Donnerstag, März 28, 2024

Lesen lernen verändert das Gehirn tiefgreifend

Lesen lernen verändert das Gehirn selbst bei Erwachsenen tiefgreifend, da dafür andere Hirnregionen umfunktioniert werden müssen.

Im Grunde genommen ist das Lesen eigentlich eine sehr junge kulturelle Errungenschaft des Menschen. Deswegen ist in unseren Gehirnen noch kein eigener Platz dafür vorgesehen. Wenn Menschen lesen lernen, dann werden dadurch Regionen im Gehirn umfunktioniert, die sie bis dahin anders einsetzten.

Forschende haben unlängst herausgefunden, dass lesen lernen das Gehirn dabei so grundlegend verändert, dass sich selbst evolutionär sehr alte, tiefverborgene Strukturen an die neue Herausforderung anpassen. Diese Erkenntnisse brachte eine große Studie in Indien, in der Analphabetinnen sechs Monate lang lesen und schreiben lernten.

 

Lesen lernen erfordert eine Art Recyclingprozess im Gehirn

Da Lesen evolutionär gesehen eine sehr junge Fähigkeit ist, ist sie noch nicht spezifisch genetisch verankert. Das heißt, es kann im Gehirn nicht das „Leseareal“ geben. Lesen-lernen erfordert hingegen eine Art Recyclingprozess im Gehirn.

Denn gewisse Hirnareale, die eigentlich von der Evolution für die Erkennung komplexer Objekte wie Gesichtern konzipiert waren, werden nun durch die Fähigkeit besetzt, Buchstaben in Sprache zu übertragen. Dadurch entwickeln sich einige Regionen unseres visuellen Systems zu Schnittstellen zwischen unserem Seh- und Sprachsystem.

 

Bisher ging man davon aus, dass sich diese Veränderungen lediglich auf die äußere Großhirnrinde beschränken, die bereits dafür bekannt war sich schnell an neue Herausforderungen anpassen zu können.

Das internationale Forscherteam hat in der umfassenden Studie mit erwachsenen Analphabetinnen beobachtet, was sich im erwachsenen Gehirn verändert, während Menschen lesen und schreiben lernen. Und dabei konnten Erstaunliches entdecken.

Anders als bisher angenommen setzt dieser Lernprozess Umstrukturierungen in Gang, die bis in den Thalamus und den Hirnstamm hineinreichen. Im Vergleich zur verhältnismäßig sehr jungen Schrift des Menschen verändern sich also Regionen, die evolutionär gesehen recht alt sind. Und selbst bei Mäusen und anderen Säugetieren bereits vorhanden sind.

„Wir haben beobachtet, dass die sogenannten Colliculi superiores als Teile des Hirnstamms und das sogenannte Pulvinar im Thalamus ihre Aktivitätsmuster zeitlich enger an Sehareale auf der Großhirnrinde koppeln“, so Michael Skeide, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und Erstautor der zugrundeliegenden Studie, die jetzt im renommierten Fachmagazin Science Advances veröffentlich wurde.

 

„Die Thalamus- und Hirnstammkerne helfen unserer Sehrinde dabei, wichtige Informationen aus der Flut von visuellen Reizen herauszufiltern noch bevor wir überhaupt bewusst etwas wahrnehmen.“

Das Interessante dabei: Je stärker sich die Signale der Hirnregionen einander angeglichen hatten, desto besser waren die Lesefähigkeiten bereits ausgeprägt. „Wir gehen deshalb davon aus, dass diese beiden Hirnsysteme mit zunehmenden schriftsprachlichen Fähigkeiten besser zusammenarbeiten“, erklärt der Neuropsychologe weiter. „Auf diese Weise können geübte Leser vermutlich effizienter durch Texte navigieren.“


Literatur:

Skeide MA, Kumar U, Mishra RK, Tripathi VN, Guleria A, Singh JP, Eisner F, Huettig F. Learning to read alters cortico-subcortical cross-talk in the visual system of illiterates. Sci Adv. 2017 May 24;3(5):e1602612. doi: 10.1126/sciadv.1602612. PMID: 28560333; PMCID: PMC5443643.


Quelle: Max-Planck-Institute – http://www.cbs.mpg.de

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