Freitag, März 29, 2024

Online Empowerment – Möglichkeiten für Patienten im Internet

Online Empowerment verbessert allgemein für Patienten die Mitwirkungsmöglichkeit an der Therapie sowie die Möglichkeit umfassender Informationsbeschaffung.

Weltweit haben Milliarden Menschen Zugang zum Internet. Es liegt daher auf der Hand, dass immer mehr Menschen – ob beabsichtigt oder nicht – via Internet mit Gesundheitsthemen in Berührung kommen und sich Patienten zunehmend gezielt online über allgemeine Behandlungsempfehlungen oder spezifische Therapiekonzepte informieren. Fast drei Viertel der Nutzer verwenden das Internet für private E-Mails, etwa 50% greifen auf Nachschlagewerke und wissenschaftliche Studien zu.

Zahlreiche Studien, die sich mit der Qualität von Webseiten – Transparenz, Richtigkeit der Inhalte, etc. – zu spezifischen Gesundheitsthemen beschäftigt hatten, befanden die Qualität der publizierten Inhalte für »problematisch«.

Aussagen über die mangelhafte Qualität von Webseiteninhalten sollten allerdings immer im Vergleich zu den Inhalten, die durch andere Medien transportiert werden, getroffen werden. Studien, in denen die Richtigkeit von Gesundheitsinhalten im Fernsehen oder in Printmedien untersucht wurde, befanden deren Qualität für vergleichbar schlecht.

Beispielsweise finden sich Aktualisierungsdaten von Websites nur bei 64%. Ein Herstellungsdatum bei gedruckten Patientenbroschüren gibt es aber auch nur bei einem Drittel bis zur Hälfte. Bei einer medizinischen Stichwortsuche in Amerika waren rund die Hälfte der 388 analysierten Websites kommerzielle Firmenwebseiten, die finanzielle Interessen verfolgten. Und größtenteils machten sie für so genannte alternative Heilmethoden Werbung.

Unter den ersten 100 Treffern waren nur ein Drittel der ohnehin schon unterrepräsentierten Seiten von non-profit Organisationen (gesamt 28%) und Universitäten (ges. 5%) zu finden, denen ein höheres Maß an Objektivität zugestanden werden könnte.

 

Online Empowerment am Beispiel von Tumorpatienten

In einer Metaanalyse von 24 Studien, die sich mit dem Nutzen des Internetgebrauchs bei Tumorpatienten beschäftigt hatten, zeigte sich, dass etwa 39% der Tumorpatienten das Web direkt und weitere bis zu 20% indirekt – d.h. über Familie oder Freunde – nutzen.

Das Internet scheint bereits an zweiter Stelle hinter den Medizinern zu stehen, wenn es um die Informationsbeschaffung geht, aber eine geringere Rolle zu spielen, wenn tatsächlich Behandlungsentscheidungen gefällt werden müssen. Hier haben der ärztliche Rat, Ratschläge von Freunden und Familie sowie Informationen aus Büchern und Magazinen einen höheren Stellenwert.

Im Zeitverlauf bleibt das Internet allerdings auch Jahre nach der Diagnosestellung eine wichtige Informationsquelle und ein wichtiger virtueller Treffpunkt in Online-Communities, wenn ärztliche Ratschläge oder Bücher an Wichtigkeit verloren haben.

Man kommuniziert via Mail, um mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben. Weiter um Fragen an den behandelnden Arzt oder ihnen unbekannte »cyberdocs« zu richten, und vor allem um Informationen auszutauschen.

 

Soziale Netzwerke

Vorteile der sozialen Netzwerke sind beispielsweise das Fehlen geographischer Barrieren oder der Angst vor Stigmatisierung und Entblößung sowie die Tatsache, dass selbst Patienten mit seltenen Erkrankungen Weggefährten finden.

Die Annahme, dass virtuelle Gemeinschaften zu sozialer Isolation im echten Leben führen, dürfte sich nicht bewahrheitet haben. Es wird im Gegenteil öfter darauf verwiesen, dass die Verwendung des Internet bei den meisten Tumorpatienten zur Verminderung von Depression und Einsamkeit führt und dass Patienten durch die erworbene Online-Information in Ihrer Entscheidungskraft gestärkt und im Gespräch mit ihren Ärzten unterstützt wurden. Außer Zweifel dürfte die positive Rolle von Entscheidungshilfen (pro und contra einer Behandlungsmethode oder eines Screening Tests) für Patienten stehen, von denen immer mehr auch online zugänglich sind.

In einem Cochrane Review (vor 12 Jahren !) wurden 131 solcher spezifischer Entscheidungshilfen analysiert. Sie führten zu größerem Wissen, realistischeren Erwartungen, weniger Entscheidungskonflikten aufgrund des Gefühls, besser informiert zu sein, einem höheren Anteil von Patienten, die aktiv eine Entscheidung trafen und zu einer Reduktion von unentschlossenen Patienten.

 

Risiken von Online Empowerment

Eine Gefahr des Internetgebrauchs könnte trotz der beeindruckenden gegenseitigen Un­terstützung von TumorpatientInnen darin bestehen, dass der Aufruf, die eigene Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen dazu verleitet, dass »Empowerment« nicht mehr als Chance verstanden wird, den eigenen Gesundheitszustand positiv zu beeinflussen, sondern immer mehr Eigenverantwortung für das Auftreten und das Fortschreiten der Erkrankung impliziert und so den Druck auf Betroffene sogar erhöht.

