Donnerstag, März 28, 2024

HLA-Gene und die genetische Veranlagung für Rheuma-Erkrankungen

Neben der genetischen Veranlagung spielen für die Entstehung von Rheuma auch Umwelteinflüsse, Infektionen und Rauchen eine wichtige Rolle.

Die Aktivierung des Immunsystems eines jeden Menschen hängt entscheidend von dem genetischen Bausatz ab. Für die genetische Veranlagung ist die Komposition aus 12 sogenannten HLA-Genen wichtig. Diese wird jeweils zu gleichen Teilen von Vater und Mutter vererbt. Die Durchmischung dieser HLA-Gene bedingt, ob ein Patient bestimmte Viren oder Bakterien gut „abarbeiten“ kann. Oder ob man sehr unter dem Infekt leidet. Aus demselben Grund lässt sich erklären, warum einzelne Patienten auf die identische Impfung heftig oder kaum reagieren. Und warum Menschen beispielsweise im nächsten Jahr auf einen ähnlichen Impfstoff, wie etwa bei der Grippeimpfung, umgekehrt kaum oder heftig reagieren. Jedenfalls ist die genetische Veranlagung für die Entstehung, Modifikation sowie Ausprägungsgrad von chronischen entzündlichen Rheuma-Erkrankungen von entscheidender Bedeutung.

 

HLA-Gene und Rheuma

Ähnlich wichtig ist die Zusammensetzung der HLA-Moleküle in der Transplantationsmedizin: Hier werden gerade in der Stammzelltransplantation, aber auch in der Organtransplantation, HLA-Moleküle vor der Transplantation beim Empfänger bestimmt und die Spender gemäß dieser HLA-Komposition möglichst passend gewählt, um eine möglichst identische HLA-Zusammensetzung zu gewährleisten und damit die Abstoßung des Organs oder der Stammzellen weitgehend zu verhindern.

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass einzelne HLA-Moleküle für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen eine zentrale Rolle spielen. Dies ist besonders beeindruckend bei dem Molekül HLA-B27, das für die ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew) in der Entstehung wichtig zu sein scheint. Denn 95 Prozent der Patienten mit Morbus Bechterew sind HLA-B27 positiv.

Das HLA-B27 ist in Südeuropa nur etwa bei einem Prozent der Bevölkerung vorhanden, während in Nordeuropa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung positiv für HLA-B27 sind. Man könnte dies so erklären, dass in den frühen Jahren der Menschheitsgeschichte mit fehlender medizinischer Versorgung und unter schlechten hygienischen Bedingungen ein besonders guter HLA-Bausatz wichtig war, um Infekte abzuwehren. Das HLA-B27 scheint in den Gegenden mit langen Wintern und nasskaltem Wetter besser geeignet gewesen zu sein, insbesondere Viren abzuwehren, dies begründet, warum Träger des HLA-B27 in Nordeuropa wohl länger überlebt und entsprechend mehr Nachkommen zeugen konnten, somit ihr Molekül HLA-B27 weitergeben konnten.

 

Genetische Veranlagung alleine reicht nicht für Auslösung von Rheuma

Tierexperimentelle Daten zeigen, dass die Expression von HLA-B27 alleine nicht genügt, die entzündlich-rheumatische Erkrankung zu provozieren. Zudem müssen die Forscher die HLA-B27-positiven Versuchstiere mit Viren oder Bakterien konfrontieren, damit die Erkrankung ausbricht. Ähnlich stellt es man sich auch beim Menschen vor. Wichtig ist dabei noch zu konstatieren, dass trotz der Positivität für HLA-B27 ca. 90 Prozent der Genträger nicht an der Erkrankung leiden werden. Es sind also zusätzliche Faktoren neben der genetischen Veranlagung relevant, damit die Rheuma-Krankheit zum Ausbruch kommt. Genetik, Veranlagung, ist nicht alles.

Andere Beispiele für die Bedeutung genetischer Veränderungen für entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind die monogenetischen Fiebersyndrome wie das Mittelmeerfieber: Hier zeigt sich, dass Mutationen in bestimmten Genen, die ebenfalls vererbt werden, eine Überreaktion des Immunsystems bedingen, was sich dann in wiederkehrenden Fieberepisoden, Bauchschmerzen, Halsentzündungen und einer im Blut messbaren sehr hohen entzündlichen Aktivität ausdrückt. Üblicherweise verlaufen diese Erkrankungen in Schüben, was wiederum belegt, dass trotz der weiterhin vorhandenen Genmutation auch regulatorische Mechanismen ablaufen, die die Krankheit immer wieder einfangen und phasenweise kontrollieren.

Ein letzter Beleg zur Einschätzung der Bedeutung der Genetik für Immunreaktionen inklusive entzündlich-rheumatischer Erkrankungen kann man dieses Beispiel zitieren. Eineiige Zwillinge besitzen die identische genetische Ausstattung inklusive ihrer HLA-Moleküle. Es gibt gute Daten aus diesen Bevölkerungsstudien mit eineiigen Zwillingen, die belegen, dass bei Erkrankung eines der Zwillingsgeschwister das Risiko für den Zwilling, dieselbe rheumatische Erkrankung zu bekommen, deutlich erhöht ist, was die Bedeutung des genetischen Bausatzes für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen belegt.

 

Umwelteinflüsse, Infektionen und Rauchen sowie Epigenetik als weitere Faktoren

Allerdings zeigen diese Daten in ähnlich überzeugender Weise, dass weitere Faktoren neben der Veranlagung wichtig sind, da die Auftretenswahrscheinlichkeit dieser entzündlich-rheumatischen Erkrankung des bisher gesunden Zwillingsgeschwisters deutlich unter 50 Prozent liegt. Dies bedeutet, dass neben der Genetik auch Umwelteinflüsse wichtig sind für die Auslösung der Autoimmunerkrankung. Hierzu gehören neben Infektionen auch häufig das Rauchen.

Spannend sind neue Forschungsarbeiten, die die Rolle der Epigenetik in der Entstehung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen untersuchen. Unter Epigenetik versteht man Modifikationen gerade im Vorläufer, dem sogenannten Promoter von Genen, also dem Areal, das für das An- oder Abschalten der Genaktivierung wichtig ist. Wir wissen, dass diese Promotoren durch Azethylierung oder Methylierung von Nukleinsäuren einmal besser, einmal schlechter aktiviert werden können. Diese epigenetischen Veränderungen führen dann ebenfalls zu einer unterschiedlichen Reaktionsweise des Immunsystems auf bestimmte Reize wie beispielsweise Infektionen oder Nikotinabusus. Und sie können somit die Entstehung von Autoimmunreaktionen mit unterstützen.

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Veranlagung für die Entstehung und die Modifikation sowie den Ausprägungsgrad von chronischer Entzündung (nicht nur) bei chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen von entscheidender Bedeutung ist. Wenngleich nur selten genetische Modifikationen als alleinige Ursache zur Entstehung der Erkrankung angeführt werden können.


Quelle:

Statement »Liegt der Schlüssel im Erbgut? Genetische Ursachen seltener Rheuma-Erkrankungen « von von Professor Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Präsident der DGRh. Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des Rheumazentrums Baden-Baden zum 46. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh), September 2018, Mannheim

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