Donnerstag, März 28, 2024

Einsatz von Antidepressiva im Alter beleuchtet

Die Wahrscheinlichkeit für ein gutes Ansprechen ist für Antidepressiva im Alter ähnlich hoch wie bei jüngeren, allerdings kommt es im Alter häufiger zu weiteren depressiven Episoden.

Aufgrund des Nebenwirkungsprofils der Anti­depressiva – bedingt durch die somatischen Komorbiditäten – sind beim Einsatz von Antidepressiva im Alter einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Eine aktuelle retrospektive Kohortenstudie zeigte beispielsweise, dass Antidepressiva das Risiko für eine Demenz erhöhten.

 

Depressionen im Alter

Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Störungen alter Menschen und betreffen in Europa etwa 10–18% der über 65-Jährigen. Obwohl Depressionen mit zunehmendem Alter häufiger sind, wird eine dementsprechende Diagnose seltener gestellt. Vielleicht passiert das deshalb, weil sie vorwiegend in leichter und mittelschwerer Ausprägung auftreten. Aber auch richtig erkannte Depressionen werden bei alten Menschen häufig nicht adäquat (z.B. nur mit Benzodiazepinen) oder gar nicht behandelt.

Depressionen jenseits des 65. Lebensjahres bleiben auch unbehandelt, da sieals »normal« und folglich als nicht behandlungsbedürftig interpretiert werden. Dies geschieht entsprechend einem weit verbreiteten »Altersstereotyp«, in dem Altern mit Abbau, Verfall, Krankheit und Depression gleichgesetzt wird.

 

Depressive Störungen alter Menschen

Die unipolare Depression ist als psychiatrische Störung mit verschiedener Schwere zu diagnos­tizieren. Sowohl bei der typischen »Major Depression« (MD) als auch bei der leichteren ­»Minor Depression« (mD), die bei alten Menschen häufig ist, muss immer auch mindestens eines der ersten beiden Symptome, also »Depressive Verstimmung« oder »Interessens- bzw. Freud­losigkeit« vorhanden sein.

Laut Studien werden Depressionen mit zunehmendem Lebensalter häufiger. Bereits die leichteren Formen von Depression gehen, besonders im Alter, mit herabgesetzter Lebensqualität, kognitiven Einbußen, erhöhter Suizidalität und vermehrten sozio­ökonomischen Kosten einher. Letzteres weil gerade diese Patienten oft zum Arzt gehen und häufig stationär in Krankenhäusern sind.

Weiters ist eine Chronifizierung des depressiven Syndroms möglich, sodass eine möglichst frühe Behandlung auch leichterer Formen der Depression notwendig ist. Dies beinhaltet neben der Therapie mit Antidepressiva, insbesondere auch die Psychotherapie, die bei Depressionen alter Menschen in ihren Möglichkeiten leider unterschätzt wird.

 

Therapie der Depression im Alter

Die Behandlung von Depressionen alter Menschen erfordert soziotherapeutische, psychotherapeutische und pharmakotherapeutische Maßnahmen. Soziotherapeutische Ansätze sollten die möglichst lange Eigenständigkeit der Probanden zum Ziel haben, Aktivitäten fördern und ein stabiles umfangreiches soziales Netzwerk anstreben.

Die Bereitschaft zu Psychotherapie ist in dieser Altersgruppe gering, obwohl grundsätzlich ein starkes Mitteilungsbedürfnis seitens der Probanden und somit ein ausgeprägtes Bedürfnis vorhanden ist, mit einem Psychologen über eigene Probleme zu sprechen. Allerdings in einem Rahmen, der nicht explizit als Psychotherapie oder psychologische Beratung definiert ist, vielleicht aus Scham oder weil damit eine Stigmatisierung befürchtet würde.

Liegen nicht nur einzelne depressive Symptome vor, sondern handelt es sich tatsächlich um ein depressives Syndrom, sollte eine medikamentöse Behandlung überlegt werden. Schwere oder mittelschwere Depressionen müssen, leichte depressive Syndrome können psychopharmakologisch behandelt werden. Die psychopharmakologische antidepressive Therapie bessert das depressive Syndrom oft bis zum Normalzustand, führt also zu guter Befindlichkeit, ausgeglichener Stimmungslage und normalem Antrieb, bessert Appetit, Schlaf und alle anderen depressiven Symptome.

