Das Burnout-Syndrom ist eine komplexe psychische Erkrankung mit den Symptomen Erschöpfung, Entfremdung, Burnout Gleichgültigkeit und Leistungsabfall.
Ein Burnout-Syndrom zeichnet sich durch die Trias Erschöpfung – Entfremdung – Leistungsabfall aus. Diese Trias wird heute nur dann als Burnout-Syndrom bezeichnet, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Viel bzw. Zuviel an Arbeiten auftritt. Störungen, die auf ein Zuwenig an Arbeit („Bore-out“) zurückzuführen sind bzw. die bei gleicher Phänomenkonstellation überhaupt nichts oder nur sehr wenig mit Arbeit zu tun haben, sind davon zu unterscheiden.
Aber auch die Diagnose eines bloßen Erschöpfungssyndroms oder einer Erschöpfungsdepression wird der Komplexität des Burn-out mit den Symptomen Erschöpfung, Entfremdung und Leistungsabfall keineswegs gerecht. Nicht jede Depression ist mit einer im Rahmen eines Burn-out-Syndrom-Prozesses auftretenden Depression gleichzusetzen. Ganz zu schweigen von jenen Burnout-Syndrom-Fällen, in denen (noch) keine depressive Symptomatik im eigentlichen Sinne festzustellen ist.
Das Burnout-Syndrom als Prozess
Das Burn-out-Syndrom entsteht nicht plötzlich, es kommt also nicht quasi aus dem Nichts. Ganz im Gegenteil, es nimmt in der Regel eine über längere Zeitstrecken hinweg reichende Entwicklung, die im Gesunden beginnt und im Kranken endet.
Ein sehr charakteristischer Umstand für Burnout-Entwicklungen ist, dass Burnout-Betroffene in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle erst sehr spät konkrete Hilfestellungen hinsichtlich ihrer Burnout-Problematik in Anspruch nehmen – übrigens ganz entgegen der weit verbreiteten Ansicht von Burnout-Syndrom-Kritikern, die meinen, dass es sich bei an Burn-out-Syndrom-Leidenden nur um besonders „wehleidige“ oder „schwache“ Mitarbeiter handelt, die schon bei geringsten Belastungen überfordert oder überhaupt nur arbeitsscheue, rentenbegehrende Simulanten wären.
Gesundheit und Krankheit können heute nicht mehr als überschneidungsfreie Gegensätze gesehen werden. Wir alle befinden uns auf einem Kontinuum zwischen den beiden fiktiven Polen „völlig gesund“ und „völlig krank“.
Niemals sind wir völlig gesund, also ganz ohne jegliche kranke Anteile. Selbst in Zuständen, die wir übereinkunftsgemäß als „gesund“ ausweisen, finden sich in unserem Körper beispielsweise „Krebszellen“ oder „Krankheitserreger“, allerdings von unserem Immunsystem so weit in Schach gehalten, dass eine ins Schwerkranksein führende Massenreaktion ausbleibt. Niemals sind wir auch völlig krank; selbst in Stadien schwerer Erkrankung bleiben uns immer noch gesunde Anteile.
Angehörige von Gesundheitsberufen, die Patienten mit Bewusstseinsstörungen haben, hatten ein besonders hohes Risiko für ein Burnout-Syndrom.
Auch diejenigen Menschen, die Burnout-Syndrom-Zeichen aufweisen, befinden sich auf einem solchen Kontinuum, das vom „Gesunden“ bis zum Pathologischen reicht. In ein Burn-out zu kommen oder ein Burnout-Syndrom zu haben, heißt nicht schon in jedem Fall auch krank zu sein.
Gerade in den Frühstadien des Burnout, die sich in chronischer Müdigkeit, Erschöpfung, Entfremdung und Gleichgültigkeit äußern, kann in der Regel noch nicht von einer Krankheit gesprochen werden. Demgegenüber ist im Vollausprägungsgrad mit deutlichen Zeichen von Depression, totaler Erschöpfung, Entfremdung, Leistungsabfall sowie multiplen körperlichen Störungsfeldern ganz ohne jeden Zweifel von einem Krankheitszustand im engeren Sinn auszugehen.
