Mittwoch, April 24, 2024

Sexueller Missbrauch von US-Studentinnen im ersten Semester

Sexueller Missbrauch von erstsemestrigen US-Studentinnen kann durch ein spezielles Trainingsprogramm zur Verhinderung von Vergewaltigungen erheblich reduziert werden.

Sexueller Missbrauch an amerikanischen Universitäten ist ein enormes Problem, dass sogar das Weiße Haus beschäftigt. Ein in den letzten Jahren eingesetztes Trainingsprogramm zur Verhinderung von Vergewaltigungen für erstsemestrige Studentinnen verminderte das Risiko sexuell missbraucht zu werden erheblich. Über diesen seltenen Erfolg bei dem Problem „sexueller Missbrauch“, gegen das in der Vergangenheit schon viele Präventionsbemühungen versagt haben, berichteten Forscher im renommierten New England Journal of Medicine.

 

Sexueller Missbrauch – ernste Gefahr an Universitäten

Sexueller Missbrauch beziehungsweise sexuelle Gewalt ist eine ernste Gefahr an den Hochschulen. Nach mehreren Schätzungen wird eine von fünf Studentinnen vergewaltigt. Das größte Risiko dazu besteht im ersten Jahr auf dem Campus. Als Folge von mehreren, von der Öffentlichkeit stark beachteten Campus-Vergewaltigungen, erließ das Weiße Haus Richtlinien für Hochschulen, wie sexueller Missbrauch zu verfolgen sei. MEDMIX berichtete unlängst über einer weitere Untersuchung, die eine noch erschreckendere Statistik an New Yorker Universität ergab: Dort wurden ein Drittel aller Studentinnen Opfer einer (versuchten) Vergewaltigung.

 

Sexueller Missbrauch und Wirkung von Selbstverteidigungskursen untersucht

In einer randomisierten Studie, veröffentlicht im New England Journal of Medicine, besuchten weibliche Erstsemestrige an drei kanadischen Universitäten Schulungen zur Bewertung von Risiken, Selbstverteidigungskurse und das Setzen von persönlichen sexuellen Grenzen. Die Studentinnen wurden ein Jahr nach Beendigung des Programms wieder befragt.

Die Gefahr vergewaltigt zu werden, lag bei den 451 Studentinnen, die nach dem Zufallsprinzip in das Programm aufgenommen wurden, bei etwa 5 Prozent, verglichen mit fast 10 Prozent bei den 442 Frauen in einer Kontrollgruppe, die nur Broschüren erhielten und an einer kurzen Informationsveranstaltung teilnahmen. „Nur 22 Frauen müssten noch an dem Programm teilnehmen, um eine weitere Vergewaltigung innerhalb eines Jahres zu vermeiden.“, folgerten die Autoren.

Sexueller Missbrauch wird auch im MEDMIX-Beitrag NYC: Vergewaltigung bei jeder dritten Studentin beschrieben.

Das Risiko von versuchter Vergewaltigung war sogar noch niedriger: 3,4 Prozent bei Frauen, die an dem Programm teilnahmen, im Vergleich zu 9,3 Prozent bei jenen, die nicht daran teilnahmen. „Es ist eine wichtige und präzise Studie, die zeigt, dass Widerstands- und Selbstverteidigungstraining Teil der hochschulinternen Präventionskampagne gegen sexuelle Übergriffe sein muss„, sagte Sarah E. Ullman, Professorin für Kriminologie und Rechtswissenschaft an der Universität von Illinois in Chicago, die an der Durchführung des Programmes beteiligt war. „Das wird zwar das Problem nicht lösen, aber es ist eine wichtige Maßnahme, der lange Zeit ein zu geringe Bedeutung beigemessen wurde.“ Andere Forscher lobten die Studie als eine der größten und vielversprechendsten Anstrengungen zum Thema „Sexueller Missbrauch“, denn ansonsten wimmelt es auf dem Gebiet nur so von zweifelhaften und unklaren Ergebnissen.

 

Sexueller Missbrauch sollte präventiv bei möglichen Opfern und Tätern ansetzen, meinen Kritiker der Studie

Kritiker sind mit der Philosophie des dem Programm zugrundeliegenden Schwerpunkts nicht einverstanden: die Schulung von Frauen als mögliche Opfer, anstatt sich mit dem Verhalten und Einstellungen von Männern, die potenziell Täter sein könnten, auseinanderzusetzen. Eine solche Strategie könnte das Risiko für einige Opfer reduzieren, sagte Sarah Degué, eine Verhaltensforscherin am Centers for Disease Control and Prevention, die für die Task Force im Weißen Haus die hochschulinternen Präventionskampagnen gegen sexuelle Übergriffe überprüft.

Durch das Programm sei auch durchaus möglich, dass sich potenzielle Täter einfach von den trainierten Frauen ab und den schwächeren Frauen zuwenden. Sarah Degué und andere Experten betonten deswegen auch, dass – um sexuellen Übergriffen umfassend zu begegnen – Hochschulen sowie Gymnasien und Mittelschulen vielschichtige Ansätze wählen sollten, um die Ursachen von Gewalt gegen Frauen und Männer zu berücksichtigen.

Charlene Y. Senn, die Hauptautorin der kanadischen Studie und Sozialpsychologin an der Universität Windsor, kann dem nicht widersprechen. „Das Programm gibt den Frauen das Wissen und die Fähigkeiten, die sie unmittelbar jetzt brauchen, aber die langfristige Lösung sollte sein, ihr Bedürfnis, sich zu überhaupt verteidigen zu müssen zu reduzieren“, sagte Dr. Senn, die auch ein Campus Bystander-Programm betreut.

