Aktuelle Trends in der Wirbelsäulenchirurgie: Welchen Nutzen bei Rückenschmerzen eine innovative Wirbelsäulenchirurgie für die Patienten hat.
„Rückenschmerz zählt zu den häufigsten Schmerzformen. Aktuelle Studien geben für Österreich eine Häufigkeit von 32,9 Prozent der Bevölkerung an“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Ogon (Orthopädisches Spital Speising, Host Chairman der Summer University, Vice President EuroSpine). „Die Zahl der chirurgischen Eingriffe an der Wirbelsäule ist insgesamt im Steigen begriffen. Dabei steigen vor allem die Stabilisierungsoperationen, die Zahl der Bandscheibenoperationen ist rückläufig.“
„Die Wirbelsäulenchirurgie ist in den letzten Jahren immer schonender und effektiver geworden“, so o. Univ.-Prof. Dr. Claudius Thomé (Direktor der Univ.-Klinik für Neurochirurgie in Innsbruck, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie). „Entscheidend für die Etablierung der schonenden Operationstechniken war und ist der technische Fortschritt im Operationssaal.“ Diese Entwicklungen setzen „auch voraus, dass Operateure sich entsprechend weiterbilden und die erforderlichen Kompetenzen erwerben, um mit diesen Entwicklungen Schritt halten zu können.“ Die „Summer University“ ist ein jährlich von Medtronic und der IGASS (International Group for Advancement in Spinal Science) organisierter Fachkongress. Prof. Ogon: „Ab heute haben rund 300 Teilnehmer aus über 20 Ländern in Wien drei Tagen lang Gelegenheit, führende internationale Experten aus dem Bereich der Wirbelsäulenchirurgie zu treffen, sich auszutauschen und unterschiedliche Zugänge kennenzulernen.“
Aktuelle Trends in der Wirbelsäulenchirurgie
Im Mittelpunkt der Diskussionen steht eine Reihe von aktuellen Trends der Wirbelsäulenchirurgie. So wird zum Beispiel heute zunehmend mehr Augenmerk auf den Erhalt der anatomischen Strukturen gelegt, etwa in der Bandscheibe oder auch bei der Muskulatur, die die Wirbelsäule umgibt. Spezielle minimal-invasive Operationsverfahren, bei denen über Minischnitte auch Entlastungen des Wirbelkanals oder Versteifungen möglich sind, setzen sich zunehmend durch. „Unter dem Stichwort Minimal Access Spine Technology (MAST) wird meist über Trokarsysteme (Punktionsinstrumente) die Zielregion schonend erreicht“, so Prof. Thomé. „Eingriffe sind dadurch mit deutlich weniger Komplikationen verbunden als früher und haben ihren Schrecken verloren.“
Damit sind in Kombination mit der Verbesserung der Narkosetechniken Eingriffe bis ins hohe Alter möglich. Prof. Ogon: „Im Wirbelsäulenzentrum Wien-Speising hat sich der Anteil der Patientinnen und Patienten mit Wirbelsäulenoperationen, die über 80 Jahre alt waren, in den letzten 10 Jahren von 7 auf 14 Prozent verdoppelt.