Übrigens tritt das Burnout-Syndrom häufiger bei Angehörigen der Gesundheitsberufe auf. Dies ist ein wichtiges Problem der beruflichen Belastung. Denn Burnout kann den emotionalen Zustand, die Gesundheit, die medizinische Qualität und die Beziehung zwischen Arzt und Patient von Angehörigen der Gesundheitsberufe ernsthaft beeinträchtigen.
Burnout-Syndrom: Die 3 Stadien
Burnout-Syndrom Stadium I
Das „Problemstadium“ ist vorerst durch eine dem Betroffenen selbst noch unerkannt gebliebene Überlastung und Überforderung gekennzeichnet. Charakteristisch ist hier der noch unbewusste Einsatz von Kompensationsmechanismen wie zeitlich und leistungsmäßig intensivierter Arbeitsaufwand einerseits und verminderte Ruhezeiten beziehungsweise Freizeitaktivitäten andererseits. Der Wahlspruch lautet noch „Ich kann alles …“
Im Weiteren werden dann nicht nur die eigenen Bedürfnisse, sondern auch die Beziehungen zu Mitmenschen vernachlässigt. Im emotionalen Bereich findet sich eine erhöhte Reizbarkeit mit je nach Erziehung und Selbstkontrolle mehr oder weniger stark ausgeprägten aggressiven Verhaltensweisen. Die Betroffenen beklagen Unruhe und Spannungszustände, nicht selten auch Schlafstörungen, die sich vorzugsweise als Einschlafstörungen manifestieren.
Typisch sind auch erste „Appetenzstörungen“, die in vermindertem Appetit bis hin zur Appetitlosigkeit, manchmal aber auch in verminderter sexueller Appetenz sichtbar werden.
Auch erste vegetative „Hyper-arousal Reaktionen“, die beispielsweise als leichte Herzfrequenzerhöhungen, diskrete Blutdruckerhöhungen (vor allem des diastolischen Wertes) und leichtes Schwitzen in Erscheinung treten, finden sich schon in diesem ersten Stadium.
Eindeutige Krankheitszeichen fehlen hier aber noch völlig, was allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass viele sich in diesem Stadium des Burn-outs Befindende bereits ausgeprägte Leidenszustände beklagen.
Burnout-Syndrom Stadium II
In diesem „Übergangsstadium“ ist dem Betroffenen die arbeitsbedingte Überlastung und Überforderung bereits bewusst, er hat aber noch den Eindruck, dass „er noch alles schaffen kann“. Wie im Stadium I, nur wesentlich stärker ausgeprägt, werden die eigenen Bedürfnisse und die Beziehungen zu anderen vernachlässigt. Die Folgen sind völlige Zentrierung auf die Arbeit und zunehmender sozialer Rückzug.
Die erhöhte Aktivität des Sympathikotonus führt zu vegetativen Dysregulationen, die in Spannungszuständen, innerer Unruhe und Ängsten erlebt werden. Zu den Einschlafstörungen gesellen sich nun oft auch Durchschlafstörungen. Darüber hinaus treten auch unspezifische „psychosomatische“ Beschwerden beziehungsweise somatoforme Störungen auf, die meist das Herz-Kreislauf-System beziehungsweise das Verdauungssystem und oft auch die Haut und den Bewegungsapparat betreffen.
Im emotionalen Bereich geht die anfängliche erhöhte Reizbarkeit in eine erhöhte Gereiztheit über, wobei auch Zeichen der Dysthymie (chronische depressive Verstimmung) zunehmen. In diesem Stadium fällt es oft nicht leicht, mit Sicherheit eine Zuordnung zum „noch Gesunden“ beziehungsweise zum „schon Kranken“ zu treffen.
Burnout-Syndrom Stadium III
In diesem „Erkrankungsstadium“ fühlen sich die Betroffenen völlig erschöpft und „ausgebrannt“, es kommt neben Erschöpfung zu einer Entfremdung und starkem Leistungsabfall. Eine sowohl subjektiv erlebte wie auch objektiv beobachtbare partielle beziehungsweise später dann auch absolute Arbeitsunfähigkeit ist die Folge. Der zunehmende soziale Rückzug führt in die völlige soziale Isolation mit zunehmenden sozialphobischen Elementen.
Chronische Schmerzsyndrome, massive Schlafstörungen im Sinne eines insgesamt verkürzten Schlafes bis hin zu Insomnie oder aber massiv verlängerter Schlaf, chronische Schmerzsyndrome und manifeste körperliche Erkrankungen, die in enger Verbindung mit dem Burn-out-Geschehen stehen, sind keineswegs mehr eine Seltenheit.