Die Zwei-Jahres-Studie an den Universitäten von Calgary, Alberta, Windsor und Guelph in Ontario, wurde durch Komponenten anderer Programme und durch eine Trainingseinheit „Sexualität und Beziehung“ erweitert.

Studenten, die vor allem in den Psychologie-Klassen rekrutiert wurden, konnten alle vier „Drei-Stunden-Sitzungen“ über ein Wochenende oder in wöchentlichen Kursen belegen. Die Struktur wurde bewusst dynamisch gehalten und enthielt Rollenspiele, Diskussionen und Problemlösungsübungen.

 

Sexueller Missbrauch durch Bekannte und Drogen bzw. Alkoholeinsatz

Eine große Hürde laut Dr. Senn war, dass die jungen Frauen gelernt hatten, nur auf der Hut vor einem fremden Vergewaltiger zu sein, den finsteren Campus in der Nacht und die verlassenen Parkplätze zu fürchten. Die weitaus häufiger vorkommende Vergewaltigung durch einen Bekannten oder einen Dating-Partner, wurde nicht in Betracht gezogen.

Lindsey Boyes, eine 22 jährige Studentin an der University of Calgary, erfuhr erst bei einem Vortrag, dass Sex mit einer betrunkenen Person als sexuelle Nötigung definiert werden kann: Eine Person, die durch Alkohol oder Medikamente handlungsunfähig gemacht wurde, könne nicht legal die Zustimmung zu Sex geben. „Ich war zutiefst schockiert!“ sagte Boyes. „Mir wurde dadurch klar, dass ich in der High School vergewaltigt worden bin.“

Mit 16 war sie auf einer Party gewesen, trank zum ersten Mal Alkohol, und war sehr betrunken. Ein Junge, der ihr angeboten hatte, sie nach Hause zu fahren, vergewaltigte sie. Sie war am Boden zerstört. Seit Jahren hält sie sich selbst für „beschädigte Ware“. Aber das Programm brachte eine gewisse Erleichterung, sagte sie. „Keine Scham und schlechtes Gewissen mehr, dass es meine Schuld gewesen sein könnte“, sagte Lindsey.

Während des Programms lernen die Studierenden Strategien, sich bei gesellschaftlichen Anlässen durch sogenannte Buddy-Systeme zu schützen. Frau Boyes sagte, dass sie jetzt beispielsweise beim Ausgehen in Bars ihr Glas zudeckt, um sich gegen KO-Tropfen zu schützen.

Das kanadische Programm war auch wirksam für Frauen, die, wie Frau Boyes, schon bevor sie aufs College kamen, zum Opfer wurden.

Eine Studie über sexuelle Übergriffe auf erstsemestrigen Frauen, veröffentlicht in diesem Monat in The Journal of Adolescent Health, hat festgestellt, dass Frauen, die zuvor überfallen worden waren, bis zu sechs Mal häufiger in diesem ersten Jahr wieder Opfer wurden, als Frauen, die nie mit sexueller Gewalt konfrontiert waren.

 

Sexueller Missbrauch durch dem Opfer bekannte Täter ist besonders schwer zu verhindern

Das Thema Vergewaltigung wurde im Selbstverteidigungstraining fortgesetzt. Frauen können zwar psychologisch vorbereitet werden, physisch aggressiv gegenüber einem Fremden zu sein, sagte Dr. Senn, „aber wenn der Angreifer der Freund deiner Freundin ist, wirst du ihm doch nicht deinen Schlüssel ins Auge stoßen.“ Die meisten Frauen, die von Bekannten angegriffen werden, verwenden „Flehen und Weinen.“ „Das ist natürlich und erklärbar, aber nicht wirklich wirksam“, sagte Dr. Senn.

Und so wurde den Studentinnen beigebracht, wie man Umklammerungen der Handgelenke und Würgegriffe aufbricht und schreit. Die Gruppe trainierte Anschläge in verschiedenen sozialen Zusammenhängen, um den Frauen die wirksamsten Strategien beizubringen.

In der letzten Einheit wurden die Frauen gebeten, einvernehmliche und nicht einvernehmliche sexuelle Aktivitäten zu benennen, und wie gut sie den potentiellen Sexualpartner dazu kennen müssten.

Die Frauen sagten dies sei das erste Mal gewesen, dass sie über sexuelle Situationen gesprochen hätten, ohne dass es ihnen vorgeschlagen wurde. Mit der Klärung ihrer sexuellen Wünsche, konnten die Frauen eine definierte gemeinsame Grundlage verinnerlichen. Soweit Dr. Senn, die das Handbuch für das Programm schrieb, das demnächst noch durch zusätzliche Trainings ergänzt werden soll.

 

Sexueller Missbrauch und Gewaltprävention brauchen komplexe Lösungen

In einem Editorial zur Studie stellt Kathleen C. Basile, eine Verhaltensforscherin zum Thema sexueller Missbrauch und Gewaltprävention an der CDC, fest, dass es keine einfachen Lösungen für sexuelle Gewalt gäbe und betont, dass ein umfassender Ansatz unerlässlich sei. Diese Studie beschreibe eine effektive Intervention bei einzelnen Frauen. Aber die Last der Prävention würde auf die potenziellen Opfer abgewälzt und die wahre Verantwortung der Täter verschleiert.

Quellen zu sexueller Missbrauch:

Efficacy of a Sexual Assault Resistance Program for University Women

Charlene Y. Senn, Ph.D., Misha Eliasziw, Ph.D., Paula C. Barata, Ph.D., Wilfreda E. Thurston, Ph.D., Ian R. Newby-Clark, Ph.D., H. Lorraine Radtke, Ph.D., and Karen L. Hobden, Ph.D.

N Engl J Med 2015; 372:2326-2335June 11, 2015DOI: 10.1056/NEJMsa1411131

http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMsa1411131

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