Ein Beispiel für innovative und immer schonendere Operationsmethoden ist die Kyphoplastie. Prof. Ogon: „Diese Zementeinspritzung in den Wirbelkörper bietet neue Möglichkeiten der Stabilisierung eines Wirbelkörpers, der aufgrund von Osteoporose eingebrochen ist.“
Führen Abnutzungserscheinungen zu Instabilitäten wie Wirbelgleiten oder zu Fehlstellungen der Wirbelsäule, können Versteifungsoperationen erforderlich sein. „Während früher auf die Stellung der Verschraubungen kaum geachtet wurde, wissen wir inzwischen, welche Bedeutung das vertikale Profil der Wirbelsäule besitzt und können dies mit einem Operationsverfahren korrigieren (Osteotomien)“, berichtet Prof. Thomé. „Mit bewegungserhaltenden, dynamischen Systemen wird versucht, Versteifungs-Operationen zu vermeiden. Die normale Beweglichkeit der abgenutzten Wirbelsäule soll wiederhergestellt werden. Bandscheibenprothesen speziell im Bereich der Halswirbelsäule haben bei geeigneten Patientinnen und Patienten erfolgsversprechende Ergebnisse gezeigt. Andere innovative Verfahren befinden sich derzeit in der Erprobung.“
Ein weiterer Trend: Operationsmikroskope oder kameragestützte Visualisierung erlauben eine anhaltende Verkleinerung des operativen Zugangs bei immer besserer Detaildarstellung des Operationsgebietes. Die spinale Navigation ermöglicht die computerunterstützte Einbringung von Implantaten mit hoher Präzision. Mithilfe der intraoperativen Bildgebung kann das Operationsergebnis noch am „offenen“ Patienten überprüft werden. Schrauben und andere Implantate werden technisch weiterentwickelt und können minimal-invasiv eingebracht werden. Prof. Thomé: „All diese Faktoren münden letztendlich in bessere Behandlungsresultate.“
Ein wichtiges neues Thema ist die Verbesserung der Operationsergebnisse durch eine genauere Wiederherstellung des sogenannten sagittalen Profils – also die optimale Stellung der Wirbelsäule nach der Operation. „Lange bekannt ist, dass jeder Mensch ein Hohlkreuz (Lordose) braucht, um gerade stehen zu können. Neu hingegen ist die Erkenntnis, dass das Ausmaß des Hohlkreuzes auch von der Beckenform abhängt“, sagt Prof. Ogon. „Das können wir heute sehr genau durch eine Aufnahme der gesamten Wirbelsäule einschließlich des Beckens und der Oberschenkel bestimmen.“
Immer weniger Wirbelsäulenoperationen bei Menschen mittleren Alters
Anders als bei älteren Patienten nimmt bei Menschen mittleren Alters die Zahl der Wirbelsäulenoperationen ab oder bleibt zumindest gleich, sagt Prof. Ogon: „Der häufigste Grund für Operationen bei unter 50-Jährigen ist der Bandscheibenvorfall. Allerdings bessert sich hier bei kompetenter Behandlung bei 70 Prozent der Patienten nach vier Wochen der Zustand auch ohne Operation deutlich. Nach acht Wochen sind es bereits 87 Prozent. Deshalb sollte bei einem Bandscheibenvorfall, wenn im Einzelfall nichts dagegen spricht, die konservative Therapie etwa sechs bis acht Wochen dauern. Auch in der konservativen Therapie haben wir heute wesentlich bessere Möglichkeiten als noch vor zehn Jahren.“ Es sind also rund 10 bis 13 Prozent der Betroffenen Kandidaten für eine Operation. Bei Lähmungs-Erscheinungen muss rasch operiert werden.
Regenerativen Therapiestrategien
Die Zukunft der Wirbelsäulenbehandlung, so Prof. Thomé, liege in regenerativen Therapiestrategien. „Ziel muss es sein, die natürliche Abnutzung der Bandscheiben beziehungsweise der gesamten Wirbelsäule zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Molekularbiologische Erkenntnisse beispielsweise zu Stammzellen und Wachstumsfaktoren werden uns in der Zukunft erlauben, die Alterungsprozesse zu beeinflussen.“ In einer klinischen Studie an der MedUni Innsbruck werden derzeit Bandscheibenzellen aus Bandscheibenvorfällen gezüchtet und Patienten nach drei Monaten wieder eingespritzt. In ein bis zwei Jahren sind erste Ergebnisse zu erwarten.
Trend zu interdisziplinärem Vorgehen
Der Trend, in einem Krankenhaus zwei Abteilungen mit einer gemeinsamen Wirbelsäulenambulanz zu betreiben, setzt sich mittlerweile in vielen Einrichtungen durch, sagt Prof. Ogon: „Patienten kommen nicht mehr entweder in die konservative oder in die chirurgische Wirbelsäulenambulanz, sondern in eine Spezialambulanz, in der beide orthopädischen Richtungen vertreten sind. Der Patient wird von zwei Ärzten – einem pro Richtung – begutachtet, dann besprechen die beiden Ärzte gemeinsam mit dem Patienten die Therapiemöglichkeiten.“
Traditionell wurde die Wirbelsäulenchirurgie von Orthopäden, Neurochirurgen oder Unfallchirurgen betrieben. Prof. Ogon: „Heute ist es aber zumeist so, dass verstärkt zusammengearbeitet wird und sich die Grenzen der Fächer im Gebiet Wirbelsäulenchirurgie überschneiden.“
Spezialisierte Ausbildung in der Wirbelsäulenchirurgie immer wichtiger
Aufgrund neuer Erkenntnisse, neuer Operationstechniken und des technologischen Fortschrittes wird die spezialisierte Ausbildung in der Wirbelsäulenchirurgie immer wichtiger. „Das European Spine Diploma der Europäischen Wirbelsäulengesellschaft (EuroSpine) sieht vor, dass die Basisausbildung für Wirbelsäulenchirurgie in Europa vereinheitlicht wird und überall die gleichen Standards gelten“, so Prof. Ogon. Ein fast identes Ausbildungskonzept bietet im deutschsprachigen Raum auch die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft an. Die Österreichische Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie wirkt unterstützend in beiden Gesellschaften mit.