Eine rein psychopharmakologische Therapie ist also in der Lage, die Depression auch ohne begleitende Psychotherapie zum Abklingen zu bringen. Dies gelingt umgekehrt mittels der alleinigen Psychotherapie ohne Medikamente nur bei leichten Depressionen.

 

Medikamentöse Therapie der Depression

Die ausschließlich ­medikamentöse Therapie der Depression, also der Verzicht auf psychotherapeutische Hilfe, greift bei jedem Schweregrad der Depression zu kurz. Der Patient wird nur in der Psychotherapie ausreichend über sich und seine Krankheit informiert. Er lernt, ein Neuauftreten der Krankheit selbst zu entdecken und entwickelt Strategien, sich Belastungen nicht so lange auszusetzen, bis wieder Depressionen als Ausdruck der gestörten Stressregulation seines Organismus auftreten. Psychotherapie ist also zur Prophylaxe weiterer depressiver Phasen notwendig.

 

Antidepressiva im Alter einsetzen

Alle Antidepressiva im Alter werden einschleichend dosiert verabreicht und beginnen in der Regel nach frühestens 8 bis 10 Tagen merkbar zu wirken. Dass ein Präparat bei einem alten Patienten die Depression nicht aufhellen kann, sollte bei ausreichender Dosierung erst nach einer Therapiedauer von vier Wochen behauptet werden.

Die Therapie mit tri- und tetrazyklischen Antidepressiva im Alter kann wegen schwerer Nebenwirkungen wie Schwindel, Blutdruck­abfall (Stürze), Verstopfung, Mundtrockenheit, Harnverhaltung etc. für jeden Patienten sehr unangenehm sein. Die Compliance für Antidepressiva im Alter im ambulanten Bereich ist sehr schlecht.

Weiters sind klassische Antidepressiva bei suizidalen Patienten gefährlich, da der Inhalt einer verschriebenen Packung für den Suizid ausreicht. Wegen dieser vielfältigen und teils bedrohlichen Nebenwirkungen, wobei bei alten Menschen auch Verwirrtheitszustände ausgelöst werden können, sind polyzyklische Antidepressiva im Alter heute für viele Psychiater nur mehr Medikamente 3. Wahl.

Mit den modernen Präparaten und genügend Zeit für eine Aufklärung des Patienten über die Medikamente, die Notwendigkeit der langen Einnahme und den verzögerten Wirkungseintritt der Antidepressiva im Alter, gelingt eine regelmäßige Einnahme dieser Medikamente bei etwa 80% der Patienten.

 

Nebenwirkungen

Wichtig ist der Hinweis, dass auch die modernen Antidepressiva Nebenwirkungen haben, die besonders in den ersten Tagen der Therapie deutlicher zutage treten. Diese Nebenwirkungen wie Unruhe, Tremor, Übelkeit oder Kopfweh legen sich jedoch meist in der ersten Therapiewoche. Nur Patienten, die diese Nebenwirkungen kennen, werden die Medikamente auch wirklich einnehmen.

Viele Patienten benötigen wegen Begleitsymptomen der Depression wie Schlafstörung, Wahn oder Suizidalität auch eine begleitende Medikation mit Tranquilizern (zeitlich begrenzt; Achtung Suchtgefahr!) oder Neuroleptika (Achtung auf motorische Nebenwirkungen!).

Forscher konnten kürzlich auch ein möglicherweise erhöhtes Demenzrisiko durch Antidepressiva zeigen.

 

Antidepressiva im Alter mit analgetischer Wirkweise

Viele alte Menschen mit Depressionen leiden auch unter Schmerzen. Schließlich haben Antidepressiva auch eine analgetische Wirkweise – unabhängig von der antidepressiven. Gewisse Antidepressiva werden daher auch bei chronischen Schmerzen ohne Depression als Mittel 1. Wahl empfohlen. Bei Depressionen mit Schmerzsymptomatik alter Menschen bieten sich daher besonders moderne Antidepressiva an, für die der analgetische Effekt sehr gut oder zumindest gut belegt ist.

