Antidepressiva bringen bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven psychischen Störungen kaum Vorteile, besser wirken sie bei Angst und Zwangsstörungen.
Antidepressiva zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen sorgen weiterhin für Kontroversen. Und diese wissenschaftliche Kontroverse geschieht in der heutigen Zeit, in der immer mehr junge Menschen an emotionalen und psychischen Störungen leiden. Auswirkungen der Corona-Pandemie mit seinen gerade für die jungen Menschen schweren Einschränkungen sind dabei noch gar nicht eingerechnet.
Unter dem Strich erhält die überwiegende Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Störungen keine Behandlung. Und das, obwohl schwere Stimmungsstörungen nach wie vor eine der Hauptursachen für Selbstmord bei Jugendlichen sind. Häufige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind jedenfalls depressive Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen.
Allgemein gilt, Kinder und Jugendlichen mit psychischen Störungen recht stark auf ein Placebo reagieren, vor allem bei depressiven Störungen.
Antidepressiva effektiver bei Angst- und Zwangsstörungen
Antidepressiva scheinen bei Angststörungen und Zwangsstörungen vorteilhafter zu sein, wie unlängst eine große Untersuchung (Metaanalyse) zahlreicher Studien zeigte. Der Unterschied der Wirksamkeit bei Depression verglichen mit Angst- und Zwangsstörungen scheint auf eine stärkere Placebo-Reaktion bei depressiven Störungen zurückzuführen zu sein. Umgekehrt ist die Reaktion auf Antidepressiva und (insbesondere) Placebo bei Angst und Zwangsstörungen geringer. Schließlich kommt es bei Kindern und Jugendlichen, die Antidepressiva einnehmen, auch häufig zu unerwünschten Wirkungen.
Einer früher im Fachmagazin Lancet veröffentlichte Metaanalyse zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von unterschiedlichen Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen zeigte ebenfalls kaum Vorteile. Die Probanden hatten die Diagnose endogene depressive Störung.
Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen bringen bei endogenen depressiven Störungen keinen klaren Vorteil
Der Einsatz von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen bei der Diagnose endogene depressive Störung – eine der häufigsten psychischen Störungen bei den jungen Betroffenen – und welche Wirkstoffe zur Anwendung geeignet sind, wird von Experten seit langem kontrovers diskutiert.
Deswegen wurden in der zitierten Metaanalyse Placebo und Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen mit endogener depressiven Störung verglichen und bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit gereiht. Unter Berücksichtigung des Risiko-Nutzen-Profils von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen in der Akutbehandlung der endogenen depressiven Störung scheinen alle getesteten Wirkstoffe keinen klaren Vorteil zu bringen. Sollte eine pharmakologische Behandlung unbedingt angezeigt sein, scheint aufgrund der Ergebnisse Fluoxetin vermutlich die beste Wahl zu sein.
Netzwerk-Metaanalyse im Detail
In der im Lancet publizierten Netzwerk-Metaanalyse wurden die direkte und indirekte Evidenz von entsprechenden Studien identifiziert.
Die einbezogenen Quellen waren unter anderem PubMed, die Cochrane-Bibliothek, Web of Science, Embase, CINAHL, PsycINFO, LiLACS, Websites von Zulassungsbehörden und internationale Register – alle zur Anwendung von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen zur Akutbehandlung einer endogenen depressiven Störung.
In den einbezogenen Studien wurden die Wirkstoffe Amitriptylin, Citalopram, Clomipramin, Desipramin, Duloxetin, Escitalopram, Fluoxetin, Imipramin, Mirtazapin, Nefazodon, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin geprüft. Ausgeschlossen haben die Forscher jedenfalls Untersuchungen:
- mit Probanden, die an einer behandlungsresistenten Depression litten;
- zudem mit einer Behandlungsdauer von weniger als 4 Wochen oder
- mit einer Gesamtstichprobengröße von weniger als zehn Patienten.
Die Bias-Risiko-Beurteilung erfolgte mit dem Bias-Risiko-Instrument nach Cochrane, die primären Endpunkte waren die Wirksamkeit – im Sinne der Veränderung von Depressivsymptomen – und die Verträglichkeit – im Sinne von Abbrüchen wegen unerwünschten Ereignissen.
In 34 als geeignet eingestuften Studien waren schlussendlich 5.260 Probanden eingeschlossen – sowie 14 Behandlungen mit Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen. Als sehr schlecht wurde allgemein die Qualität der Evidenz bewertet.
Nur der Wirkstoff Fluoxetin war bei der Wirksamkeit statistisch signifikant wirksamer als Placebo. Auch hinsichtlich der Verträglichkeit brachte Fluoxetin die besten Ergebnisse.
Antipsychiatrische Medikationsfehler bei Kindern, die in eine pädiatrische Notaufnahme eingeliefert wurden
Die Besuche in der pädiatrischen Notaufnahme (PED) haben deutlich zugenommen. Das Ziel einer rezenten Studie war es, Medikationsfehler bei Kindern, die länger als 6 Stunden in einer Notaufnahme mit psychischen Störungen beziehungsweise psychischen Erkrankungen, zu beschreiben.
Es ergab sich eine hohe Inzidenz von Medikationsfehlern, insbesondere von Unterlassungen. Und zwar bei antipsychiatrischen Verschreibungen bei Kindern, die in der PED untergebracht sind. Medikationsfehler wurden am häufigsten bei Antidepressiva und Antipsychotika festgestellt. Eine Verfeinerung des aktuellen Medikationsabgleichs und die Integration von psychiatrischen Medikamentendatenbanken zwischen PED und Apotheken sind dringend erforderlich, um diese Fehler zu reduzieren.
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