Prim. Prof. Dr. Günter Höfle referierte in seinem Statement darüber, warum der eine fett, der es andere nicht ist – und welche Mechanismen Adipositas steuern.
Adipositas (Fettleibigkeit) ist eine chronische Erkrankung mit zunehmender Prävalenz, eine „globale Epidemie“. Fettleibigkeit erhöht das Sterberisiko und das Risiko für Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Cholesterinstoffwechselstörung, Herzerkrankungen, Schlaganfall, Schlafapnoe, Krebs und andere mehr.
Prävalenz der Adipositas
Prävalenz der Fettleibigkeit (BMI ≥30 kg/m2):
- Deutschland (BMI ≥30): 23,3 % der Männer und 23,9 % der Frauen, (v. a. junge Erwachsene)
- (2011) BMI ≥25 (=übergewichtig oder adipös): 53 % der Frauen, 67,1 % der Männer
- USA: BMI ≥30: 34,9 %, BMI ≥ 25: 68,5 % (2012)
Ätiologie der Fettleibigkeit (Adipositas)
Viele Faktoren können Fettleibigkeit begünstigen. Allerdings sind bei den meisten fettleibigen Patienten nichtmedizinische Störungen wie sitzender Lebensstil und erhöhte Kalorienzufuhr ursächlich. Auch wenn sekundäre Ursachen ungewöhnlich sind, sollten sie ausgeschlossen werden: neuroendokrine Adipositas, genetische (dysmorphe) Adipositasformen, Medikamente. Weitere Faktoren sind: Alimentäre, soziale und verhaltensassoziierte Faktoren (niedriger sozioökonomischer Status, niedriger Ausbildungsgrad), sitzender Lebensstil, Altern, Stopp des Rauchens, niedriges Geburtsgewicht.
Energiebilanz
Die Regulation der Energiehomöostase und des Körpergewichts ist ein komplexer Prozess, welcher durch das zentrale und das sympathische Nervensystem, das Melanocortinsystem, die Nahrungsaufnahme, die Darmhormone, die Darmflora und das Fettgewebe selbst gesteuert wird. Energie wird durch Aktivität und Bewegung verbraucht. Dabei spielt nicht nur die aktive Bewegung eine Rolle, sondern auch die spontane körperliche Aktivität, die zwischen 100 und 800 kcal/Tag betragen kann. Ein sitzender Lebensstil bedeutet wenig Aktivität und geringen Energieverbrauch.
Die Energiezufuhr muss über eine längere Zeit höher sein als der Energieverbrauch. Verschiedene Regulationsmechanismen versuchen, das Gleichgewicht zu halten. Zum Beispiel ist Gewichtszunahme mit erhöhtem Energieumsatz assoziiert, damit die Gewichtszunahme eingebremst wird. Umgekehrt reduziert Gewichtsabnahme den Grundumsatz, damit eine weitere Gewichtsabnahme verhindert wird.
Rolle der Darmflora (Mikrobiota, Mikrobiom, Darmflora)?
Die vorhandenen Darmbakterien könnten einen Einfluss auf das Körpergewicht haben, je nachdem welche Bakterien in welcher Menge vorhanden sind. Effekte auf den Energiestoffwechsel, die (subklinische) Entzündung und eine veränderte Darmpermeabilität werden als mögliche Mechanismen diskutiert.
Studien bei Tieren ergaben Hinweise, dass bestimmte Konstellationen von Darmbakterien die Entwicklung von braunem Fettgewebe (produziert Wärme und verbraucht damit Energie) fördern können. Es ist derzeit aber noch nicht klar, ob die Darmflora einen relevanten Einfluss auf die Fettleibigkeit hat und falls ja, ob sie einen relevanten Beitrag zur Häufigkeit und Zunahme der Fettleibigkeit leistet.
Bedeutung der genetischen Faktoren
Es kann zwischen primären Faktoren unterschieden werden, die Fettleibigkeit anlagemäßig verursachen und sekundären Faktoren, die eine permissive Rolle spielen und mit Umweltfaktoren zusammen Fettleibigkeit verursachen/fördern. Erbliche Faktoren können 30 bis 70 Prozent der Variation der Fettleibigkeit erklären. Es gibt mindestens 50 Gene mit Polymorphismen, die mit Fettleibigkeit assoziiert sind.
Abklärung und Therapie
Vor einer geplanten Gewichtsreduktion ist eine medizinische Untersuchung notwendig.
Individualebene:
Alle, die von einem Gewichtsverlust profitieren würden, sollten eine Beratung über eine zielführende Ernährung, eine angemessene körperliche Aktivität, eine Verhaltensmodifikation und die Ziele der Gewichtsreduktion erhalten. Übergewichtige/Adipöse, die aus medizinischen Gründen kein Gewicht verlieren sollen, würden von einer Beratung zur Prävention einer Gewichtszunahme profitieren.
Ziel: Gewichtsverlust von ≥ 5 % (bis 10-15 %) des Körpergewichts
Risikofaktoren evaluieren und behandeln
Bariatrische Chirurgie (= Chirurgie der Fettleibigkeit; für BMI > 40 oder BMI > 35 mit Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus,..)
Intensivierung der medizinischen Adipositasforschung
Verstärkte Nutzung der Maßnahmen auf Kollektiv-, Politik- und Medienebene.
Statement von Primarius Professor Dr. Günter Höfle, Tagungspräsident und Präsident der ÖGES,
Leiter der Abteilung Innere Medizin am Landeskrankenhaus Hohenems anlässlich des 59. Symposiums der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie,
anlässlich der 21. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Endokrinologie und Stoffwechsel und Frühjahrstagung 2016 der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie in München