Montag, April 15, 2024

Mit der Wirkung der Antiseptika Infektionen vermeiden

Der unkritische Einsatz von Antibiotika kann deren Wirkung beeinträchtigen, dementsprechend sollte man Antiseptika ebenfalls mit Bedacht anwenden.

Im Laufe der Zeit wurden den herkömmlichen Antiseptika wie verschiedenen alkoholischen Lösungen (Ethanol, Isopropanol), PVP-Jod und Polyhexanid weitere Wirkstoffe wie Octenidin und Chlorhexidin hinzugefügt. Diese letzten beiden Antiseptika zeichnen sich durch ihre langanhaltende Wirkung und anhaltende Wirksamkeit aus. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass diese Antiseptika nicht nur sofort wirken, sondern auch eine nachhaltige Wirkung haben, die über einen längeren Zeitraum anhält.

 

Gefahr nosokomiale Infektionen

Neueste europäische Daten haben gezeigt, dass die Belastung durch die sechs häufigsten Krankenhausinfektionen fast doppelt so hoch ist wie die Belastung durch die 32 bedeutendsten übertragbaren Krankheiten. Das bedeutet konkret, dass es jährlich etwa 2,6 Millionen nosokomiale Infektionen in Europa gibt, die mit ungefähr 90.000 Todesfällen einhergehen.

Infektionen, die durch Keime verursacht werden, die bereits im Patienten vorhanden sind, lassen sich leider nicht so gut verhindern wie Infektionen, bei denen die Erreger von außen, beispielsweise über die Hände des medizinischen Personals, übertragen werden. Ein aktueller Schwerpunkt liegt daher auf Untersuchungen, wie man die Keime in der eigenen Flora der Patienten durch den Einsatz von Antiseptika verringern kann. Dies könnte helfen, die Anzahl der Infektionen zu reduzieren und somit die Patientensicherheit zu erhöhen.

 

Aktuelle Wirkung, Chancen und Grenzen bei der Anwendung von Antiseptika

Eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsstrategien antiseptisch wirksamer Substanzen wurde in den letzten Jahren hinsichtlich ihres Erfolgs zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen untersucht. Bisweilen entsteht der Eindruck, Lösungen für alle Probleme gefunden zu haben. Der Einsatz von Antiseptika zur Reduktion von Keimübertragungen und Infektionen ist plausibel und sollte Bestandteil der hausinternen Hygienepläne und Leitlinien sein. An welcher Stelle des Prozesses in welcher Applikationsform für welchen Patienten Antiseptika eingesetzt werden, muss jedoch kritisch abgewogen werden. Ein nicht zielgerichteter, nicht indizierter Antiseptikaeinsatz ist keineswegs risikoarm und sollte vermieden werden. Es gilt also Nutzen gegen Risiken abzuwägen, um den bestmöglichen Effekt für den einzelnen Patienten, aber auch für die Gesamtheit aller aktuellen und zukünftigen Patienten zu erzielen.

Im Folgenden soll exemplarisch am Beispiel der primären Blutstrominfektion (EU: circa 160.000 Patientenfälle im Jahr, circa 24.000 Todesfälle im Jahr) der Einsatz von Antiseptika dargestellt werden. Es ist nicht verwunderlich, dass die Anlage eines Gefäßzugangs, also die Verletzung der physiologischen Hautbarriere, mit einem Infektionsrisiko behaftet ist.

 

Hautdesinfektion vor Anlage eines Gefäßzugangs

Früher wurde die Hautdesinfektion vor dem Einsetzen eines Katheters traditionell mit einem alkoholischen Präparat durchgeführt, entweder wegen seiner schnellen Wirkung allein oder in Kombination mit PVP-Jod, um die besten Ergebnisse zu erzielen. In den letzten Jahren hat sich jedoch immer mehr gezeigt, dass die Kombination aus der schnellen Wirkung von Alkohol zusammen mit einem langanhaltend wirkenden Antiseptikum (wie Chlorhexidin oder Octenidin) effektiver zu sein scheint.

