Freitag, April 19, 2024

Assistierter Suizid: Konzepte für Hospizversorgung und Palliativmedizin

Anfragen nach assistiertem Suizid nehmen zu, deswegen sind Empfehlungen für Mitarbeitende der Palliativmedizin und Hospizversorgung nötig.

Zunehmend wenden sich sterbenskranke Menschen sowie auch Angehörige mit Anfragen nach einem assistierten Suizid an Mitarbeitende der Palliativmedizin und in der Hospizversorgung. Das ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 deutlich spürbar. Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) heute eine Handreichung für haupt- und ehrenamtliche Fachkräfte der Hospizarbeit und Palliativversorgung wie auch andere im Gesundheitswesen Tätige zum Umgang mit Anfragen zur Suizidassistenz veröffentlicht.

DGP-Präsidentin Prof. Dr. Claudia Bausewein: „Suizidwünschen sollte immer mit Professionalität und Mitgefühl begegnet werden.“ Zum Ausdruck zu bringen sei laut der erfahrenen Palliativmedizinerin die Haltung: „Wenn Du sterben willst, berührt es mich und ich will Dir als Mensch beistehen“. Dabei kann es eine große Herausforderung für Fachkräfte der Hospizarbeit und Palliativversorgung darstellen, die Würde eines Menschen bis ins Äußerste – unter Umständen bis zum Wunsch, dieses Leben selbst zu beenden – zu bewahren.

 

Teams der Palliativmedizin und in der Hospizversorgung müssen Haltung zum Assistierten Suizid entwickeln

In der öffentlichen Wahrnehmung werden Mitarbeitende und Institutionen der Hospizarbeit und Palliativversorgung – auch aufgrund der ursprünglichen im Jahr 2015 geführten Diskussion um Suizidhilfe als Ausnahmetatbestand für den Fall schwerer, unheilbarer Erkrankung – häufig als kompetent und sogar zuständig wahrgenommen, was in dieser Allgemeinheit in Frage gestellt werden muss.

Dennoch: Mitarbeitende und Institutionen der Hospizarbeit und Palliativmedizin sollten sowohl die eigene Haltung zum Suizid reflektieren als auch auf institutioneller Ebene der einzelnen Einrichtungen, der Verbände und der jeweiligen Trägerstrukturen an der Positionsklärung und öffentlichen Darstellung der Haltung zum Thema Assistierter Suizid mitwirken.

 

DGP-Handreichung

„Aufgrund vieler offener Fragen zur möglichen gesetzgeberischen Ausgestaltung und praktischen Umsetzung ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig.“ erklärt DGP-Geschäftsführer Heiner Melching bei Veröffentlichung der DGP-Handreichung.

Neben Hintergrundinformationen zur aktuellen Gesetzgebung und Suizidalität finden Gesundheitsfachkräfte hier Empfehlungen für die Praxis, was in Gesprächen zu beachten ist und wie mit Anfragen verantwortungsvoll umgegangen werden kann. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und die von ihr geführte Koordinierungsstelle für Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland unterstützen gern Einrichtungen, die für ihre Teams Veranstaltungen zu diesem Thema planen.


Im konkreten Umgang mit Patienten, die nach Suizidhilfe fragen, empfiehlt die DGP diese Grundpfeiler:

  • Wahrnehmen und Erkennen der Wünsche,
  • Verstehen oder Akzeptieren der Ursachen und
  • Funktionen des Todeswunsches,
  • Angebot der palliativen Begleitung und Beratung sowie Suizidprävention.

Infobedarf: Behandlungsbeendigung? Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken? Palliative Sedierung?

Vielen Patienten, die einen Todeswunsch äußern, ist zudem nicht bekannt, dass jede medizinische und pflegerische Maßnahme nur bei entsprechender Indikation und mit ihrem Einverständnis begonnen und weitergeführt werden darf. Das ergänzt DGP-Vorstandsmitglied Alexandra Scherg, Ärztin in Weiterbildung. Wobei Patienten und Ärzten zudem befürchten, dass die Nichteinleitung oder Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen zwangsläufig mit stark belastenden Symptomen behaftet ist, so ihre Erfahrung. Auch diese Fehleinschätzung muss man korrigieren.

Außerdem unterstreicht DGP-Vizepräsident Dr. Bernd Oliver Maier: „Es ist wichtig, Patientinnen und Patienten Informationen über die Option der Beendigung lebenserhaltender Behandlungsmaßnahmen anzubieten.“

Dieser Anspruch auf Informationen müsse ebenso bezüglich des freiwilligen Verzichts auf Essen und Trinken (FVET) gelten.

„Wenn die Last der Symptome auf physischer oder psychischer Ebene als unerträglich empfunden wird und eine ausreichende Symptomkontrolle auch mit allen Möglichkeiten der Symptomlinderung nicht oder nicht ausreichend schnell erreicht werden kann, ist zudem mit der Patientin oder dem Patienten die Option einer gezielten Sedierung zur Leidenslinderung zu besprechen.“, so Maier, Chefarzt für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie am St. Josefs-Hospital Wiesbaden.

 

Assistierter Suizid ist weder ärztliche Aufgabe noch Aufgabe der Hospizversorgung und der Palliativmedizin

Prof. Dr. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am LMU Klinikum München, fasst das zusammen. „Die Assistenz beim Suizid, also die direkte Hilfe bei der Durchführung, ist grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe. Oder Aufgabe der Hospiz- und Palliativversorgung. Dennoch dürfen wir nicht weghören, wenn Sterbewünsche geäußert werden.“

Es sei absolut wichtig, dass Mitarbeitende und Institutionen der Palliativmedizin und Hospizarbeit die eigene Haltung zum assistierten Suizid reflektieren. Zudem dass sie sich mit dem Themenfeld der Suizidhilfe und der Suizidprävention auseinandersetzen.

Dazu gehört das achtsame Erfragen und Dokumentieren von Todeswünschen bei hospizlich und palliativ begleiteten Menschen. Weiter die Kompetenz, darüber wertfrei zu kommunizieren. Wesentlich ist auch die differenzierte Aufklärung und Beratung über Möglichkeiten der Symptomkontrolle. Zudem des freiwilligen Verzichts auf Essen und Trinken am Lebensende.

 

Fazit der DGP

Teams und Einrichtungen benötigen zeitnah Konzepte zum Umgang mit Suizidwünschen. Auch wenn man die Kooperation mit Akteuren der Suizidhilfe von Einzelpersonen, Palliative Care-Teams oder Institutionen ablehnen kann. Bei Kooperationsbereitschaft mit Sterbehilfeorganisationen sind zudem äußerst konkrete Fragen zu klären. Und zwar wie Zutritt in eine Einrichtung sowie Duldung des assistierten Suizids in der Einrichtung. Zudem aktive Beteiligung von Mitarbeitenden an der Durchführung sowie die Definition verbindlicher “roter” Linien. Und diese sollte man keinesfalls überschreiten.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ist sich bewusst, dass sie die vorgelegten Empfehlungen zum assistierten Suizid regelmäßig hinsichtlich der Notwendigkeit von Anpassungen überprüfen müssen.


Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zum Umgang mit dem Wunsch nach assisteiertem Suizid. In der Hospizarbeit und Palliativversorgung (Stand: September 2021)


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin

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