Freitag, April 19, 2024

Alterstraumatologie und Altersorthopädie im Blickpunkt

Die immer älter werdende Bevölkerung stellt für die Alterstraumatologie sowie die Altersorthopädie eine große Herausforderung für die Zukunft dar.

In den modernen Industrienationen sehen wir uns gerade mit den Problemen des Bewegungsapparates einer großen Aufgabe gegenüber. Mit der immer älter werdenden Bevölkerung. Spezielle Probleme einer Bevölkerung, die in 20 Prozent, ja 30 Prozent ihrer Gesamtheit älter als 65 Jahre ist und nicht zuletzt auch eine große Zahl von Menschen im höchsten Lebensalter zwischen 85 und 100 Jahren als Patienten besitzt, hat andere Herausforderungen zu bewältigen als ein Gesundheitssystem, das sich hauptsächlich mit jungen Patienten beschäftigt. Die immer älter werdende Bevölkerung stellt auch zukünftig eine große Herausforderung für die Altersorthopädie und für Alterstraumatologie dar.

 

Probleme am Bewegungsapparat – Alterstraumatologie und Altersorthopädie gefordert

Sehr häufig werden Menschen in höheren Alter gerade durch Probleme am Bewegungsapparat sehr stark limitiert. Gerade die letzten zehn bis zwölf Jahres eines Lebens zeichnen sich durch eine Vielzahl von kleineren und größeren Erkrankungen am Bewegungsapparat aus. Mehrfacherkrankungen sind häufig, Chronifizierungen die Regel. Die leider auch häufig dabei zu beobachtenden kognitiven Einschränkungen erhöhen die Risiken für Traumata und Verletzungen. Diese Patienten benötigen häufig konservative Unterstützung und Reha-Maßnahmen, die speziell auf ihr hohes Lebensalter abgestellt sein müssen und auch die multimorbiden Zustandsbilder mit einer Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen sind eine Herausforderung. Dieses Thema müssen wir aufgreifen, sowohl hinsichtlich der degenerativen Erkrankungen als auch der Trauma-Problematik.

Es ist ein großer Unterschied, ob eine Wirbelsäulen-Behandlung konservativ oder operativ bei einem 60-Jährigen oder einem 90-Jährigen zu erfolgen hat und die Ressourcen, die dafür erforderlich sind und die Fachkompetenz, die nötig ist, um hier eventuell einen operativen Eingriff noch durchzuführen, unterscheidet sich auch erheblich. Der alte Mensch stellt oft viel höhere Anforderungen an Zeit, Personalaufwand und Fachkenntnis. Darauf müssen wir uns vorbereiten und die Mittel und Möglichkeiten dafür zur Verfügung stellen, da die Zahl der Alten und Hochbetagten immer weiter zunehmen wird.

Die Fallzahl in deutschen Krankenhäusern wird deshalb auch erheblich ansteigen. Man rechnet in 15 Jahren mit 20 bis zu 40 Prozent mehr Patienten, die über 80 Jahre alt sind und teils akut-stationär, teils in Rehabilitationseinrichtungen behandelt werden müssen – und dies häufig mit Problemen am Bewegungsapparat.

 

Ortho-Geriatricians für Altersorthopädie und Alterstraumatologie

Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hat dieses Problem erkannt. Wir werden hier natürlich auch interdisziplinär arbeiten müssen, um eine kompetente Versorgung unserer Patienten mit einer Verbesserung der Behandlungsqualität erreichen zu können, und dies heißt natürlich nicht zuletzt, dass eine frühe geriatrische Mit- und Nachbehandlung in Altersorthopädie und Alterstraumatologie nicht nur notwendig sein wird, sondern auch die Ergebnisse verbessern wird. Es ist bezeichnend, dass im Hospital for Special Surgery in New York inzwischen mehr als zehn Prozent der dort tätigen Ärzte aus O & U als sogenannte „Ortho-Geriatricians“ bezeichnet werden, also als Orthopäden, die sich speziell mit geriatrischen Problemen beschäftigen. Dies ist eine Entwicklung, auf die wir uns ebenfalls einstellen müssen.

Natürlich haben wir viele Möglichkeiten in der Behandlung von hochbetagten Patienten. Die Kunstgelenke werden sicherlich auch 20 weitere Jahre ihre segensreiche Wirkung bei der Behandlung von Frakturen und degenerativen Veränderungen erfüllen können. Dennoch muss man natürlich auch in die Zukunft sehen und hoffen, dass es hier Veränderungen und Weiterentwicklung, gerade aus der Arthroseforschung, gibt, mit denen wir das menschliche Reparatursystem Schritt für Schritt verbessern können.

 

Zukunftsmusik

Es ist zu hoffen, dass es uns gelingt, unseren Körper auf Zell- und Molekularbasis zu stärken und auch die Gelenke und die Knochen zu erneuern beziehungsweise den Alterungsprozess zu verlangsamen, aufzuhalten, vielleicht sogar wieder rückgängig zu machen. Das ist natürlich Zukunftsmusik, aber auch darauf muss die DGOU vorbereitet sein und auch diesen Bereich der medikamentösen und der genetischen Therapie bearbeiten und in ihre Zukunftsoptionen aufnehmen. Dafür müssen wir Forschungsprojekte – wie wir es ja auch tun – anstoßen, unterstützen und fördern.

Interessanterweise sind es gerade die großen Internetkonzerne, die sich sehr stark mit diesen Themen des medizinischen Fortschritts beschäftigen. Der Leiter der technischen Entwicklung bei Google, Raymond Kurzweil, ist der Meinung, dass wir ab dem Jahr 2030 jedes Jahr ein Lebensjahr dazugewinnen. Aus seiner Sicht vollzieht sich Fortschritt nicht linear, sondern exponentiell. Er denkt, dass Nanotechnologie die Aufgaben unseres Immunsystems ergänzen wird, wir werden damit von Tumoren und Desoxyribonukleinsäure(Dann)-Fehlern befreit werden. Seine futuristische Aussicht endet damit, dass der Mensch ganz ohne feste körperliche Form als „Gehirn-Download“ funktionieren wird. Wir werden abwarten, was kommt und beschäftigen uns jetzt sicherlich in unserer Lebensspanne noch mit Platten, Schrauben und Kunstgelenken, aber auch mit zukunftsweisenden Technologien aus Arthrose- und Stammzellforschung.

Quelle:

Statement » Die immer älter werdende Bevölkerung – eine große Herausforderung für die Zukunft, sowohl für Altersorthopädie als auch für Alterstraumatologie «. Von Professor Dr. Dr. med. Werner E. Siebert Kongresspräsident des DKOU 2018, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Vitos Orthopädischen Klinik Kassel gGmbH und Lehrbeauftragter der Universität Kassel für den Bereich Sportmedizin zum Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), Oktober 2018, Berlin

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