Mittwoch, April 24, 2024

Immuntherapie bei Tumoren des Urogenitaltraktes

Tumoren des Urogenitaltraktes sind heutzutage wesentlich besser behandelbar, als das noch vor wenigen Jahren der Fall war.

In der Behandlung von Tumoren des Urogenitaltraktes findet derzeit ein Paradigmenwechsel statt. Urologische Tumore sind heute wesentlich besser behandelbar als noch vor wenigen Jahren. In Abhängigkeit von der Tumorart ist heute Langzeitüberleben auch in fortgeschrittenen Stadien möglich, die früher in kürzester Zeit zum Tod geführt haben. T-Zellen können Oberflächenmerkmale von Tumorzellen unabhängig vom Tumortyp erkennen (Finn OJ, N Engl J Med 2008;358(25):2704-2715).

Das Umfeld des Tumors kann auf unterschiedliche Art den T-Lymphozyten des Immunsystems blockieren. Die „Trickkiste“ reicht von einer ineffektiven Tumor-Antigen-Präsentation oder der Rekrutierung immunsuppressiver Zellen über die Sekretion immunsuppressiver Signale bis hin zu T-ZellCheckpoints (Vesely MD et al., Ann Rev Immunol 2011;29:235-271).

 

Palette neuer Substanzen zur Therapie von Tumoren des Urogenitaltraktes

Neue Immuntherapien können die tumorinduzierte Blockade des Immunsystems aufheben. Beträchtliche Erfolge Mittlerweile steht eine Palette neuer Substanzen zur Verfügung, welche die Therapie von Tumoren des Urogenitaltraktes revolutionieren. Denn selbst fortgeschrittene Stadien, die bisher mit einer sehr kurzen Lebenserwartung verbunden waren, können nun behandelt werden. Aktuellstes Beispiel ist das Blasenkarzinom, der neunthäufigste Tumor des Menschen (http://www.wcrf.org/int/cancer-facts-figures/data-specificcancers/bladder-cancer-statistics).

Bisher bestand die Erstlinientherapie bei Metastasierung aus platinhältigen Chemotherapien, viele Patienten sind jedoch nicht einmal zu Behandlungsbeginn fit genug dafür. Nach Versagen der Erstlinien-Chemotherapie standen bisher kaum wirksame Optionen zur Verfügung. Daher war das metastasierte Urothelkarzinom bisher mit einer schlechten Prognose verbunden. Fortgeschrittene urotheliale Karzinome Nach mehr als 30 Jahren ohne wesentliche Behandlungsfortschritte brachte die Entwicklung von Atezolizumab einen dramatischen Durchbruch. Der monoklonale Antikörper gegen das Protein PD-L1 (programmed deathligand 1) bindet direkt an das auf Tumorzellen und tumorinfiltrierenden Immunzellen exprimierte PD-L1 und blockiert dessen Wechselwirkungen mit den PD-1 und B7.1-Rezeptoren. Dadurch kommt es wahrscheinlich zur Aktivierung von T-Zellen. Wirkung und Sicherheit von Atezolizumab werden in der laufenden offenen, multizentrischen Phase-II-Studie IMvigor 210 bei zwei Kohorten von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem urothelialem Karzinom untersucht (Clinicaltrials.gov. NCT02108652. Accessed June 27, 2016).

Die Studienpatienten wurden in zwei Kohorten (Gruppen) aufgenommen. In Kohorte 1 waren Patienten, deren inoperables, lokal fortgeschrittenes oder metastasierendes Urothelkarzinom (mUC) zuvor noch nicht behandelt wurde und bei denen eine Erstlinien-Chemotherapie auf Cisplatin-Basis nicht in Frage kam. In Kohorte 2 waren Patienten, deren Erkrankung während oder nach einer Vorbehandlung mit einem platinbasierten Chemotherapie-Schema weiter fortschritt (Zweitlinientherapie oder spätere Therapielinie). Primärer Endpunkt der Studie war die objektive Ansprechrate (ORR). Sekundäre Endpunkte waren Ansprechdauer (DoR), Gesamtüberleben (OS), progressionsfreies Überleben (PFS) und Sicherheit. Die Expression von PD-L1 wurde mit einem speziell entwickelten immunhistochemischen Test gemessen. Die Ergebnisse sind in Kasten 1 zusammengefasst. In Europa ist Atezolizumab derzeit noch nicht zugelassen. Erste Schritte hat jedoch bereits die US-amerikanische FDA (Food and Drug Administration) gesetzt und eine beschleunigte Zulassung von Atezolizumab für die Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem Urothelkarzinom erteilt,

  • deren Erkrankung während oder nach einer platinbasierten Chemotherapie
  • oder innerhalb von zwölf Monaten nach einer platinbasierten Chemotherapie vor oder nach einer Operation (neoadjuvant oder adjuvant) fortschreitet (Basis: Resultate für Kohorte 2, Bekanntgabe: Mai 2016).

