Freitag, April 26, 2024

Sterbehilfe als Handlungsoption in der Palliativmedizin

Experten fordern Solidarität mit schwachen, schwerkranken, alten, isolierten Menschen. Kann Sterbehilfe eine Handlungsoption der Palliativmedizin sein?

Der aktuelle deutsche Kongress zur Palliativmedizin beschäftigt sich mit Diskurs zu schwierigen Kontroversen am Lebensende, zum Thema Sterbehilfe sowie mit dem Einfluss der Corona-Pandemie auf die Versorgung Schwerstkranker Menschen.



„Die gesellschaftliche Solidarität mit schwachen, schwerkranken, alten und isolierten Menschen ist mehr denn je gefordert.“ so der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Kongresspräsident Dr. Bernd-Oliver Maier zur Eröffnung des 13. DGP-Kongresses: „Es geht nicht nur darum, wie wir gefährdete Personengruppen vor einer Corona-Infektion schützen können. Ebenso wichtig ist es, Menschen mit einer weit fortgeschrittenen lebensbegrenzenden Erkrankung, einem schweren Covid-19-Verlauf oder Multimorbidität im Alter auch unter erschwerten Bedingungen Lebensqualität zu ermöglichen.“

 

Palliativmedizin und Sterbehilfe-Debatte

Unter dem Strich melden sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu §217 StGB vermehrt Angehörige von Menschen, die so nicht mehr weiterleben möchten und Nahestehende um Hilfe bitten. So kann der heute eröffnete Palliativkongress der DGP zu Palliativmedizin fast als Auftakt der für diesen Herbst erwarteten erneuten Sterbehilfe-Debatte gelten, denn diese ist zentral bei den „Kontroversen am Lebensende“.

„Das Leitmotiv des Kongresses steht für die Themen, die uns in der DGP bewegen und für die es keine einfachen Lösungen gibt.“ erklärte DGP-Präsident Prof. Dr. Lukas Radbruch. Er nannte beispielhaft die Darstellung des Lebensendes in den Medien, den Umgang mit der Sterbehilfe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den Einfluss der Pandemie auf die Hospizversorgung und Palliativmedizin: „Das vergangene halbe Jahr hat alle Beteiligten enorm gefordert.“

 

Defizite in der Palliativmedizin

Gerade jetzt dürfe deshalb nicht nachgelassen werden in den Bemühungen um eine flächendeckend hochwertige Hospiz- und Palliativversorgung, betonte auch Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Krebshilfe. „Trotz der durchaus erfolgreichen Entwicklung der Palliativmedizin in Deutschland sehen wir nach wie vor auch Defizite. Insbesondere im ländlichen Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung noch lückenhaft. Auch die universitäre palliativmedizinische Ausbildung lässt in der Breite weiterhin zu wünschen übrig. Hier sehen wir die Politik gefordert, sich dieser noch unbefriedigenden Situation dringend anzunehmen.“

Mit ein Grund für die Deutsche Krebshilfe, den DGP-Kongress besonders in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. Schließlich sei die enge Kooperation von Onkologie und Palliativmedizin unerlässlich: Onkologische Therapien wirken länger in die Palliativversorgung hinein und eine palliativmedizinische Mitbehandlung ist zu einem viel früheren Zeitpunkt einer Krebserkrankung sinnstiftend, erläutert Dr. Bernd Oliver Maier, Chefarzt für Palliativmedizin und Onkologie in Wiesbaden.



 

Thema Kontroversen am Lebensende

„Gerade weil der Kongress „Kontroversen am Lebensende“ zum Thema hat, muss dem fachlichen Austausch über ethisch brisante Themen besonderer Raum gegeben werden“, erklärt Kongresspräsident Dr. Kurt W. Schmidt, Leiter des Zentrums für Ethik in der Medizin, Frankfurt/M. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird auf dem Kongress beispielsweise die ethisch provokante Frage gestellt: Muss nun Sterbehilfe eine Handlungsoption in der Palliativmedizin sein? Diese Frage ist gerade deshalb so herausfordernd, weil sie im Kern die Werthaltungen jedes Einzelnen, jedes Palliativteams und letztlich der gesamten Fachgesellschaft betrifft.

„Es geht um nichts weniger als um Werthaltungen und Gewissensentscheidungen, kurz: um meine eigene Identität“ so Schmidt, „ und um die stets neue Frage, wie medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften die Pluralität von Meinungen in ethisch brisanten Fragen unter einem Dach versammeln können, ohne ihr Profil zu verlieren.“

Zu diesem kontroversen Austausch gehöre unbedingt auch der Perspektivwechsel, so Schmidt, deshalb freue sich das Kongressteam ganz besonders auf Gäste aus Medien und Kultur, die auf ihre Weise Fragen zur Gestaltung des Lebensendes lebendig werden lassen: Ob TV-Journalistin Sandra Maischberger zu „Palliativversorgung in den Medien“ oder Autor Wladimir Kaminer zur „Bedeutung von Heimat am Lebensende“, ob wechselnde Akteure im Rahmen einer „Palliative Performance“, Filmregisseur Ingo Häckes in begleitenden Youtube-Streams oder das Cartoonistenduo Rattelschneck im ´Sargbau´-Film, all dieses u.v.a.m. ermögliche es, „über den Tellerrand zu schauen“.

Wichtig ist der DGP, so Kongresspräsidentin Michaela Hach, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung und Geschäftsführerin des Fachverbandes SAPV Hessen e.V. in Wiesbaden, dass auch bei „ausschließlich digital“ die rund 800 Teilnehmer*innen an den Bildschirmen abwechslungsreiche Gelegenheiten zum interprofessionellen Austausch und zur kollegialen Begegnung sowohl in acht Plenarveranstaltungen, zwölf Parallelsitzungen sowie 12 praxisrelevanten Workshops als auch in diversen Chaträumen nutzen können – bis es zum Abschluss heißt: „Das Ende naht“ mit der skurrilen Kongressnachlese von Marcus Weimer und Olav Westphalen alias Rattelschneck.




Quelle:

13. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), 9.-12.9.20: www.dgp2020.de

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