Die Biodiversität der Nahrungsbeziehungen ist ungeheuer wichtig für die Funktionsfähigkeit unserer ohnehin schon verarmten Agrarsysteme.
Von der Biodiversität, der Vielfalt der Arten, zur Vielfalt der Beziehungen: Tierökologe Prof. Dr. Volkmar Wolters von der Universität Gießen an innovativer Biodiversitätsstudie beteiligt – Aktuelle Publikation in Nature. „Der Mensch verursacht die größte Krise der biologischen Vielfalt aller Zeiten“, mahnt der Gießener Tierökologe Prof. Dr. Volkmar Wolters. Besorgniserregend sei aber nicht nur der Verlust von Arten, sondern mindestens genauso die damit einhergehende Verarmung an biologischen Beziehungen, ergänzt der Leiter der Arbeitsgruppe Tierökologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Dies belegt eine soeben in dem Fachblatt Nature veröffentlichte internationale Studie mit dem Titel „Biodiversity at multiple trophic levels is needed for ecosystem multifunctionality” (DOI:10.1038/nature19092).
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreicher beteiligter Universitäten weisen mit ihrer Studie erstmals nach, dass das Vermögen der Natur, gleichzeitig und auf engstem Raum eine Vielzahl von ökologischen Funktionen – darunter Wasserreinhaltung, Nahrungsproduktion, Bodenverbesserung oder Schädlingskontrolle – zu erbringen, entscheidend von der Biodiversität auf den verschieden Ebenen des Nahrungsnetzes abhängt.
Nahrungsbeziehungen sind wichtiger Teil der Biodiversität
„Daraus lässt sich schließen, dass die Diversität der Nahrungsbeziehungen auch ungeheuer wichtig für die Funktionsfähigkeit unserer ohnehin schon verarmten Agrarsysteme ist“, erläutert Prof. Wolters, der zu den Autoren des Nature-Papers zählt, an dem auch zwei seiner früheren Mitarbeiter beteiligt sind (Prof. Tim Diekötter, Universität Kiel; Ass. Prof. Klaus Birkhofer, Universität Lund, Schweden). „Der Erhalt der Beziehungsvielfalt muss ein zentrales Ziel der nachhaltigen Bewirtschaftung werden“, lautet der Appell des Tierökologen Wolters.
Zwischen den Arten einer ökologischen Gemeinschaft bestehen vielfältige Interaktionen und Rückkopplungen, wie in der aktuellen Nature-Publikation dargestellt ist. Man kann also die Konsequenzen des Artenverlusts nur beurteilen, wenn man dessen Auswirkungen auf das komplexe Beziehungsgefüge kennt. Dieser wichtige Aspekt ist aus Sicht der Forscherinnen und Forscher bisher von der Biodiversitätsforschung fast völlig vernachlässigt worden. Der Grund leuchtet ein: Die beteiligten Expertinnen und Experten müssen sich zwangsläufig auf relativ überschaubare Organismengruppen spezialisieren. Umso schwerer fällt es ihnen, über den Tellerrand des eigenen Forschungsfeldes hinausschauen und die Wechselbeziehungen in den Blick zu nehmen.
Diese Barriere konnte nun endlich im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten interdisziplinären Großprojekts überwunden werden. Für die vorliegende Studie fasste das Autorenteam unter der Leitung von Dr. Santiago Soliveres vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern die Daten von rund 300 deutschen und schweizerischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu mehr als 4.600 Arten aus neun Nahrungsgruppen und für 14 Ökosystemfunktionen zusammen.
Umgang mit Schädlingen verursacht immensen Schaden
Die Ergebnisse sind erstaunlich: Der Einfluss der Biodiversität auf die Funktionsfähigkeit ökologischer Systeme ist mindestens so groß wie der Einfluss vieler Umweltfaktoren und Managementmaßnahmen. „Was das bedeutet, erkennt man spätestens, wenn man das nächste Mal Schutz vor einem Unwetter sucht oder einen gewaltigen Mähdrescher beobachtet“, erklärt Prof. Wolters. Die enorme Wirkung der Vielfalt basiert darauf, dass es für den Erhalt jeder einzelnen Funktion eines hohen Artenreichtums in mindestens drei Nahrungsgruppen bedarf. Weil sich die Zusammensetzung dieser Gruppen zwischen den einzelnen Funktionen stark unterscheiden kann, summieren sich die Biodiversitätseffekte zu einer Größenordnung auf, die auch die Forscherteams überraschte.
„Ein mich besonders berührendes Ergebnis ist, dass sich gerade Artengruppen, die wir Menschen für schädlich, lästig oder gar überflüssig halten, als funktionell sehr wichtig erwiesen haben“, freut sich Prof. Wolters: „Die Menschheit wird ihre Sichtweise auf die Natur, von der sie leichtfertiger Weise glaubt, dass man sie mit chemischen und mechanischen Mitteln beherrschen kann, deutlich verändern müssen.“ Nur dann werde sie den zukünftigen Herausforderungen an die Produktion von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Energie gewachsen sein.
Die am 17. August 2016 erschienene Publikation liefert einen wichtigen Baustein für den dringend nötigen Perspektivwechsel.
Publikation
Santiago Soliveres et al.: Biodiversity at multiple trophic levels is needed for ecosystem multifunctionality
DOI: 10.1038/nature19092