Die Gereiztheit geht in eine krankheitswertige Dysphorie (gereizte Missstimmung) über, die ihrerseits dann in eine ausgeprägte Depression münden kann. Am Ende steht das für schwere Depressionen so typische völlige „Losigkeitssyndrom“ mit Freudlosigkeit, Lustlosigkeit, Interesselosigkeit, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Aussichtslosigkeit bis hin zum Lebensüberdruss.
Das Erlebnisfeld des Betroffenen ist geprägt vom Wissen „Ich kann nicht mehr…“. In diesem Stadium angelangt, ist Burn-out immer ein komplexes Krankheitsgeschehen, das entsprechender umfassender diagnostischer, therapeutischer und arbeitsrehabilitativer Maßnahmen bedarf.
Mehrdimensionaler differentialdiagnostischer Prozess beim Burnout-Syndrom
Da das Burnout-Syndrom in jedem Fall im Stadium III, aber zumindest bis zu einem gewissen Grade auch schon in den früheren Stadien ein komplexes Geschehen ist, das durch das Zusammenspiel von verschiedenen von außen und von innen wirksamen körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren sowie deren Bedeutung und der Bedeutung des Leidens selbst bedingt ist, braucht es einen mehrdimensionalen differentialdiagnostischen Prozess, in dem alle für die Entstehung, die Entwicklung und den Fortbestand verantwortlichen Bedingungskonstellationen dingfest gemacht werden, um damit die Grundlage für zielführende Beratungs-, Behandlungs- beziehungsweise Rehabilitationsmaßnahmen zu schaffen.
Eine solche mehrdimensionale Diagnostik fokussiert primär auf Einzelphänomene und auf deren pathogenetische Faktoren. Vor allem für psychotherapeutische Interventionen ist aber ein über das reine Erklären von einzelnen Zusammenhängen hinausreichendes vertieftes Verstehen der Prozesse unabdingbar. Und nicht zuletzt ist gerade bei an Burnout-Leidenden ein umfassendes Wissen um die Ressourcen des Einzelnen notwendig, um therapeutische beziehungsweise rehabilitative Maßnahmen zielgenau setzen zu können.
Stadium I: Ressourcen des Schönen, Möglichen entfalten und als Kraftquellen und Regenerationshilfen entwickeln
Wenn sich nämlich ein Betroffener noch im Stadium I befindet, dann braucht es erstens eine umfassende arbeitspsychologische Analyse der Arbeitssituation. Zweitens sollte eine grundlegende medizinische Untersuchung zur Stadienfeststellung und zum Ausschluss etwaiger körperlicher beziehungsweise psychischer Erkrankungszustände erfolgen. Drittens sollten betroffene Personen vor allem auch fachgerechte allgemeine Informationen zum Burnout-Geschehen erhalten. Das beinhaltet eine individuelle Beratung zur jeweiligen Situation sowie Hilfestellungen für weitreichende Lebensneugestaltung. Schließlich sollte all dies dem Einzelnen wieder ermöglichen, mit den ihm gegenüberstehenden Gegebenheiten gut umgehen zu können.
Ganz im Vordergrund stehen hierzu die Entwicklung und Entfaltung von Ressourcen des Schönen und des Möglichen als Kraftquellen und Regenerationshilfen. Umfassende stationäre beziehungsweise teilstationäre Behandlungsangebote beziehungsweise gar komplexe Rehabilitationsmaßnahmen machen hier noch keinen Sinn.
Ein den Betroffenen für eine Zeit lang In-den-Krankenstand-Schreiben ist keineswegs ausreichend. Damit kann man dem Burnout-Geschehen nicht zielführend begegnen. Vor allem kann man dadurch nicht eine Weiterentwicklung in Richtung Stadium II oder III verhindern.
Stadium II: Noch-Gesund oder Schon-Krank
Im Stadium II ist die sorgfältige Bewertung notwendig, ob es sich um einen Zustand im ,,Noch-Gesunden“ oder im „Schon-Kranken“ handelt. Dementsprechend braucht es hier die Einleitung eines umfassenden differentialdiagnostischen Prozesses durch Fachkundige.
