Trotz Jahrzehnte langer Bemühungen und Kampagnen zur Impfung ist das Poliovirus noch immer nicht ganz ausgerottet. Es ist oft an unerwarteten Orten zu finden.
Das Poliovirus tritt nach wie vor an unerwarteten Orten auf. Die Impfkampagne zur weltweiten Ausrottung der Poliomyelitis – der gefürchteten Kinderlähmung – ist einerseits erfreulicherweise sehr weit fortgeschritten, denn in einem Großteil der Welt konnte die Zirkulation des wilden Poliovirus durch den massiven Einsatz der Impfung bereits beendet werden.
In verschiedenen Regionen besteht jedoch nach wie vor das Risiko der Einschleppung den Poliovirus aus Ländern, in denen die vollständige Ausrottung noch nicht gelungen ist. Hinzu kommt, dass das Poliovirus nicht nur in infizierten Menschen existiert, sondern auch noch in vielen Proben, die in Labors für Forschungs- oder andere virologische Zwecke gelagert werden.
Problem: Labors gelagerten Materialien
Ein wesentlicher Teil des Ausrottungsprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO besteht auch in der Erfassung von allen in Labors gelagerten Materialien, die potentiell Polioviren enthalten. Laut der derzeit verwendeten Definition zählen dazu „Faeces, respiratorische Sekrete und Abwasser bzw. Wasserproben aus einer Gegend, in der Polioviren vorkommen, sowie Virusproben, die aus solchen Materialien durch Züchtung in Zellkulturen oder Tieren gewonnen wurde“.
Wie Virologen einst berichteten (Davies et al., Lancet 361, 2003), gibt es offensichtlich auch noch andere in vielen Labors gelagerte Proben. Und diese sind ein Grund zur Besorgnis im Zusammenhang mit der Polioausrottung. Forscher berichten, dass sie in Präparationen verschiedener Viren (vor allem Rhino- und Coxsackieviren) zusätzlich auch das Polio Wildvirus gefunden haben. Und es weist vieles darauf hin, dass solche Kontaminationen kein seltenes Ereignis waren und noch immer sind.
Möglicherweise gelingt es bald, die natürliche Zirkulation des Poliovirus zu beenden. Dennoch ist es kein leichtes Unterfangen, das Virus auch aus allen Lagerbeständen in weltweiten Labors zu eliminieren. Und zwar, um eine versehentliche Freisetzung zu verhindern.
Wenn das Poliovirus trotz Impfung Kinderlähmung verursacht
Im Grunde genommen verursachen spezielle Polioviren, die in drei verschiedenen Serotypen vorkommen, die Poliomyelitis. Die Infektion erfolgt hauptsächlich auf dem fäkal-oralen Weg. Problematisch sind heute vor allem auch Mutationen des Poliovirus. Denn die können trotz Impfung bei jeder fünften Infektion zu Kinderlähmung führen. Experten fordern deswegen potentere Impfstoffe.
Der Lebendimpfstoff (Oral-Polioimpfstoffe – Oral Polio Vaccine – oder OPV) war das Hauptinstrument im globalen WHO-Programm zur Ausrottung der Kinderlähmung. Das Wildtyp-2-Virus hat seit 1999 und Typ 3 seit 2012 keinen Fall mehr verursacht. Daher scheint es nahe zu sein, dass das Poliovirus ausgerottet sein wird. Die meisten Infektionen sind jedoch völlig geräuschlos, sodass möglicherweise eine sorgfältige Überwachung erforderlich ist. Nur so lässt sich die Ausrottung des Virus sicherstellen.
Der Lebendimpfstoff kann unter Bedingungen, die nicht vollständig geklärt sind, zu virulenten zirkulierenden Formen führen. Deswegen sollten inaktivierte Polioimpfstoffe (IPV) eine größere Rolle spielen. Hier fordern Experten in der finalen Phase der weltweiten Ausrottung der Kinderlähmung die universelle Einführung dieser inaktivierter Poliovirus-Impfstoffe dringend erforderlich. Damit kann man das Risiko von Poliomyelitis und Kinderlähmung durch wildlebende und von Impfstoffen stammenden Polioviren verringern.
Literatur:
Minor PD. An Introduction to Poliovirus: Pathogenesis, Vaccination, and the Endgame for Global Eradication. Methods Mol Biol. 2016;1387:1-10. doi: 10.1007/978-1-4939-3292-4_1.
Shimizu H. Development and introduction of inactivated poliovirus vaccines derived from Sabin strains in Japan. Vaccine. 2016 Apr 7;34(16):1975-85. doi: 10.1016/j.vaccine.2014.11.015. Epub 2014 Nov 21.