In seltenen Fällen führt die unsachgemäße Internetsuche zu psychischem Schaden. Dass nur wenige Fälle von Negativfolgen des Internet­gebrauchs veröffentlicht werden, kann verschiedene Ur­sachen haben: Es ist beispielsweise denkbar, dass Patienten, die durch Online-Informationen Schaden erlitten haben, sich schuldig fühlen und damit gar nicht an die Öffentlichkeit gehen und dass Ärzte bei Auftreten unerwünschter Wirkungen in den seltensten Fällen ­einen Zusammenhang mit dem Internet in Betracht ziehen.

 

Click to get sick? Nutzen und Risiken von Internetanwendungen

Großes Aufsehen hatte vor über 10 Jahren – im November 2004 – die Cochrane Review über interaktive gesundheitsspezifische Kommunikationsapplikationen (Apps) für chronische Patienten erregt. Mit dem einprägsamen Slogan »Click to get sick?« hat das Time Magazine darauf basierend Patienten vor den Negativfolgen für ihre Gesundheit durch medizinische Online-Ratschläge gewarnt. ­

Die Forscher hatten Metaanalysen von 28 randomisierten kontrollierten Studien durchführen lassen, die sich mit Effekten von Apps in sehr unterschiedlichen Gebieten von AIDS bis zu Harninkontinenz beschäftigten. Sie entdeckten positive Auswirkungen auf das Wissen der Patienten und deren soziale Unterstützung, aber negative Effekte auf die klinischen Endergebnisse.

Beim virtuellen Besuch der Cochrane Library im November 2004 war über diesem Review allerdings zu lesen, dass die Metaanalyse Fehler enthielt und dadurch falsche Ergebnisse erzielt wurden. Dieser Zwischenfall verdeutlichte, wie schwierig Aussagen über Nutzen und Risiken von Internetanwendungen zu treffen sind.

 

Was Online Empowerment für die Arzt/Patient Beziehung bedeutet

Wo sind sie nun, die besser informierten Patienten? Es erfordert ein genaueres Hinsehen. Denn auf den ersten Blick scheint sich das Arzt/Patient Verhältnis unter dem Einfluss des Internet nicht besonders verändert zu haben.

Wie vielfältig die Ursachen dafür sein können, wurde am Beispiel von Frauen, die sich für oder gegen eine Hormonersatztherapie entscheiden sollten, exemplarisch aufgezeigt:

  • Einige Patientinnen wollten die Informationen gar nicht selbst suchen, wollten keine Verantwortung übernehmen und waren der Meinung, dass das nicht ihr Job, sondern allein der ihres Arztes sei.
  • Andere besaßen die Fähigkeit gar nicht, entsprechende Informationen zu suchen, zu verstehen und zu interpretieren.
  • Die dritte Gruppe schließlich wusste zwar viel, leugnete dieses Wissen dem Arzt gegenüber aber oft. Vor allem dann, wenn die eigenen Vorstellungen nicht denen des Mediziners entsprachen.

In einer anderen Studie kamen die Autoren zum Schluss, dass sich die meisten Patienten durch den Internetgebrauch zwar mehr Wissen angeeignet hatten. Viele waren aber durch die Fülle an Informationen auch überfordert, selbst eine Entscheidung über ihre eigene Behandlung zu treffen.

 

Online Empowerment wächst und wächst

Online Empowerment nimmt einen immer größeren Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Die Zahl der nach Gesundheitsinformationen suchenden Menschen und die potentieller Anwendungsgebiete werden weiter ansteigen.

Es scheint daher sinnvoll, die sich abzeichnenden positiven Effekte des Internetgebrauchs für Patienten zu unterstützen. Alle im medizinischen Bereich Tätigen müssen das Thema Internetgebrauch durch Patienten verinnerlichen. Denn dadurch kann es zu einer Veränderung in der Arzt/Patient Beziehung kommen kann, bei der solche Online Empowerment-Patienten auch wirklich eine wichtige Rolle als Koproduzenten ihrer Gesundheit einnehmen.

Die gesellschaftspolitische Unterstützung von Online Empowerment und eine Verbesserung der Informationsqualität ist einerseits ein wichtiges, anzustrebendes Ziel. Der mündiger Patient wird andererseits aber dennoch aus einer enormen Informationsmasse auswählen müssen – kein leichtes Unterfangen.


Literatur:

Law YW, Kwok CL, Chan PY, Chan M, Yip P. Online social work engagement and empowerment for young internet users: A quasi-experiment. J Affect Disord. 2019 May 1;250:99-107. doi: 10.1016/j.jad.2019.02.061. Epub 2019 Feb 26. PMID: 30849615.

Naslund JA, Aschbrenner KA, Marsch LA, Bartels SJ. The future of mental health care: peer-to-peer support and social media. Epidemiol Psychiatr Sci. 2016 Apr;25(2):113-22. doi: 10.1017/S2045796015001067. Epub 2016 Jan 8. PMID: 26744309; PMCID: PMC4830464.


Quelle:

Die Kraft des Internets – Online ­empowerment.  Dr. Brigitte Piso. MEDMIX 04/2006; S83-85.

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