Verbesserungen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige sind etwa die Erhöhung des Erschwerniszuschlages bei der Pflegegeldeinstufung für Menschen mit einer schweren geistigen oder psychischen Beeinträchtigung, eine längere Antragsfrist beim Pflegekarenzgeld, Zuwendungen zu Kosten von Pflegekursen, Aufstockungen der Förderung für eine 24-Stunden-Pflege sowie ein Bonus für einen Teil der pflegenden Angehörigen.
Pflegekräfte und Auszubildende erhalten zudem mindestens 600 Euro Vergütung pro Monat bzw. pro Praktikumsmonat, Umsteigern auf bzw. Wiedereinsteigern in Pflegeberufe stehen unter gewissen Voraussetzungen 1.400 Euro monatlich zu und auch Maßnahmen zur Vereinfachung der Ausbildung, in puncto Zuwanderung und Kompetenzerweiterungen, stehen auf dem Plan. So sollen zugezogene Pflegekräfte zum Beispiel deutlich mehr Punkte für eine abgeschlossene Berufsausbildung erhalten, wodurch der Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte speziell für Pflegekräfte erleichtert wird.
Chancen für Nachwuchs und Umsteiger

Es tut sich also etwas in Sachen Pflege. Und insbesondere das Thema Ausbildung kommt ins Rollen. Denn durch das Pflegereformpaket soll auch die Pflegeausbildung attraktiver werden. Neben den bereits genannten Maßnahmen gibt es, vorerst als Modellversuch, auch eine Pflegelehre, bestehend aus drei oder vier Jahren, die mit dem Lehrabschluss Pflegefachassistenz bzw. Pflegeassistenz abschließt. Die bestehenden Schulversuche an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen werden wiederum ins Regelschulwesen übernommen.
Für Menschen, die eine Ausbildung im Pflegebereich anstreben, neu oder wieder in diese Sparte einsteigen, wurden somit nicht nur Anreize geschaffen, sondern es ergeben sich auch vielfältige Möglichkeiten. Aber nicht nur das: Auch die Ausbildung an sich führt zu einer großen Persönlichkeitsentwicklung, da die Bandbreite der Bewerber von 17 bis über 50 Jahren reicht. Schon während des Aneignens von Wissen kommt es also zusätzlich zu einer Erweiterung des eigenen Horizonts.
Darüber hinaus bedeutet Pflegeberuf nicht gleich Pflegeberuf: Es gibt jede Menge verschiedene Tätigkeitsbereiche – von der Heimhilfe über die Pflegeassistenz bis hin zur Gesundheits- und Krankenpflege.