Samstag, April 20, 2024

Ultramarathon trotz extremer Belastungssituation nicht schädigend

Neue Erkenntnisse zur Belastungssituation von Extremsportlern zeigen, dass ein Ultramarathon zu keinen dauerhaften Schädigungen an Hirn und Gelenken führt.

 

Teilnehmer von Ultramarathon-Bewerben dürfen aufatmen: Extreme Laufbelastungen führen bei durchtrainierten Sportlerinnen und Sportlern zu keinen dauerhaften Schädigungen am Hirn und den Gelenken. Vielmehr zeigte der Knorpel der Fuß- und Sprunggelenke während des Laufens ein erstaunliches Regenerationspotential.

So lauten die jetzt publizierten Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Transeuropa-Lauf (einem Ultramarathon) von 2009, der seinerzeit von einem Mediziner- und Forscherteam um Dr. Uwe Schütz aus der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Ulm mit einem mobilen Kernspingerät (MRT) begleitet wurde.

Ein Ultramarathon geht über eine längere Strecke als die olympische Marathondistanz von 42,195 km ist. Die populärste Distanz ist der 100-km-Straßenlauf, von dem es Rekordlisten der International Association of Athletics Federations (IAAF) gibt. Meistens findet ein Ultramarathon als Landschaftslauf statt, wobei die Distanz nicht nominiert ist und sich nach den topographischen Gegebenheiten richtet.

 

Einzigartige Daten vom Ultramarathon

Auf diese Weise konnten einmalige Daten von den teilnehmenden Extremsportlern gewonnen werden, die tiefe Einblicke in die Auswirkungen von einem Ultramarathon auf den menschlichen Körper geben. Wohlgemerkt: Der Vergleich zwischen einem Marathonlauf (42,2 Kilometer) und einem Ultramarathon (in diesem Fall 4.487,7 Kilometer) hinkt zugegebenermaßen. Doch die Erkenntnis, dass extremes Laufen überhaupt zu signifikanten Veränderungen im Bereich der grauen Hirnsubstanz führen kann, dürfte wohl ganz besonders intensiv trainierenden Sportfreunden zumindest ein kurzes Stirnrunzeln abringen …

„Die Auswertung der MRT-Aufnahmen zeigte, dass das Volumen der grauen Hirnsubstanz am Ende der gut zwei Monate dauernden Extrembelastung im Durchschnitt um 6,1 Prozent zurückgegangen war. Dabei waren einige Hirnbereiche mehr und andere weniger betroffen“, erläutert Projektleiter Dr. Uwe Schütz. Doch der Wissenschaftler kann beruhigen: „Nach acht Monaten zeigten erneute MRT-Aufnahmen, dass sich die Hirnsignale der Ultraathleten wieder vollkommen erholt hatten.“

Zum Vergleich: Im Verlauf natürlicher Alterungsprozesse kommt es durchschnittlich zu einem Rückgang der grauen Hirnsubstanz um 0,2 Prozent pro Jahr. Mediziner sprechen in diesem Fall von einer Atrophie des Gehirns, die unumkehrbar ist. „Und das ist der große Unterschied zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Transeuropa-Laufs“, bilanziert Dr. Schütz.

Das Volumen der grauen Hirnsubstanz am Ende der gut zwei Monate dauernden Extrembelastung beim Ultramarathon im Durchschnitt um 6,1 Prozent zurückgegangen war. Nach acht Monaten zeigten erneute MRT-Aufnahmen jedoch, dass sich die Hirnsignale der Ultraathleten wieder vollkommen erholt hatten.

Es konnten bei den durchtrainierten Extremsportlern keine dauerhaften Hirnschädigungen festgestellt werden. Das beobachtete Phänomen der vorübergehenden Hirnvolumenreduktion kann nach Meinung von Hirnforschern vor allem dadurch erklärt werden, dass durch das ultralaufbedingte überdurchschnittlich hohe Energiedefizit, mit weitgehendem Aufbrauch relevanter Fettreserven des Körpers, auch das Gehirn versucht Energie einzusparen, und daher die während eines solchen wochenlangen Transkontinentallaufes weniger benötigten Hirnareale vorübergehend „abschaltet“.