Die Leber verstoffwechselt fast alle Antidepressiva in unwirksame Metabolite, sodass bei Störungen der Leberfunktion deutlich niedriger dosiert werden muss. Bei den meisten Medikamenten muss auch bei Störungen der Nierenfunktion, die ja altersabhängig ist, niedriger dosiert werden.

Bei vielen Antidepressiva besteht ein deutliches Potenzial für pharmakologische Interaktionen, die auch Medikamente anderer Fächer betreffen.

 

Antidepressive Pharmakotherapie alter Menschen im Längsschnitt

Jede antidepressive Pharmakotherapie gliedert sich im im zeitlichen Ablauf folgendermaßen:

  • Akuttherapie bis zum klinischen Abklingen der depressiven Symptome,
  • Erhaltungstherapie bis zum vermuteten Ende der depressiven Episode sowie
  • Rezidivprophylaxe, also die Verhinderung neuer depressiver Phasen.

Die Akuttherapie dauert bis zu vier Wochen. Bei mangelhaftem Ansprechen mit der Notwendigkeit eines weiteren Therapieversuchs auch länger. Dies ist vor allem auch beim Wechsel eines Antidepressivums oder einer Kombination wegen zu geringer Wirkung der Fall. Wenn der Arzt nach dem Ansprechen, also nach dem Abklingen der depressiven Symptome, das Antidepressivum in seiner Dosis sofort wieder reduziert oder gar abgesetzt, so kommt es meist – wiederum mit einigen Tagen bis zwei Wochen Verzögerung – zum Rückfall in die depressive Symptomatik.

 

Akuttherapie und Erhaltungstherapie mit Antidepressiva im Alter

Erst wenn die neurobiologisch definierte, depressive Reaktionsbereitschaft des Gehirns beendet ist, kommt es nach Absetzen des Antidepressivums nicht mehr zum Rückfall in die depressive Episode. Dies passiert im Mittel sechs Monate nach Beginn der depressiven Episode. Dementsprechend folgt auf die Akuttherapie der Depression die Erhaltungstherapie.

Heutzutage nehmen alte Menschen ihre antidepressive Therapie nach Ansprechen weitere 6 bis 12 Monate in der ursprünglichen Wirkdosis ein. Das heißt, dass der sich nun gesund, tatkräftig und gut gelaunt fühlende Patient weiterhin das Antidepressivum einnehmen soll, wozu Aufklärungsarbeit zu leisten ist.

Die andauernde Einnahme eines Antidepressivums kann weitere depressive Phasen bei etwa 80% der Patienten verhindern. Therapeuten wählen gerne diese Behandlung, wenn sie weitere depressive Phasen erwarten. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn in der Vergangenheit jedes oder jedes zweite Jahr eine Depression auftrat.

Da Depressionen älterer Menschen zur häufigen Wiederkehr neigen, kann auch nach dem 65. Lebensjahr eine Dauertherapie in der Wirkdosis verschrieben werden. Dies sollte der Arzt allerdings mit ­jedem Patienten ausführlich besprechen.

 

Psychotherapeutisch und soziotherapeutische Interventionen

Fast jeder Patient mit Depression glaubt, selbst dafür verantwortlich zu sein. Beziehungsweise dass äußere Ereignisse wie Verluste und Schmerzen die Depressionen verursachten. Schließlich sehen wenige Patienten darin eine »Krankheit« und wollen keine medikamen­töse Therapie.

Es ist wichtig, mit dem Patienten seine Ansichten bezüglich der Ursache und des Krankheitsgehalts seiner Beschwerden zu besprechen. So wichtig die psychopharmakologische Behandlung eines depressiven Syndroms ist, so falsch ­wäre es, Depressionen ausschließlich mit Medikamenten zu behandeln. Die Behandlung sollte immer auch psychotherapeutisch – oft auch soziotherapeutisch – erfolgen. Dies gilt insbesondere für den alten Menschen.


Literatur:

Chenkun Wang, Sujuan Gao, Hugh C. Hendrie, Joe Kesterson, Noll L. Campbell, Anantha Shekhar, Christopher M. Callahan. Antidepressant use in the elderly is associated with an increased risk of dementia. Alzheimer Dis Assoc Disord. 2016 Apr-Jun; 30(2): 99–104.


Quelle: Antidepressiva beim alten ­Menschen. Ao. Univ.-Prof. DDr. Peter Fischer. MEDMIX 8/2007

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