Donnerstag, April 25, 2024

Hohe Dunkelziffer in Bezug auf illegale Sterbehilfe

Eine aktuelle Umfrage der Universität Witten/Herdecke lässt hohe Dunkelziffer in Bezug auf illegale Sterbehilfe vermuten.

Obwohl die Tötung auf Verlangen und Tötung ohne ausdrücklichen Wunsch in Deutschland strafbar ist, haben Ärzte, aber auch Kranken- und Altenpfleger Erfahrungen mit „aktiver Sterbehilfe“. Das legt eine bundesweite Umfrage der Universität Witten/Herdecke nahe, deren Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift „DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2017) veröffentlicht wurden. Sie lässt vermuten, dass auch Tötungen ohne explizite Willensäußerung der Patienten erfolgten.

Immer wieder kommt es vor, dass Patienten Ärzte und Pflegepersonal um Unterstützung beim Sterben bitten. Die Frage „Ist schon einmal an Sie der Wunsch herangetragen worden, aktive Sterbehilfe zu leisten?“ bejahten 1.575 von 4.629. Das entspricht 34 Prozent der Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, die von Professor Karl H. Beine und Mitarbeitern von der Universität Witten/Herdecke deutschlandweit angeschrieben wurden. 77 Personen (1,7 Prozent) machten in dem anonymen Fragebogen ein Häkchen bei der Frage „Haben Sie selbst schon einmal aktiv das Leiden von Patienten beendet?“ Darunter waren neben zwölf Ärzten (3,4 Prozent) auch 44 Kranken- (1,4 Prozent) und 21 Altenpfleger (1,8 Prozent) beiderlei Geschlechts. Allerdings kann der eine oder andere darunter auch legale indirekte Sterbehilfe oder auch gewollte Behandlungsabbrüche verstanden haben.

Dass lebensbeendende Handlungen in Deutschland kein Einzelfall ist, zeigten auch die Antworten auf die Frage „Haben Sie in den vergangenen zwölf Monaten schon einmal von einem oder mehreren Fällen gehört, bei denen an Ihrem Arbeitsplatz das Leiden von Patienten aktiv beendet wurde?“ Insgesamt beantworteten 172 Befragten (3,7 Prozent) die Frage mit ja. Darunter waren es mit vier Prozent häufiger Krankenpfleger als Ärzte (2,3 Prozent) oder Altenpfleger (1,8 Prozent). Allerdings könnten hier auch Patientenverfügungen oder palliative Maßnahmen, die zum Tod des Patienten führen, im Einzelfall eine Rolle gespielt haben. Die weitere Analyse ergab, dass Ärzte häufiger als Pflegende aktive Sterbehilfe leisten, und dass die Fälle auf Intensivstationen doppelt so häufig waren wie auf anderen Stationen. Auch waren Männer doppelt so häufig dafür verantwortlich wie Frauen.

Professor Beine und Kollegen sprechen von einem Dunkelfeld rechtswidriger „intentional lebensbeendender Handlungen“. Darunter waren vermutlich auch Tötungen ohne Zustimmung der Betroffenen. Denn mehr als ein Drittel der Personen, die angaben, „selbst schon einmal das Leiden von Patienten aktiv beendet“ zu haben, hatten in einer anderen Frage geantwortet, dass sie nie um aktive Sterbehilfe gebeten worden waren. Diese Personen haben damit gegen Gesetze verstoßen, die in Deutschland aktive Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen und andere Tötungsdelikte unter Strafe stellen. Lediglich die Bereitstellung eines Mittels zur Selbsttötung auf ausdrücklichen Wunsch bleibt unter bestimmten Umständen straffrei.

Die Ergebnisse überraschen die Wissenschaftler nicht. Auch in Ländern mit ähnlicher Gesetzeslage – wie etwa Dänemark, Schweden und England – sei in Studien der Anteil von Tötung ohne ausdrückliche Willensäußerung der Patienten durchgängig höher als Tötung auf Verlangen. Einschränkend merken die Autoren jedoch an, dass die Studienteilnehmer nicht explizit gefragt wurden, ob sie schon einmal ohne Zustimmung der Patienten Leben beendet haben.

Bisherige Untersuchungen zur Sterbehilfe in Deutschland hatten sich auf Ärzte beschränkt. Die Studie zeigt erstmals, dass auch das Pflegepersonal aktive Sterbehilfe leistet. Laut Professor Beine ergänzt die Untersuchung öffentlich bekannt gewordene Einzelfälle, in denen Pfleger und Schwestern wegen der Tötung von Patienten vor Gericht gestellt und verurteilt wurden.

K. H. Beine, T. Schubert:
Das Dunkelfeld intentional lebensbeendender Handlungen durch Ärzte und Pflegekräfte DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2017; online erschienen am 31.5.2017
DOI: 10.1055/s-0043-109889

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