Freitag, April 19, 2024

Moderne Bildgebung und Radiochirurgie

Die Zukunft der Strahlentherapie bringt schonende Therapien mit Hightech-Methoden – wie moderne Bildgebung und Radiochirurgie Patienten helfen.

Das Ziel der kurativen Strahlentherapie ist es, sämtliche Krebszellen des Primärtumors und der regionalen Lymphknoten zu vernichten und dabei umliegendes gesundes Gewebe so gut wie möglich zu schonen. Ob das gelingt, hängt dabei maßgeblich von der anatomischen Lage des Tumors ab.

In vielen Fällen gelingt das ohne Komplikationen. Bei anatomisch ungünstig gelegenen Tumoren, wie beispielsweise bei Hirntumoren des Typs Glioblastom multiforme oder lokal fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Lungenkarzinom kann die Wahrscheinlichkeit für Rezidive innerhalb des Bestrahlungsfeldes nach Bestrahlung jedoch sehr hoch sein, da die maximal mögliche Bestrahlungsdosis immer durch die maximale Toleranz des mitbestrahlen angrenzenden normalen Gewebes limitiert ist.

Diese Patienten würden von einer höheren Dosis im Tumor (bei gleicher Schonung des Normalgewebes) profitieren. Bei günstig gelegenen Tumoren, wo die Raten der lokoregionalen Kontrolle nach Radio- oder Radiochemotherapie hoch sind, profitieren Patienten von einer Verringerung der Dosis, da die Schäden an mitbestrahltem gesundem Gewebe verringert werden.

Die Aufgabe der Forschung und Entwicklung ist es, dieses Dilemma zu lösen. Zwei Aspekte erlauben eine erhebliche Erweiterung der therapeutischen Breite der Radioonkologie: einerseits die Verbesserung der Bildgebung zu einer immer genaueren Lokalisation des Tumors vor und während der Strahlentherapie und andererseits die physikalisch-technische Erhöhung der Präzision, mit der Strahlen verabreicht werden.

Der Zweck der bildgeführten Radiotherapie (IGRT) ist es, die Problematik der Neupositionierung des Patienten bei jeder Bestrahlungssitzung mit täglicher Bildgebung zu umgehen. Damit kann die Bestrahlung an die veränderte Lage oder Größe des Tumors angepasst werden. Standard bei der IGRT ist heutzutage die Erstellung einer Computertomografie (CT) zur Verifizierung von Lage und Größe des Zielvolumens direkt im Bestrahlungsraum.

Im Rahmen klinischer Studien wird aktuell die Magnetresonanz (MR)-geführte Strahlentherapie untersucht, welche prinzipiell auch funktionale, tumorspezifische Bildgebung ermöglicht, da hier spezifische Marker und Kontrastmittel zur besseren Unterscheidung von Tumor und Normalgewebe eingesetzt werden können. Die MR-Bildgebung hat den Vorteil des wesentlich besseren Weichteilkontrasts und der Patient wird keiner zusätzlichen Strahlendosis ausgesetzt. Weltweit sind momentan erst vier kombinierte Geräte zur MR-geführten Strahlentherapie im Einsatz und in den nächsten Monaten/Jahren werden weitere drei dieser Geräte auch in Deutschland (HD TÜ, M) installiert werden.

Eine präzisere Bestrahlung wird durch intensitätsmoduliernde Techniken, Robot-gesteuerte Radiochirurgie, oder auch durch neue Strahlarten wie Protonen oder Kohlenstoffionen erreicht. Heute werden „3D-konformale“ Techniken zur Bestrahlungsplanung angewendet, welche es ermöglichen, den Tumor in seiner dreidimensionalen, unregelmäßigen Form zu erfassen und von mehreren Seiten vollständig zu bestrahlen. Technisch wird das durch den Einsatz hochspezialisierter dynamischer Blenden realisiert.

Darüber hinaus ermöglicht die intensitätsmodulierende Radiotherapie (IMRT), die Einzeldosen jeder Bestrahlungssitzung (Fraktion) entsprechend zu wählen und anzupassen, dass die sich addierende Gesamtdosis optimal auf den ganzen Tumor verteilt wird und umliegendes gesundes Gewebe maximal geschont werden kann. Für kleine Zielvolumina ermöglicht die stereotaktische Radiotherapie sehr gute Ergebnisse:

Durch die Bestrahlung vieler Einzelfelder oder -bögen aus verschiedenen Winkeln erhält man einen sehr scharfen Dosisabfall außerhalb des Zielvolumens, was eine Anwendung höherer, sogenannter ablativer Dosen im Zielvolumen ermöglicht. In diesem Fall spricht man dann von Radiochirurgie, bei welcher wenige Fraktionen, oder gar nur eine Einzige ausreicht, um die benötigte Dosis zu applizieren.