Eine wegweisende Studie von Mimoz und Kollegen im Lancet 2015 beschäftigte sich mit der Frage, ob die Hautdesinfektion vor dem Einsetzen von Gefäßkathetern mit einer alkoholbasierten Chlorhexidin-Lösung im Vergleich zu einer alkoholbasierten PVP-Jod-Lösung überlegen ist, wenn es darum geht, Gefäßkatheter-assoziierte Infektionen zu verhindern. Dabei zeigte sich, dass die Verwendung von Chlorhexidin zu einer signifikanten Reduktion von Infektionen im Zusammenhang mit Kathetern führte. Aus diesem Grund empfiehlt die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (KRINKO) ein solches Kombinationspräparat.

 

Antiseptische Folienverbände beim liegenden Gefäßzugang

Wenn es wirksam ist und möglicherweise die Wirkung effizienter macht, Antiseptika lokal vor dem Einstich in die Haut anzuwenden, dann liegt es nahe, die Wirkstoffe direkt an der Risikostelle in einer speziellen Matrix zu platzieren. Dies geschieht klassischerweise in Form von Folienpflasterverbänden, die mit den Antiseptika imprägniert sind. Bereits im Jahr 2012 konnten Timsit und sein Team zeigen, dass solche Folienverbände sogar bei niedrigen Infektionsraten ein erhebliches Potenzial zur Reduzierung von Infektionen im Zusammenhang mit Gefäßkathetern haben.

Experten empfehlen den Einsatz dieser Folienverbände insbesondere bei besonders gefährdeten Patienten sowie als zusätzliche Maßnahme bei hohen Infektionsraten. Das bedeutet, dass sie als eine wertvolle Ergänzung zu anderen Maßnahmen dienen können, um das Infektionsrisiko zu minimieren und die Sicherheit der Patienten zu erhöhen.

 

Resistenz und Toleranz

Das Phänomen Resistenz und Toleranz ist gut von einem zu unkritischen Einsatz von Antibiotika bekannt und sollte nicht analog mit Antiseptika erneut geschehen. Eine besorgniserregende Entwicklung ist, dass Antiseptika zunehmend bei bestimmten Keimen nicht mehr so eine gute Wirkung haben wie früher. Diese Resistenz oder Toleranz gegenüber Antiseptika könnte dazu führen, dass diese hochwirksamen Substanzen langfristig bei denjenigen Patienten, die am meisten davon profitieren würden, ihre Effektivität verlieren.

Kürzlich wurden aus zwei Laborstudien interessante Ergebnisse veröffentlicht: Wand und sein Team untersuchten, ob sie bestimmte Keime, die im Krankenhaus Ausbrüche verursachen können (z. B. Klebsiella pneumoniae), gegenüber dem Antiseptikum Chlorhexidin resistent machen können, indem sie diese Substanz der Nährlösung zusetzten. Es gelang ihnen tatsächlich, diese Keime resistent gegen Chlorhexidin zu machen. Doch das war nicht alles: Überraschenderweise entwickelten diese Keime gleichzeitig auch eine Resistenz gegenüber einem Reserveantibiotikum namens Colistin.

Ähnliche Beobachtungen wurden auch bei anderen Krankenhauskeimen gemacht, die derzeit zunehmen, wie z. B. Vancomycin-resistente Enterokokken. Wenn diese Keime im Labor mit Chlorhexidin in Kontakt kamen, nahm ihre Empfindlichkeit gegenüber Chlorhexidin wie erwartet ab. Doch völlig unerwartet verringerte sich gleichzeitig auch ihre Empfindlichkeit gegenüber dem Reserveantibiotikum Daptomycin.

Diese Ergebnisse sind besorgniserregend, da sie zeigen, dass der Einsatz von Antiseptika möglicherweise dazu beiträgt, die Resistenz gegen wichtige Antibiotika zu fördern. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer vorsichtigen und verantwortungsvollen Verwendung von Antiseptika, um ihre langfristige Wirksamkeit zu erhalten und die Ausbreitung von resistenten Keimen einzudämmen.
 

