Donnerstag, März 28, 2024

Antibiotika-Verordnung in Deutschland rückgängig

Rückblick 2014: Eine Untersuchung der Wissenschaftler vom Versorgungsatlas konnten zeigen, dass die Antibiotika-Verordnung in Deutschland rückgängig ist, wobei vor allem Kinderärzte Antibiotika zurückhaltender verschreiben.

 

Die Zahlen zur Antibiotika-Verordnung sinken jedoch regional unterschiedlich, es gibt auch altersabhängige Unterschiede – das ergaben Untersuchungen im Herbst des Vorjahres. Sorgen bereitet Experten aber auch ein Jahr später noch der relativ hohe Einsatz von sogenannten „Reserveantibiotika“, die schweren Infektionen vorbehalten sein sollten.

In Deutschland wird auf gesetzlicher Grundlage die Antibiotika-Verordnung in Kliniken überwacht. Im ambulanten Versorgungsbereich existiert ein derart systematisches gesetzlich geregeltes Monitoring indes nicht. Insbesondere fehlen statistische Auswertungen, die eine Beurteilung des Trends über mehrere Jahre hinweg erlauben.

Eine Studie der Wissenschaftler vom Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) schließt nun erstmals diese Lücke. Die Forscher analysierten den Antibiotikaverbrauch auf der Basis der verordneten Packungen und definierten Tagesdosen sowie auf dem Anteil der Patienten mit mindestens einer Antibiotika-Verordnung.

 

Rückläufiger Trend bei der Antibiotika-Verordnung im ambulanten Bereich

„Unsere Analysen belegen statistisch signifikante rückläufige Trends bei der Antibiotika-Verordnung, die allerdings bei verschiedenen Altersgruppen und in verschiedenen Regionen unterschiedlich ausfallen“, erklärte Ramona Hering, eine der Autorinnen der Studie.

 

Sehr positive Entwicklung bei der Antibiotika-Verordnung bei Kindern

Besonders deutlich war und ist dieser Trend bei Kindern: Die Ärzte verordnen Antibiotika in geringeren Dosierungen und seltener. Darüber hinaus sank im Beobachtungszeitraum auch der Anteil jener Kinder, die überhaupt antibiotisch behandelt werden auf deutlich unter 40 Prozent, nachdem er in 2009 darüber gelegen hatte. „Angesichts der Resistenzproblematik ist diese Entwicklung äußerst positiv“, betont Dr. Mandy Schulz, die Mitautoren.

Bei erwachsenen Patienten ist das Verordnungsverhalten der Ärzte hingegen unverändert. In der großen Altersgruppe der 15-69-Jährigen bestehe, so die Wissenschaftler, noch Spielraum nach unten, wenn leitliniengerechter behandelt würde.

Der ebenfalls statistisch signifikante rückläufige Einsatz von Antibiotika bei älteren Menschen jenseits des 70. Lebensjahres könnte auch damit zu tun haben, dass diese Patienten bei Infektionen verstärkt in Kliniken eingewiesen und dort antibiotisch behandelt werden.

 

Regionale Unterschiede: West-Ost-Gefälle bei der Antibiotika-Verordnung

Generell gibt es in Deutschland auch regionale Unterschiede. Es existiert ein West-Ost-Gefälle, Spitzenreiter bei den Verordnungen sind Rheinland-Pfalz und das Saarland, in den neuen Bundesländern verordnen die Ärzte hingegen weniger Antibiotika. Aber auch in Schleswig-Holstein und Bayern sind die Verordnungszahlen vergleichsweise niedrig.

 

Problemfall Reserveantibiotika

Die Wissenschaftler vom Versorgungsatlas haben auch untersucht, welche Antibiotika verordnet wurden. Sorgen bereitet ihnen dabei der absolute und relative Zuwachs bei der Verordnung sogenannter Cephalosporine. Dies ist auch bei der Behandlung von Kindern unter 14 Jahren der Fall. „Insbesondere ab der zweiten Generation gilt diese Wirkstoffklasse aufgrund ihres breiteren Wirkungsspektrums als Reservegruppe, die schweren Infektionen vorbehalten sein sollte“, erklärt Dr. Bätzing-Feigenbaum, der Leiter des Versorgungsatlas. Zwar scheint der Anstieg bei der Verordnung der Cephalosporine inzwischen zum Stillstand gekommen zu sein, doch Handlungsbedarf sehen die Wissenschaftler gleichwohl. Diese Antibiotika gelten als eine der Ursachen für die Entwicklung von Multiresistenzen, denen unbedingt entgegengewirkt werden müsse, so die Autoren. Eine europäische Untersuchung aus dem Jahr 2010 zeigt, dass in Norwegen, Schweden, Dänemark und Holland Cephalosporine in der ambulanten Therapie kaum eingesetzt werden. „Wenn dies dort klappt, sollte das auch bei uns funktionieren“, mahnt Bätzing-Feigenbaum.

Ebenfalls warnen die Forscher vor dem Einsatz von Fluorchinolonen bei älteren Patienten. Diese werden in der Gruppe der über 70-Jährigen am häufigsten verordnet, gelten aber als Hauptverursacher von schweren Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile, die mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden sind. Auch hier sehen die Experten noch Handlungsbedarf für die ärztliche Fortbildung.

 

Maßnahmen zur Antibiotika-Verordnung im niedergelassenen Bereich beginnen immer mehr zu greifen

Der gleichwohl insgesamt positive Trend deutet darauf hin, dass verschiedene Aktivitäten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Wirkung zeigen. Die KBV arbeitet bei der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) der Bundesregierung mit und unterstützt die Ärzte bei der sachgerechten Antibiotika-Verordnung beispielsweise mit Informationsmaterialien, Fortbildungen, einer MRSA-Vergütungsvereinbarung und dem Qualitätsmanagement-System QEP®.

Veröffentlicht ist die Untersuchung mit allen Tabellen und Texten unter dem Titel „Entwicklung der ambulanten Antibiotikaverordnungen im Zeitraum 2008 bis 2012 im regionalen Vergleich“ auf www.versorgungsatlas.de.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Versorgungsatlas haben bei ihrer Studie die pseudonymisierten Arzneiverordnungsdaten des Jahres 2008 bis 2012 aus Arztpraxen ausgewertet. Drei Indikatoren wurden bevölkerungsbezogen in Bezug zur Gesamtzahl der gesetzlich Versicherten berechnet: Die Anzahl der verordneten Packungen (Rezeptierungen), die Anzahl der definierten Tagesdosen (DDD) sowie die Anzahl der Patienten mit mindestens einer Antibiotikaverordnung.

www.versorgungsatlas.de ist eine Einrichtung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Er wurde institutionalisiert als öffentlich zugängliche Informationsquelle mit Studien zur medizinischen Versorgung in Deutschland. Schwerpunkt der Studien sind regionale Unterschiede in der Versorgung sowie deren unterschiedliche Strukturen und Abläufe. Die Analysen sollen Anhaltspunkte liefern, wie die Versorgung verbessert werden kann. In Diskussionsforen kann jeder Beitrag öffentlich diskutiert werden.

Die Analysen der Wissenschaftler des Versorgungsatlasses basieren auf den bundesweiten Abrechnungsdaten der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland. Die Internet-Plattform steht aber auch anderen Forschergruppen zur Verfügung, die ihre Untersuchungen nach einem Peer-Review auf www.versorgungsatlas.de veröffentlichen können.

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