Dienstag, April 23, 2024

Weniger Krankschreibungen durch Psychosomatische Sprechstunde

Krankschreibungen infolge psychischer Erkrankungen sind heutzutage sehr häufig, Psychosomatische Sprechstunden wirken dem entgegen.

Die Krankschreibungen infolge psychischer Erkrankungen haben sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland mehr als verdoppelt (1, 2), während die Arbeitsunfähigkeit aufgrund anderer Erkrankungen etwa gleich geblieben ist. Psychische Erkrankungen sind jetzt der zweithäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit nach den Muskel-Skelett-Erkrankungen, außerdem mit großem Abstand der häufigste Grund für Erwerbsminderungsrenten (über 40 Prozent der Frühberentungen, 3). Trotz des oft großen persönlichen Leids und der hohen direkten und indirekten Kosten psychischer Erkrankungen erhalten Betroffene nur zu einem kleinen Teil die adäquate Behandlung, um längerer Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder Frühberentung entgegenzuwirken (4, 5).

Um diesem Problem ansatzweise zu begegnen, wurden als neues Versorgungskonzept sogenannte „Psychosomatische Sprechstunden im Betrieb“ (PSiB) entwickelt. Die PSiB zielen darauf ab, Mitarbeitern in Betrieben möglichst einfach und frühzeitig psychosomatische Diagnostik, Behandlungsempfehlungen und Kurzzeitinterventionen anzubieten, um so die psychische Gesundheit der Mitarbeiter präventiv zu erhalten beziehungsweise schnell wiederherzustellen. Die Sprechstunden werden von Ärzten und Psychologen der Universitätsklinik Ulm entweder im Betrieb oder in Räumen der Klinik durchgeführt. Je nach Betrieb erfolgt eine Zuweisung zur Sprechstunde über den Betriebsarzt, Sozialdienst oder die Mitarbeiter selbst. So kann die Sprechstunde als niederschwelliges Hilfsangebot für psychosomatische Beschwerden sowohl bereits bei aktuellen Konflikten, ersten unspezifischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Grübeln oder körperlichen Beschwerden als auch bei schon bestehenden psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen von den Mitarbeitern des Betriebes in Anspruch genommen werden. Für einen Teil der Betroffenen kann eine Kurzzeitintervention (bis zu zehn Therapiestunden) in der PSiB ausreichend sein. Sollten weiterführende Behandlungen notwendig sein, werden die Teilnehmer unterstützt, um zügig in eine weiterführende psychotherapeutische oder sonstige fachärztliche Behandlung zu kommen und die oft bestehende Wartezeit zu überbrücken.

Erste Studien zeigten, dass bei circa 40 Prozent der geschilderten Symptome betriebliche Zusammenhänge eine größere Rolle spielen, oft in Interaktion mit den persönlichen Umständen der Patienten (6).

Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm führt psychosomatische Betriebssprechstunden in Kooperation mit jetzt elf Betrieben der Umgebung seit 2011 durch. Die bisherige Begleitforschung hat ergeben, dass dieses Angebot gut angenommen wird, eine adäquate Weiterbehandlung erleichtern und beschleunigen kann sowie Symptome reduziert [6, 7, 8].

In der aktuellen Studie wurde erstmals untersucht, wie sich Arbeitsunfähigkeitszeiten vor und nach Teilnahme in einer PSiB entwickeln. Dazu wurden Arbeitsunfähigkeitszeiten von 155 Teilnehmern einer Psychosomatischen Sprechstunde in einem mittelständischen Unternehmen untersucht. Die untersuchten Daten wurden anonymisiert aus den Daten der Betriebskrankenkasse extrahiert. Die Zeiträume ein Jahr vor dem ersten Beratungstermin und zwei Jahre danach wurden verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer der PSiB im zweiten Jahr nach Beginn der Sprechstunde statistisch signifikant weniger Arbeitsunfähigkeitstage als im Jahr vor der Sprechstunde aufwiesen. Die Mittelwerte sanken von 65 Arbeitsunfähigkeitstagen im Jahr vor der Sprechstunde auf 50 Arbeitsunfähigkeitstage im zweiten Jahr nach Start der Maßnahme. Die Teilnehmer an der Sprechstunde waren sehr unterschiedlich, einige waren vorher gar nicht krankgeschrieben (aktueller Konflikt, Prävention), andere schon sehr langfristig, auch wegen bestehender psychischer Erkrankungen. Für circa ein Drittel der Teilnehmer waren die Beratung und Kurzzeittherapie in der PSiB ausreichend, die weiteren wurden in weiterführende ambulante und stationäre Therapien vermittelt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass Psychosomatische Sprechstunden im Betrieb zu einer besseren Versorgung psychosomatischer Beschwerden beitragen und Arbeitsunfähigkeitszeiten reduzieren können. Sie werden bestätigt durch weitere neuere Studien, die zeigen, dass ambulante Psychotherapie die Arbeitsunfähigkeiten senkt (9).

Literatur:

1 DAK Psychoreport 2015.

2 DAK Gesundheitsreport 2017.

3 Statistik der Deutschen Rentenversicherung: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen, 2017.

4 Mack S, Jacobi F, Gerschler A et al. Self-reported utilization of mental health services in the adult German population – evidence for unmet needs? Results of the DEGS1-Mental Health Module (DEGS1-MH). International Journal of Methods in Psychiatric Research 2014; 23(3):289-303.

5 Jacobi F, Harfst T. Zum Behandlungsbedarf an klinisch-psychologischen Interventionen. Report Psychologie 2011; 36:111-114.

6 Rothermund E, Gündel H, Kilian, R et al. Behandlung psychosomatischer Beschwerden im Arbeitskontext: Konzept und erste Daten. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2014; 60(2):177-189.

7 Rothermund E, Kilian R, Mayer D, Hölzer M, Rieger M, Gündel H. Effectiveness of collaborative care in the workplace for depression: Results of a controlled observational trial. Journal of Psychosomatic Research 2015; 78(6):621-622.

8 Hölzer M. Psychische Gesundheit im Betrieb. Die Psychosomatische Kurzzeittherapie. Psychotherapie im Dialog 2012; 13(3):52-55.

9 Epping J et al. Gesünder nach der Psychotherapie? Psychother Psychosom Med Psychol, online-Publikation 2017, doi: 10.1055/s-0043-120346.


Quelle:

Statement » Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb: nach Teilnahme weniger Fehltage « von Prof. Dr. phil. Jörn von Wietersheim, Leitender Psychologe, Leitung Hochschulambulanz, Leitung der Sprechstunde im Betrieb, Universitätsklinikum Ulm – beim Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, März 2018, Berlin

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