Da eine mehrdimensionale prozessorientierte, verstehensorientierte und ressourcenorientierte Diagnostik auf alle körperlichen, psychischen und sozialen Bedingungskonstellationen zu fokussieren hat, denen im Rahmen der Entwicklung und des Fortbestands eines Burnout Bedeutung zukommt, ist ein solche umfassende differentialdiagnostische Abklärung am besten von einem Diagnoseteam durchzuführen, das sowohl über medizinische wie auch arbeitspsychologische sowie darüber hinausreichend auch über psychiatrisch-psychotherapeutische Kompetenzen verfügt.
Vor allem dort, wo sich bereits erste Krankheitszeichen zeigen, sind auch erste therapeutische Maßnahmen zu setzen, die über bloße Beratung und einfache Hilfestellungen hinausgehen.
Stadium III erfordert ein komplexes Behandlungskonzept beziehungsweise Rehabilitationspaket
Im Stadium III gilt es dann, ein komplexes Behandlungs- bzw. Rehabilitationspaket zu schnüren. Dazu braucht es zuvorderst eine verstehensorientierte dialogische Therapiezielsetzung und Behandlungsplanung, in die nicht nur die Defizienzen der Betroffenen und die mannigfachen „komorbiden“ körperlichen, psychischen und sozialen Störungen, sondern vor allem auch die Ressourcen der Einzelnen mit einbezogen werden.
Oberstes Ziel ist es dabei, dem Burn-out-Erkrankten wieder ein möglichst autonomes und freudvolles Leben zu ermöglichen. Die Grundlagen für ein solches können dann auch als Ausgangspunkt für rehabilitative Wiedereingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsprozess dienen.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass mit Erreichen des Stadiums III der prozesshafte Verlauf des Burnout noch keineswegs abgeschlossen ist. So sind in den Anfangsstadien des Stadiums III Vollrehabilitationen durchaus anzustreben, während sich diese in den Spätstadien als nur noch sehr schwer erreichbar erweisen.
Partielle Reintegrationsschritte beim Burnout-Syndrom von essentieller Bedeutung
In jedem Fall braucht es hier die Möglichkeit von „partiellen“ Reintegrationsschritten. Ein Alles-oder-nichts-Prinzip ist in der Arbeitsrehabilitation beziehungsweise Arbeitsreintegration als realitätsverweigernde Haltung abzulehnen. Und zwar wenn Betroffene nur danach gefragt werden, ob sie arbeitsfähig sind oder eben nicht.
Dadurch kommt es oft vor, dass man Menschen, bei denen schrittweise durchaus eine Rehabilitation und Reintegration in die erste Arbeitswelt möglich wäre, von einer solchen mutwillig und artifiziell ausschließt.
Ein nachhaltiges Ausschließen aus dem Arbeitsmarkt, wie beispielsweise durch Maßnahmen zur Pensionierung, sollte im fortgeschrittenen Stadium III überhaupt nur dann erfolgen, wenn alle Behandlungs- beziehungsweise Rehabilitations- beziehungsweise Reintegrationsmaßnahmen ausgeschöpft wurden und sich leider nicht als erfolgreich erwiesen haben.
Literatur:
Wang J, Wang W, Laureys S, Di H. Burnout syndrome in healthcare professionals who care for patients with prolonged disorders of consciousness: a cross-sectional survey. BMC Health Serv Res. 2020;20(1):841. Published 2020 Sep 7. doi:10.1186/s12913-020-05694-5
Musalek M. Zur Ideengeschichte des Burn-out. In, Musalek M, Poltrum M (Hrsg.) Burn-out. Glut und Asche. Parodos, Berlin 2012
Machleidt W, Bauer M, Lamprecht F et al., Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. 6.Aufl., Thieme, Stuttgart 1999
Berger M, Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie. 4. Aufl., Urban & Fischer, München 2012
Musalek M, Von einer kategorialen zu einer mehrdimensionalen Diagnostik. In: Brücher K, Poltrum M (Hrsg.) Psychiatrische Diagnostik. Parodos, Berlin 2013
Musalek M, Das Mögliche und das Schöne als Antwort. Neue Wege in der Burn-out-Behandlung. In: Musalek M, Poltrum M (Hrsg.) Burnout Glut und Asche. Parodos, Berlin 2012
Quelle:
Burn-out: Eine komplexe psychische Erkrankung. Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek. Lundbeck Presseforum Psychiatrie 2015. www.api.or.at