Integrated Health Solutions: Medtronic baut neuen Geschäftsbereich auf
Der Medizintechnik-Anbieter Medtronic, der mit zahlreichen Produkten zum Fortschritt und Erfolg der Wirbelsäulenchirurgie beiträgt, baut derzeit in Österreich den neuen Geschäftsbereich Integrated Health Solutions für den Spitalsbereich auf. „Dabei geht es um eine Unterstützung der Player im Krankenanstalten-Bereich mit innovativen und kundenfreundlichen Gesamtlösungen. Das Produkt-Portfolio sieht alle wesentlichen Supportelemente vom Einkauf über Management und Marketing bis hin zu spezialisierter Beratung, Aus- und Weiterbildung vor“, erklärt Mag. Michael Eipeldauer, der seit Juni 2015 bei Medtronic tätig ist und diesen Bereich aufbaut. „Integrated Health Solutions dienen dazu, Klienten Support bei der Erreichung ihrer Ziele anzubieten und somit Mehrwert zu kreieren.“
Das Portfolio ist weit gefasst: Möchte zum Beispiel ein Krankenhaus eine neue Ausstattung für einen OP, so geht es dabei nicht nur um Fragen der Planung und Ausstattung, sondern oft auch um Unterstützung bei der Finanzierung. „Wir erarbeiten dann mit den Trägern entsprechende Lösungen: Dabei bringen wir nicht nur unsere medizintechnische Expertise samt unseren Geräten ein, sondern gehen auch in der Finanzierung neue Wege“, so Mag. Eipeldauer. „Medtronic stellt dann zum Beispiel die erforderlichen Geräte zur Verfügung, womit sich der Kunde die Investitionskosten erspart: Er bezahlt ausschließlich für die Nutzung der Geräte auf Basis der Häufigkeit ihrer Verwendung.“
Krankenhäusern werden auch klassische Managementleistungen angeboten, etwa bei nicht-klinischen Prozessen. Mitarbeiter von Integrated Health Solutions können auf Wunsch auch das Materialmanagement übernehmen. „Dafür wird eine ausgelagerte Gesellschaft genützt, die von Medtronic streng getrennt ist. Anbieterunabhängig werden die für den Kunden maßgeschneiderten Produkte bestellt, frei nach dessen Bedürfnissen“, erklärt Mag. Eipeldauer.
Integrated Health Solutions bietet auch Optimierung und Beratung bei verschiedensten Abläufen: Aus jahrzehntelanger Erfahrung kennt das Medizintechnikunternehmen das Behandlungskontinuum sehr genau. „Wir kennen die Prozesse in Spitälern und wissen, wo es Potenzial für noch mehr Effizienz gibt. Als Industrieunternehmen sind für uns optimierte, effiziente und schlanke Prozesse lebenswichtig, zum Beispiel auf Basis von Six Sigma“, so Mag. Eipeldauer. „Diese Expertise stellen wir zur Verfügung und checken gemeinsam mit dem Kunden, was er braucht.“
Ein entscheidendes Plus liege in der Kompetenz als Partner im Gesundheitswesen, sagt Mag. Eipeldauer: „Wir kennen aus persönlichem Kontakt die Ärztinnen und Ärzte, das Pflegepersonal und alle anderen Mitarbeiter in den Häusern und wissen, wo sie der Schuh drückt und wo ihre Bedürfnisse liegen. Auch Wissen um die Abteilungen und ihre Prozesse ist für uns schon immer lebenswichtig. Und die Spitäler als Ganzes sowie ihre Dachorganisationen sind ebenso zentral. Dabei behalten wir auch im Auge, was gesundheitspolitisch möglich, sinnvoll und umsetzbar ist.“
Es wird auch Unterstützung im Sinne klassischer Unternehmensberatung angeboten, indem Expertise zum Beispiel im Bereich Marketing, PR und Reputation Management zur Verfügung gestellt wird.