Fazit für die Antiseptika-Praxis

Trotz des Einsatzes von Antiseptika bleiben die bekannten Grundmaßnahmen zur Vermeidung von Infektionen im Krankenhaus die wichtigste Basis. Das bedeutet, dass jede zusätzliche Maßnahme sorgfältig abgewogen werden muss und innerhalb eines abgestuften Konzepts angewendet werden sollte. Es ist wichtig, diese zusätzlichen Maßnahmen gezielt einzusetzen und zu überlegen, welche Patienten davon am meisten profitieren.


Literatur

Cassini A, Plachouras D, Eckmanns T, Abu Sin M, Blank HP, Ducomble T, Haller S, Harder T, Klingeberg A, Sixtensson M, Velasco E, Weiß B, Kramarz P, Monnet DL, Kretzschmar ME, Suetens C. Burden of Six Healthcare-Associated Infections on European Population Health. Estimating Incidence-Based Disability-Adjusted Life Years through a Population Prevalence-Based Modelling Study. PLoS Med. 2016 Oct 18;13(10):e1002150. doi: 10.1371/journal.pmed.1002150. PMID: 27755545; PMCID: PMC5068791.

Mimoz O, Lucet JC, Kerforne T, Pascal J, Souweine B, Goudet V, Mercat A, Bouadma L, Lasocki S, Alfandari S, Friggeri A, Wallet F, Allou N, Ruckly S, Balayn D, Lepape A, Timsit JF; CLEAN trial investigators. Skin antisepsis with chlorhexidine-alcohol versus povidone iodine-alcohol, with and without skin scrubbing, for prevention of intravascular-catheter-related infection (CLEAN). An open-label, multicentre, randomised, controlled, two-by-two factorial trial. Lancet. 2015 Nov 21;386(10008):2069-2077. doi: 10.1016/S0140-6736(15)00244-5. Epub 2015 Sep 18. PMID: 26388532.

Timsit JF, Mimoz O, Mourvillier B, Souweine B, Garrouste-Orgeas M, Alfandari S, Plantefeve G, Bronchard R, Troche G, Gauzit R, Antona M, Canet E, Bohe J, Lepape A, Vesin A, Arrault X, Schwebel C, Adrie C, Zahar JR, Ruckly S, Tournegros C, Lucet JC. Randomized controlled trial of chlorhexidine dressing and highly adhesive dressing for preventing catheter-related infections in critically ill adults. Am J Respir Crit Care Med. 2012 Dec 15;186(12):1272-8. doi: 10.1164/rccm.201206-1038OC. Epub 2012 Oct 4. PMID: 23043083.

Wand ME, Bock LJ, Bonney LC, Sutton JM. Mechanisms of Increased Resistance to Chlorhexidine and Cross-Resistance to Colistin following Exposure of Klebsiella pneumoniae Clinical Isolates to Chlorhexidine. Antimicrob Agents Chemother. 2016 Dec 27;61(1):e01162-16. doi: 10.1128/AAC.01162-16. PMID: 27799211; PMCID: PMC5192135.

Bhardwaj P, Hans A, Ruikar K, Guan Z, Palmer KL. Reduced Chlorhexidine and Daptomycin Susceptibility in Vancomycin-Resistant Enterococcus faecium after Serial Chlorhexidine Exposure. Antimicrob Agents Chemother. 2017 Dec 21;62(1):e01235-17. doi: 10.1128/AAC.01235-17. PMID: 29038276; PMCID: PMC5740357.


Quelle:

Antiseptika: Wann kann ihre Wirkung Infektionen vermeiden, und wann nicht? Und welche Risiken bestehen?. Professor Dr. med. Simone Scheithauer. Leiterin der Zentralabteilung Krankenhaushygiene und Infektiologie an der Universitätsmedizin Göttingen. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT 2018), Juni 2018, Köln

 

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