Dienstag, April 16, 2024

Asymptomatische Carotisstenosen und ihre Symptome

Carotisstenosen sind Verengungen der hirnversorgenden Gefäße Arteria carotis communis (ACC) oder der Arteria carotis interna (ACI).

Duplexsonographisch fassbare Veränderungen im Bereich der extrakraniellen Carotiden finden sich verhältnismäßig häufig. Dabei kommt es ganz eindeutig zu einer altersbedingten Steigerung der Inzidenz von Carotisstenosen einschließlich möglicher Symptome. Nur ungefähr ein Zehntel der Patienten, die älter als 75 Jahre sind, zeigen duplexsonographisch völlig unauffällige extrakranielle Carotiden. Hochgradige Engstellen finden sich im Vergleich dazu weniger häufig.

Das Ausmaß der »hochgradigen« Carotisstenosen sollte zumindest 70% Lumen­verlust, laut duplexsonographischer Quantifikation, sein, um als höhergradig zu gelten. Als wesentlicher Parameter hierfür gilt die »Carotid-Ratio«.



Diese errechnet sich durch Quotientenbildung aus der maximalen systolischen Flussgeschwindigkeit im Stenosenbereich der Arteria carotis interna und drei Zentimeter vor der Carotisbifurkation im Verlauf der Arteria carotis communis. Ein Quotient von >4 gilt allgemein als Marker für das Vorliegen einer hochgradigen Stenose.

Das Vorhandensein einer hochgradigen Stenose der extrakraniellen Carotiden ist bewiesenermaßen mit einer Zunahme gleichseitiger cerebrovaskulärer Insultgeschehen assoziiert. Umgekehrt haben aber nur ca. 20% der Patienten mit amtlichen cerebrovaskulären Schlaganfällen tatsächlich relevante Veränderungen im extrakraniellen Carotis-Stromgebiet.

 

Vier Fünftel der Schlaganfälle sind ischämischer Natur, davon sind zwei Drittel entweder kardioembolischer Genese oder die Ursache bleibt letztlich unentdeckt.

Bei dokumentierter höhergradiger Stenose der extrakraniellen Arteria carotis interna und fehlender korrespondierender permanenter oder temporärer Schlaganfallsymptomatik gilt diese Stenose als asymptomatisch. Andernfalls spricht man von symptomatischen Carotisstenosen.

In anderen Gefäßbezirken ist diese Unterscheidung in symptomatisch respektive asymptomatisch nicht allgemein üblich. So gelten Stenosen im peripher-arteriellen oder koronaren Bereich bestenfalls als gut kompensiert, aber eigentlich nicht als asymptomatisch.

Darüber hinaus scheint sowohl peripher-arteriell als auch koronar das Ausmaß des Missmatches aus benötigten und »gelieferten« oxygeniertem Blut darüber zu entscheiden, ob im Effektorgan, beziehungsweise der entsprechenden Muskulatur ischämie-bedingt Funktionsbeeinträchtigungen auftreten.

Darüber hinaus sind koronar wie auch im peripher-arteriellen Bereich Belastungstests etabliert, um das Ausmaß möglicher malperfusionsbedingter funktioneller Beeinträchtigungen zu objektivieren.

Indikationen zu Ergometrie, Laufbandtests oder Myokard-Szintigraphien werden häufig gestellt, um Klarheit über die Relevanz etwaiger Koronar- respektive peripherer Arterienstenosen zu erlangen. Das Niveau einer Funktionsbeeinträchtigung spielt umgekehrt im Bereich der Stenosen im Carotis-Stromgebiet keine herausragende Rolle.



 

Fallbeispiel Phineas Gage

Das Gehirn ist sehr komplex und strukturelle Alterationen führen zu einem mehr oder weniger großen Funktionsverlust wie beeinträchtigter Motorik, Sensibilität, Sensorik oder Sprache. Aber, ist das alles? Ist die Ischämie bedingte Funktionseinbuße so simpel abzufragen oder steckt mehr dahinter?

Die bekannte Krankengeschichte des US-Amerikaners Phineas Gage aus dem 19. Jahrhundert scheint für diese Fragestellung ein relevantes und hochinteressantes Beispiel zu sein. Gage war Bauarbeiter einer Eisenbahngesellschaft und erlitt 1848 im Zuge eines Explosionsunfalles ein schweres Schädel-Hirn-Augen-Trauma. Dabei bohrte sich eine mehrere Zentimeter dicke Me­tall­strebe unter dem linken Auge bis quer durch das Frontalhirn.

 

Mögliche Symptome von Carotisstenosen

Carotisstenosen (Bereich Arteria carotis externa) hat man schon vor mehr als 30 Jahren mit Symptome wie Masseter-Claudicatio und Dysphagien in Zusammenhang gebracht. Nachdem das Gehirn ja bekannterweise nicht zur Muskulatur gerechnet wird, muss man zwangsläufig zur Beurteilung von Hypoxie bedingten Funktionseinbußen andere Symptome als ischämische Schmerzen oder muskuläre Dysfunktion heranziehen.

Erstaunlicherweise überlebte Phineas Gage dieses Unglück. Wobei er »lediglich« das linke Auge verlor. Sprache, Motorik, Sensibilität und Sensorik schienen allerdings unaffektiert.

Im Allgemeinen galt Phineas Gage als gewissenhaft, umsichtig, zu­rück­haltend und sehr umgänglich. Der Unfall veränderte sein Wesen allerdings nachhaltig. Zuletzt galt er als vergesslich, launisch, jähzornig und cholerisch. Motorische Schwäche, Sensibilitätsstörungen oder Störungen seiner Sensorik sind allerdings nicht überliefert worden.

Im Lichte der klassischen ischämie-bedingten cerebralen Beeinträchtigung, würde man diesen Patienten heute als asymptomatisch klassifizieren? Weiter belegen tierexperimentelle Daten, dass eine chronische cerebrale Hypoxie zu einer Rarefizierung der weißen Substanz ohne direkte Abgrenzbarkeit ischämie-typischer Läsionen führt.

Darüber hinaus konnten Forscher im Tiermodell zeigen, dass eine derartige Malperfusion auch zu einer signifikant geringeren Lernkurve führt.

Mit verschiedenen neurokognitiven Testverfahren ist es möglich, die unterschiedlichsten höheren kortikalen Leistungen zu quantifizieren. So konnte in Studien gezeigt werden, dass eine Stenose im Bereich der extrakraniellen Arteria carotis interna zu einem auffällig schlechteren Abschneiden in den unterschiedlichsten Testverfahren führt. Neben Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Befindlichkeit scheinen auch verschiedene exekutive Funktionen deutlich beeinträchtigt.

Unter diesen Gesichtspunkten stellt sich die Frage, inwieweit sich rekanalisierende Eingriffe, sei es nun chirurgisch, oder mittels Stent-Implantation auf etwaige neuropsychologische Funktionseinbußen auswirken?




Quellen:

http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-028l_S3_
Extracranielle_Carotisstenose_2012_abgelaufen.pdf

Asymptomatische Carotisstenosen. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mlekusch. MEDMIX 5/2008

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