Die Serviceleistungen erfolgen auf der Grundlage mehrjähriger Verträge. „Dabei bieten wir unseren Kunden auch Risk-sharing“, so Mag. Eipeldauer. „Wenn es uns nicht gelingt, Prozesse schlanker und finanziell attraktiver zu gestalten, so trägt Medtronic das Risiko mit.“
Wann Operationen an der Wirbelsäule sinnvoll sind – Spezialisierte Ausbildung wird immer wichtiger – Trend zu interdisziplinärem Vorgehen
Statement Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Ogon, Orthopädisches Spital Speising, Host Chairman der Summer University, Vice President EuroSpine.
Rückenschmerz zählt zu den häufigsten Schmerzformen. Aktuelle Studien geben eine Häufigkeit (Prävalenz) in Österreich von 32,9 Prozent der Bevölkerung an, bei einer ansteigenden Tendenz in den vergangenen Jahrzehnten (Großschädl et al, 2014). Über erhebliche Schmerzen an der Wirbelsäule in den letzten 12 Jahren berichteten etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Österreich in der letzten Gesundheitsbefragung der Statistik Austria. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, ältere Menschen häufiger als jüngere, Übergewichtige häufiger als Nicht-Übergewichtige.
Die Zahl der chirurgischen Eingriffe an der Wirbelsäule ist insgesamt im Steigen begriffen. Dabei steigen vor allem die Stabilisierungsoperationen (2009: 4.707 Wirbelfusionen, 2013 5.561 Wirbelfusionen in Österreich), während die Zahl der Bandscheibenoperationen rückläufig ist (2009: 8.052 Bandscheibenoperationen, 2013: 7.200 Bandscheibenoperationen in Österreich) (Quelle: Statistik Austria).
Außerdem zeichnet sich eine deutliche Veränderung beim Alter der Patientinnen und Patienten ab: Immer mehr Menschen im fortgeschrittenen Alter werden operiert. Im Wirbelsäulenzentrum Wien-Speising hat sich beispielsweise der Anteil der Patientinnen und Patienten mit Wirbelsäulenoperationen, die über 80 Jahre alt waren, in den letzten zehn Jahren von sieben auf 14 Prozent verdoppelt. Das hängt zum einen damit zusammen, dass unsere Gesellschaft älter wird und es immer mehr Menschen gibt, die auch im hohen Alter weiter mobil bleiben wollen.
Innovative und schonendere Operationsmethoden auch für ältere Menschen
Gleichzeitig verfügen wir über innovative und immer schonendere Operationsmethoden, die für Ältere gut geeignet sind. Ein Beispiel die Kyphoplastie: Diese Zementeinspritzung in den Wirbelkörper bietet neue Möglichkeiten der Stabilisierung eines Wirbelkörpers, der aufgrund von Osteoporose eingebrochen ist. Gerade bei älteren Menschen kommt das oft vor.
Die häufigste Indikation für eine Operation bei Menschen über 50 ist die spinale Stenose. Dieser enge Wirbelkanal tritt zumeist in Verbindung mit neurologischen Ausfällen auf. Davon betroffene Patientinnen und Patienten können damit zwar anfangs noch mehrere Hundert Meter gehen, schaffen in der Folge aber nur noch immer kürzer werdende Strecken. Treten im weiteren Verlauf Gefühlsstörungen, Gangunsicherheit oder Lähmungs-Erscheinungen auf, muss operiert werden.
Immer weniger Wirbelsäulenoperationen bei Menschen mittleren Alters
Bei Menschen mittleren Alters nimmt die Zahl der Wirbelsäulenoperationen hingegen ab oder bleibt zumindest gleich. Der häufigste Grund für Operationen bei unter 50-Jährigen ist der Bandscheibenvorfall. Allerdings bessert sich hier bei kompetenter Behandlung bei 70 Prozent der Patienten nach vier Wochen der Zustand auch ohne Operation deutlich. Nach acht Wochen sind es bereits 87 Prozent. Deshalb sollte bei einem Bandscheibenvorfall, wenn im Einzelfall nichts dagegen spricht, die konservative Therapie auch etwa sechs bis acht Wochen dauern. Auch in der konservativen Therapie haben wir heute wesentlich bessere Möglichkeiten als noch vor zehn Jahren.