Radiochirurgie

Kleine, gut abgrenzbare Tumore im Bereich des Gehirnes oder der Lunge können präzise und effektiv mittels Radiochirurgie behandelt werden. Durch einen steilen Dosisgradienten außerhalb des Zielvolumens werden benachbarte strahlensensible, gesunde Strukturen optimal geschont. Daher gehören auch Fehlbildungen der Blutgefäße im Gehirn zu den radiochirurgisch behandelbaren Erkrankungen. Beim sogenannten „Cyberknife“ ist der Bestrahlungskopf auf einem Roboterarm angebracht, sodass der Strahl bei Bedarf nachgeführt werden kann. Die Position des Patienten wird während der Bestrahlung ständig mit einem Röntgensystem kontrolliert, welches verschiedene anatomische Strukturen automatisch detektieren kann. Spezielle Algorithmen berechnen die Atembewegungen des Patienten im Voraus und können diese durch Steuerung des Roboterarmes millimetergenau ausgleichen. Dadurch kann die Bestrahlungsposition in Echtzeit an die Atembewegung angepasst werden, was die Präzision der Bestrahlung, beispielsweise von Lungenmetastasen, erheblich erhöht.

Eine weitere vielversprechende Technologie ist die Therapie mit Protonen oder schwereren Ionen wie Kohlenstoff. Die physikalische Basis für diese Vorzüge der Partikeltherapie gegenüber der Therapie mit Photonen liegt in ihrem Tiefendosisprofil: Während Photonen beim Durchdringen von Gewebe kontinuierlich Energie abgeben, erfolgt dies bei schweren Ionen wie Kohlenstoff erst in einer bestimmten Eindringtiefe, welche durch Wahl der entsprechenden Energie auf eine bestimmte Gewebetiefe fokussiert werden kann. Konkret bedeutet das: niedrige Dosis im Eintrittskanal des Strahles (auf dem Weg zum Tumor) und Energieabgabe in einem engen räumlichen Bereich, dem sog. „Bragg-Peak“, in dem der Tumor liegt. Somit kann man die höchsten Dosen direkt in den Tumor fokussieren. Das Gewebe in Strahlrichtung hinter dem Tumor bekommt dann, wenn überhaupt, nur noch sehr wenig oder keine Dosis mehr ab. In der klinischen Praxis sind die Unterschiede zwischen den Tiefendosisprofilen von Photonen und Protonen weit weniger groß als die einzelnen Strahlprofile nahelegen; die Konformität der Hochdosisregionen des Tumors bei moderner IMRT sind durchaus in vielen Fällen mit der der Partikeltherapie vergleichbar. Trotzdem bleiben zwei wichtige Vorteile der Partikeltherapie bestehen:

  • Erstens kann mit der Partikeltherapie eine hohe Dosiskonformität in Hochdosisregionen mit wesentlich weniger Strahlrichtungen erreicht werden, was mit einer signifikant niedrigeren Strahlenexposition des umliegenden Normalgewebes einhergeht. Daraus resultiert eine geringere Toxizität für das Normalgewebe und es ist anzunehmen, dass auch das Risiko für die Entwicklung eines Sekundärtumors als Spätfolge der Bestrahlung geringer ist, was vor allem bei pädiatrischen Patienten ein großer Vorteil ist.
  • Zweitens ist in Fällen, wo der Tumor in direkter Nachbarschaft von essentiellen Strukturen (wie beispielsweise dem Sehnerv) liegt, die Partikeltherapie besser geeignet, das gesamte Tumorvolumen mit der nötigen Dosis bei der Bestrahlung abzudecken, ohne dabei die empfindlichen benachbarten Bereiche zu zerstören.

Kürzlich wurden nun auch erste Langzeitdaten veröffentlicht, die belegen, dass die zusätzliche Bestrahlung mit Kohlenstoffionen (C-12 boost) von Patienten mit Tumoren der Speicheldrüse zu einem besseren Langzeitüberleben führen.

Fazit/Zusammenfassung. Wie die IMRT ist die IGRT nun in weiten Teilen Deutschlands verfügbar geworden und Entwicklungen hin zur bildgeführten Strahlentherapie berücksichtigen auch die Kompensation von bzw. Anpassung an Atembewegungen während der Bestrahlung. Weitere Verbesserungen, wie höhere örtliche und zeitliche Auflösung oder die Möglichkeit einer kontinuierlichen Bildgebung während der Strahlentherapie ohne zusätzliche Strahlenbelastung des Patienten mittels MRI sind Gegenstand aktueller Forschung und Entwicklung.

Die Ionentherapie hat potentiell geringere Nebenwirkungen durch geringere Bestrahlung von umliegendem Normalgewebe und bietet die Möglichkeit, hohe Dosen auch bei ungünstig gelegenen Tumoren aufgrund höherer biologischer Effektivität präzise zu applizieren. Sowohl State-of-the-art Photonen-Therapie als auch die Ionentherapie werden von weiteren Verbesserungen bildgebender Verfahren profitieren. Die bildgeführte Strahlentherapie wird zukünftig die Basis für Anpassungen der Dosis an anatomische Veränderungen zwischen den Fraktionen als auch für intrafraktionelle Bewegungskorrekturen bilden. Auch im Verständnis der molekularen Mechanismen der Radiobiologie liegt noch ein erhebliches Optimierungspotential für die Strahlentherapie und ist aktuell Gegenstand intensiver translationaler Forschung.

Quelle:

Professor Dr. med. Jürgen Debus Präsident der DEGRO
Professor Dr. med. Jürgen Debus
Präsident der DEGRO

Statement von Professor Dr. med. Jürgen Debus, Präsident der DEGRO, Ärztlicher Direktor der Klinik für RadioOnkologie und Strahlentherapie (Czerny-Klinik) am Universitätsklinikum Heidelberg anlässlich 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) vom 16.–19. Juni 2016.

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