Atezolizumab wird im Rahmen von einer laufenden Phase-III-Studie zur Behandlung von lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem Urothelialkarzinom nach Platinversagen im Vergleich zu Chemotherapie untersucht. Ergebnisse für IMvigor211 werden für November 2017 erwartet (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02302807?term=imvigor+211&rank=1). Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom In der Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms wurde 2006 der erste Durchbruch mit zielgerichteten Therapien, welche die Durchblutung des Tumors verhindern, erzielt. Dadurch konnten die Überlebenszahlen erheblich verbessert werden. Nach einer gewissen Zeit wirken allerdings auch diese Therapien nicht mehr. 2016 konnten neue, effiziente Zweitlinientherapien etabliert werden. In den aktuellen ESMO Clinical Practice Guidelines (Escudier B et al., Ann Oncol 2016;27(suppl 5):v58-v68) werden zwei unterschiedliche Strategien empfohlen:

1. neuerliche zielgerichtete Therapie mit weiterentwickelten Substanzen, die auf andere Merkmale abzielen als die Erstlinien-Therapie,

2. die Unterstützung und Einbeziehung des körpereigenen Immunsystems. Hier hat der immunstimulierende und indirekt antitumoral wirkende PD-1-Blocker Nivolumab vielversprechende Ergebnisse erzielt. Im Vergleich zu Everolimus konnte das OS signifikant verlängert werden (25,0 vs. 19,6 Monate; p=0,002) (Motzer RJ et al., N Engl J Med 2015;373:1803-1813). Eine Fortführung von Nivolumab nach Fortschreiten auf Immuntherapie konnte in vielen Fällen eine Reduktion der Target-Läsion bewirken und führte zu einer deutlichen Verlängerung des OS (Escudier B et al., ASCO 2016, Poster 4509).

 

Vielversprechende Zukunftsperspektiven

Durch Kombination der besten Strategien wird die Zukunft in der Therapien von Tumoren des Urogenitaltraktes noch wesentlich vielversprechender. Dabei kann die Immuntherapie sowohl mit etablierten zielgerichteten Therapien als auch mit Strahlentherapie positive, teilweise auch synergistische Effekte erzielen. Unabdingbar sind ein interdisziplinäres Vorgehen sowie die Behandlung der Patienten in Zentren. Dadurch wird sich die Prognose von Patienten mit urologischen Tumoren in den nächsten Jahren weiter dramatisch verbessern.

KASTEN 1: Atezolizumab bei fortgeschrittenem oder metastasierendem Urothelialkarzinom Chemotherapie-unbehandelte Patienten (Ergebnisse in Kohorte 1, medianes Follow-up 17,2 Monate): (Balar AV et al, www.thelancet.com, Published online December 7, 2016 http://dx.doi.org/10.1016/S0140- 6736(16)32455-2)

  • Die ORR betrug 23 Prozent (n=27) (95%-CI: 16-31).
  • Neun Prozent (n=11) der insgesamt 119 Patienten erreichten eine komplette Remission (CR).
  • Die mediane DOR wurde noch nicht erreicht; 70 Prozent (n=19) der auf die Therapie ansprechenden Patienten (n=27) sprachen zum Zeitpunkt der Analyse weiter auf die Behandlung an.
  • Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) lag bei 2,7 Monaten (95%-CI: 2,1-4,2).
  • Das mediane OS betrug 15,9 Monate (95%-CI: 10,4; nicht abschätzbar).

 

Mit platinbasierter Chemotherapie vorbehandelte Patienten (Ergebnisse in Kohorte 2, medianes Follow-up 21,0 Monate): (Loriot Y et al, ESMO 2016, Poster #783P)

  • Die ORR betrug 16 Prozent (95%-CI: 12-20)
  • Sechs Prozent der insgesamt 310 Patienten erreichten eine CR (95%-CI: 4-9).
  • Die mediane DOR wurde noch nicht erreicht; 65 Prozent (n= 32 der auf die Therapie ansprechenden Patienten (n=49) sprachen zum Zeitpunkt der Analyse weiter auf die Behandlung an.
  • Das mediane OS betrug 7,9 Monate (95%-CI: 6,7-9,3), das 12-Monats-OS lag bei 37 Prozent (95%-CI: 31-42).
  • Atezolimumab zeigte eine gute Verträglichkeit.

 

Quelle: Statement zur Immuntherapie bei Tumoren des Urogenitaltraktes von Univ.-Prof. Dr. Manuela Schmidinger, Univ.-Klinik für Innere Medizin I und Klinische Abteilung für Onkologie, Programmdirektorin Metastasiertes Nierenzellkarzinom, MedUni Wien/AKH Wien

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