Bei Kindern und Jugendlichen gibt es zwei Indikationen für eine Wirbelsäulenoperation: die Skoliose (seitliche Verkrümmung) und das Wirbelgleiten, sofern es stärker ausgeprägt ist.
Es bleiben also rund zehn bis 13 Prozent der Betroffenen, die Kandidaten für eine Operation sind. Treten Lähmungs-Erscheinungen auf, muss rasch operiert werden. Manche Patienten leiden in einem Ausmaß unter Schmerzen, das sie nicht sechs bis acht Wochen ertragen können. Auch dann ist ein Eingriff nötig. Ist der Schmerz aber bereits chronifiziert, besteht er also schon länger als sechs Monate, fallen die Operationsergebnisse schlechter aus.
Kritik an angeblich zu vielen Wirbelsäulenoperationen ist falsch
Im Übrigen wird meiner Meinung nach wird in Österreich keineswegs häufiger als notwendig operiert, wie es von Kritikern manchmal behauptet wird.
Dass es Wartelisten für Wirbelsäulenoperationen gibt, ist nicht unbedingt schlecht, denn sie verhindern voreilige Eingriffe und helfen, jene Menschen zu erkennen, deren Zustand sich auch ohne Eingriff verbessern kann.
Trend zu interdisziplinärem Vorgehen
Der Trend, in einem Krankenhaus zwei Abteilungen mit einer gemeinsamen Wirbelsäulenambulanz zu betreiben, setzt sich mittlerweile in vielen Einrichtungen durch: Patienten kommen nicht mehr entweder in die konservative oder in die chirurgische Wirbelsäulenambulanz, sondern in eine Spezialambulanz, in der beide orthopädischen Richtungen vertreten sind. Der Wirbelsäulenpatient wird also von zwei Ärzten – einem pro Richtung – begutachtet. Danach besprechen die beiden Ärzte gemeinsam mit dem Patienten die Therapiemöglichkeiten.
Traditionell wurde die Wirbelsäulenchirurgie von Orthopäden, Neurochirurgen oder Unfallchirurgen betrieben. Heute ist es aber zumeist so, dass verstärkt zusammengearbeitet wird und sich die Grenzen der Fächer im Gebiet Wirbelsäulenchirurgie überschneiden.
Im Verständnis des gesamten Aufbaues der Wirbelsäule hat sich in den letzten zehn Jahren viel getan. Das verbessert die Operationsplanung und die Operationsmethoden.
Ein großes neues Thema ist die Verbesserung der Operationsergebnisse durch eine genauere Wiederherstellung des sogenannten sagittalen Profils – also die optimale Stellung der Wirbelsäule nach der Operation. Lange bekannt ist, dass jeder Mensch ein Hohlkreuz (Lordose) braucht, um gerade stehen zu können. Neu hingegen ist die Erkenntnis, dass das Ausmaß des Hohlkreuzes auch von der Beckenform abhängt. Das können wir heute sehr genau durch eine Aufnahme der gesamten Wirbelsäule einschließlich des Beckens und der Oberschenkel bestimmen.
Spezialisierte Ausbildung wird in der Wirbelsäulenchirurgie immer wichtiger
Aufgrund solcher neuen Erkenntnisse, neuer Operationstechniken und des technologischen Fortschrittes wird die spezialisierte Ausbildung in der Wirbelsäulenchirurgie immer wichtiger. Das European Spine Diploma der Europäischen Wirbelsäulengesellschaft (EuroSpine) sieht vor, dass die Basisausbildung für Wirbelsäulenchirurgie in Europa vereinheitlicht wird und überall die gleichen Standards gelten. Ein fast identes Ausbildungskonzept bietet im deutschsprachigen Raum auch die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft an. Die Österreichische Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie wirkt unterstützend in beiden Gesellschaften mit.
Sehr zu begrüßen sind im Sinne der ärztlichen Fortbildung auch Initiativen wie die Summer School des Unternehmens Medtronic. Programme wie dieses tragen dazu bei, dass Ärzte mit den rasanten Fortschritten in der Wirbelsäulenchirurgie durch Information und Training mithalten können und die Patienten bestmöglich profitieren.
Innovationen in der Wirbelsäulenchirurgie
Statement o. Univ.-Prof. Dr. Claudius Thomé, Direktor der Univ.-Klinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie (ÖGW).