 

Lückenlose Dokumentation beim Ultramarathon

Das eigentliche Hauptaugenmerk der Forschung lag auf den Auswirkungen auf die Gelenke der 67 Sportlerinnen und Sportler, von denen 45 die Strecke von der süditalienischen Hafenstadt Bari bis zum Nordkap schafften. Aus wissenschaftlicher Sicht wertvoll war die besondere Möglichkeit, die gesamten Veränderungsprozesse in den Körpern lückenlos feststellen zu können. Normalerweise beschränken sich sportmedizinische Studien nämlich auf einen Vorher-Nachher-Befund.

 

Störungen im Knorpel am Ultramarathon

Alle drei bis vier Tage untersuchten die Ulmer Wissenschaftler die Teilnehmer aus zwölf Nationen, die täglich zwischen 44 und 95 Kilometern laufend zurücklegten. „Die MRT-Aufnahmen, die wir in unserem eigens mitgeführten Lkw anfertigten, zeigten schnell, dass die Gelenke auf die Strapazen signifikant reagierten“, erläutert Projektleiter Schütz. „Es kam auf den ersten 1.500 Kilometern in allen Gelenken zu einer Zunahme der sogenannten T2-gewichteten Signale, darunter ist ein Marker zu verstehen, der eine Störung im Knorpel anzeigt“, so Dr. Schütz weiter.

Von dieser Beobachtung nimmt er lediglich die Kniescheibe aus, da dieses Teilgelenk des Kniegelenkes beim Laufen auf der Ebene keine relevante Belastung erfährt. Was bedeutet die T2-Zunahme? Die Forscher gehen davon aus, dass aufgrund der Extrembelastung der Verlauf der oberflächlichen Kollagenfasern gestört wurde und durch teilweise Zerstörung von Knorpelmatrixproteinen der Wassergehalt des Knorpels zugenommen hatte.

„Im Bereich des Sprunggelenks konnten wir einen T2-Anstieg um 20,9 Prozent, im Knöchel um 25,6 Prozent und im Bereich des Mittelfußes um 26,3 Prozent feststellen“, sagt Schütz. Spitzenreiter sei ein Bereich des Kniegelenks (Femorotibialgelenk) mit Werten bis zu 44 Prozent gewesen.

 

Gelenke erholten sich noch während des Extremlaufs

Je mehr Kilometer im Verlauf des „Transeuropa-Laufs“ zurückgelegt wurden, umso mehr erholte sich der Gelenkknorpel, was eine neue und erstaunliche Beobachtung ist. Lediglich im Kniegelenk blieben die Werte erhöht. „Wir hatten eigentlich erwartet, dass die Fußgelenke auf Dauer anfälliger sind, denn ihre Gelenkfläche ist kleiner, damit ist auch die Belastung pro Flächeneinheit größer“, führt Studienleiter Schütz aus.

Darüber hinaus sei interessant, dass sich der Durchmesser der Achillesferse vergrößert habe. Knöcherne Strukturen insgesamt seien durch die enormen Belastungen tendenziell nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, auch wenn es bei zwei Läufern zu Ermüdungsbrüchen im späteren Rennverlauf kam.

 

Weitere Information:
Der „Transeuropa-Lauf“ fand vom 19. April bis 21. Juni 2009 statt und führte über 4.487,7 Kilometer von Bari bis zum Nordkap. Das Forschungsprojekt der Ulmer Wissenschaftler wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 200.000 Euro gefördert. Das mobile MRT-Gerät inklusive eines separaten Stromaggregats wurde auf einem Sattelzug mit einem Gesamtgewicht von 37 Tonnen durch ganz Europa transportiert. Die Ulmer Wissenschaftler fertigten nicht nur MRT-Aufnahmen an, sondern nahmen täglich Messungen der Temperatur und Hautfaltendicke vor. Hinzu kam die Entnahme von Urin- und Blutproben.

Die Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Meinrad Beer) bietet mit ihren drei Standorten auf dem Oberen Eselsberg, dem Michelsberg und in Günzburg ein sehr breites Spektrum an modernen und schonenden Bildgebungsverfahren sowie minimal-invasiven Therapieverfahren an. Neben dem klassischen Röntgen gehören unter anderem CT sowie MRT, Sonographie, Mammographie und Angiographie zum Leistungsangebot.

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