Samstag, September 30, 2023

Diagnose Bluthochdruck früh gestellt bringt keine Vorteile

Eine frühe Diagnose Bluthochdruck zu stellen, schützt nicht vor tödlichen Herzerkrankungen. Stattdessen könnte das sogar negativ für die Psyche sein.

Ab wann Bluthochdruck gefährlich ist, sehen verschiedene Ärzteorganisationen sehr differenziert. Beispielsweise gelten Patienten in den USA früher als krank durch Bluthochdruck als in unseren Breiten. Forscher kamen unlängst aber zu dem Schluss, dass eine frühe Bluthochdruck-Behandlung nicht vor tödlichen Herzerkrankungen schützt. Stattdessen könnte die frühe Diagnose Bluthochdruck sogar negative Auswirkungen für die Psyche der Betroffenen haben.

 

US-Leitlinien zur Diagnose Bluthochdruck

Leitlinien des American College of Cardiology führen seit 2017 mit » Stage 1 Hypertension « eine zusätzliche Kategorie für Bluthochdruck. Demnach sollten Patienten mit den entsprechenden Werten von 130 bis 139 mmHg / 80 bis 89 mmHg bereits behandelt werden. Hingegen sieht die European Society of Cardiology bei diesen Werten noch einen „erhöht normalen Blutdruck“ und keinen zwingenden Handlungsbedarf.

„Die Idee hinter den US-Leitlinien ist, Bluthochdruck möglichst früh zu senken“, erläutert Prof. Karl-Heinz Ladwig, Forscher an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des TUM-Universitätsklinikums rechts der Isar und am Helmholtz Zentrum München. Durch die frühe Bluthochdruck-Diagnose sollen Patienten motiviert werden, gesünder zu leben.

 

Doch der Motivations-Effekt ist fraglich

Anhand von Daten von knapp 12.000 Patienten haben unlängst Prof. Karl-Heinz Ladwig von der Technischen Universität München (TUM) und dem Helmholtz Zentrum München sich ein Bild der Situation in Deutschland verschafft. „Wir haben untersucht, wie hoch innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren das Risiko für Menschen in den verschiedenen ‚Blutdruck-Kategorien‘ war, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben und welche anderen Risikofaktoren jeweils vorlagen“, sagt Seryan Atasoy, Erstautorin der Studie und Epidemiologin am Helmholtz Zentrum München und der Ludwig-Maximilians-Universität München.

In der neu geschaffenen Kategorie „Stage 1 Hypertension“ waren das Risiko an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben nicht signifikant höher als bei normalem Blutdruck. „Auch der Motivations-Effekt ist fraglich“, sagt Karl-Heinz Ladwig. Bei Patienten mit gefährlichem Bluthochdruck, die sowohl nach US- als auch nach europäischen Leitlinien mit Medikamenten behandelt werden sollen („Stage 2 Hypertension“), sei das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, deutlich erhöht. „Gleichzeitig sind Risikofaktoren wie Rauchen und Bewegungsmangel besonders ausgeprägt. Das zeigt, dass viele trotz Diagnose ihren Lebensstil nicht umstellen.“



 

Gefährliche Depressionen

Während Menschen mit gefährlichem Bluthochdruck grundsätzlich seltener depressiv waren als andere, lag der Wert bei einer Teilmenge deutlich höher: Bei rund der Hälfte derjenigen, die wegen des gefährlichen Bluthochdrucks Medikamente nahmen, wurden depressive Stimmungslagen festgestellt. Das war nur bei etwa einem Drittel der Nicht-Behandelten der Fall.

„Wir nehmen an, dass es sich um einen Labeling-Effekt handelt“, sagt Ladwig. „Wird man offiziell mit dem Etikett ‚krank‘ versehen, wirkt sich das auf die psychische Gesundheit aus.“ In einer früheren Studie hatten er und sein Team gezeigt, dass Depressionen einen ähnlich hohen Risikofaktor für tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen wie hohe Cholesterinwerte oder Fettleibigkeit.

 

Mehr Kranke durch neue Richtlinien

„Das American College of Cardiology selbst hat errechnet, dass der Anteil der Erwachsenen mit der Diagnose Bluthochdruck durch die neue Leitlinie von 32 auf 46 Prozent steigt“, sagt Karl-Heinz Ladwig. „14 Prozent werden also zusätzlich psychischem Druck ausgeliefert. Ohne dass für sie eine signifikant höhere Gefahr bestehen würde, eine tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln. Auch ohne, dass eine motivierende Wirkung der Diagnose zu erwarten wäre.“ Eine Übernahme der US-Leitlinien in Europa wäre daher aus Ladwigs Sicht grundsätzlich falsch.




Literatur:

Atasoy S, Johar H, Peters A, Ladwig KH. Association of hypertension cut-off values with 10-year cardiovascular mortality and clinical consequences. A real-world perspective from the prospective MONICA/KORA study. Eur Heart J. 2019 Mar 1;40(9):732-738. doi: 10.1093/eurheartj/ehy694. PMID: 30462213.

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