Die Wirbelsäulenchirurgie ist in den letzten Jahren immer schonender und effektiver geworden. Es wird zunehmend Augenmerk auf den Erhalt der anatomischen Strukturen gelegt, etwa in der Bandscheibe oder auch bei der Muskulatur, die die Wirbelsäule umgibt. Spezielle minimal-invasive Operationsverfahren, bei denen über Minischnitte auch Entlastungen des Wirbelkanals oder Versteifungen möglich sind, setzen sich zunehmend durch. Unter dem Stichwort Minimal Access Spine Technology (MAST) wird meist über Trokarsysteme (Punktionsinstrumente, die den Zugang ermöglichen und offenhalten) die Zielregion schonend erreicht. Womit hier Operationen vom Rücken, über die Flanke sowie durch Bauch oder Brustkorb vorgenommen werden können.
Eingriffe bis ins hohe Alter möglich
Derartige Eingriffe sind dadurch mit deutlich weniger Komplikationen verbunden als früher und haben ihren Schrecken verloren. In Kombination mit der fortwährenden Verbesserung der Narkosetechniken sind so Eingriffe bis ins hohe Alter möglich. Dies wird der demografischen Entwicklung und den zunehmenden Ansprüchen der älteren Patientinnen und Patienten in Bezug auf Lebensqualität und Mobilität gerecht.
Entscheidend für die Etablierung der schonenderen Operationstechniken war und ist der technische Fortschritt im Operationssaal. Operationsmikroskope oder kameragestützte Visualisierung erlauben eine anhaltende Verkleinerung des operativen Zugangs bei immer besserer Detaildarstellung des Operationsgebietes. Die spinale Navigation ermöglicht die computerunterstützte Einbringung von Implantaten mit hoher Präzision. Mithilfe der intraoperativen Bildgebung kann das Operationsergebnis noch am „offenen“ Patienten überprüft werden. Dies verbessert das Operationsergebnis und verhindert Reoperationen. Schrauben und andere Implantate werden technisch weiterentwickelt und können minimal-invasiv eingebracht werden. All diese Faktoren münden letztendlich in bessere Behandlungsresultate.
Das alles setzt auch voraus, dass Operateure sich entsprechend weiterbilden und die erforderlichen Kompetenzen erwerben, um mit diesen Entwicklungen Schritt halten können. Die Summer University von Medtronic bietet dazu sehr gute Möglichkeiten.
Neue Operationsmethoden durch mehr Verständnis für Statik und Biomechanik der Wirbelsäule
Zudem hat sich in den letzten Jahren das Verständnis der Wirbelsäulenchirurgen im Hinblick auf die Statik und die Biomechanik der Wirbelsäule weiterentwickelt. Führen Abnutzungserscheinungen zu Instabilitäten wie Wirbelgleiten oder zu Fehlstellungen der Wirbelsäule, sind unter Umständen Versteifungsoperationen erforderlich. Während früher auf die Stellung der Verschraubungen kaum geachtet wurde, wissen wir inzwischen, welche Bedeutung das vertikale Profil der Wirbelsäule besitzt und können dies mit einem Operationsverfahren korrigieren, bei dem ein oder mehrere Knochen gezielt durchtrennt werden (Osteotomien).
Mit bewegungserhaltenden, sogenannten dynamischen Systemen wird seit einigen Jahren versucht, Versteifungsoperationen zu vermeiden. Die normale Beweglichkeit der abgenutzten Wirbelsäule soll wiederhergestellt werden.
Bandscheibenprothesen speziell im Bereich der Halswirbelsäule haben bei geeigneten Patientinnen und Patienten erfolgsversprechende Ergebnisse gezeigt. Andere innovative Verfahren befinden sich derzeit in der Erprobung.
Regenerativen Therapiestrategien
Die Zukunft der Wirbelsäulenbehandlung liegt meines Erachtens jedoch in regenerativen Therapiestrategien. Ziel muss es sein, die natürliche Abnutzung der Bandscheiben beziehungsweise der gesamten Wirbelsäule zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Molekularbiologische Erkenntnisse beispielsweise zu Stammzellen und Wachstumsfaktoren werden uns in der Zukunft erlauben, die Alterungsprozesse zu beeinflussen.
In einer aktuellen klinischen Studie züchten wir an der MedUni Innsbruck derzeit Bandscheibenzellen aus Bandscheibenvorfällen und spritzen diese nach drei Monaten den Patientinnen und Patienten wieder ein. In ein bis zwei Jahren sind hier erste Ergebnisse zu erwarten.
Weitere Informationen: http://www.spine.at