Donnerstag, März 28, 2024

Leistungsschau der österreichischen Neurologie

ÖGN-Jahrestagung in Villach: Leistungsschau der österreichischen Neurologie – Flächendeckende endovaskuläre Versorgung schwerer Schlaganfälle in ganz Österreich weitgehend sichergestellt.

Als Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) freut es mich, Sie zur Vorab-Pressekonferenz der 14. Jahrestagung unserer Gesellschaft begrüßen zu dürfen. Was wir vom 22. bis 24. März 2017 in Villach präsentieren werden, ist nicht nur ein abwechslungsreiches, wissenschaftlich fundiertes Programm für niedergelassene und im Krankenhaus tätige Kolleginnen und Kollegen, sondern auch eine Leistungsschau der modernen Neurologie, die das breite Spektrum unseres faszinierenden Fachs  in beeindruckender Weise widerspiegelt.

Exemplarisch dafür wollen wir Ihnen heute drei Schwerpunkte näher bringen, die zum Teil eher selten im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehen. Es handelt sich dabei um Bereiche, in denen die österreichische Neurologie auch im internationalen Vergleich Vorbildhaftes zu bieten hat.
Der Präsident des Kongresses, Prim. Univ.-Prof. Dr. Jörg Weber, wird Sie gleich im Anschluss in die faszinierenden Themen der Neuroimmunologie und der Neuroinfektiologie einführen. Zudem wird er darlegen, warum aus Sicht der Neurologie in der Ärzteausbildung ein Ersatz des bisherigen Additivfaches für Neurointensivmedizin durch eine neue Spezialisierung für Neurointensivmedizin besonders wichtig ist. International ist es unbestritten, dass es diese eigenständige Expertise im intensivmedizinischen Behandlungsspektrum braucht.
Im Anschluss wird der Vorstand der Neurologischen Abteilung am LKH Villach, Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, aufzeigen, dass Palliativmedizin auch in der Neurologie seit langem einen bedeutenden Stellenwert hat. Zu Unrecht wird Palliativmedizin oft nur mit Krebserkrankungen in Verbindung gebracht. Die – wörtlich übersetzt – „ummantelnde Behandlung“ unheilbarer Krankheiten ist gerade in der Neurologie ein wichtiges Thema, etwa bei neurodegenerativen Erkrankungen oder auch bei jenen Schlaganfall-Patienten, die wir trotz aller medizinischen Fortschritte nicht retten können.

Erfolgsgeschichte Schlaganfall-Behandlung

Ich habe die dankbare Aufgabe, Ihnen von den jüngsten Fortschritten in der Behandlung von Schlaganfällen berichten zu können. Auf der Jahrestagung werden wir dazu eine eigene Plenarsitzung abhalten und in zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen die wesentlichen Updates zum Thema präsentieren. Dabei werden wir neue Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Formen und Ursachen von Schlaganfällen – vom sogenannten „Wake Up Stroke“ über Hirnblutungen und Venethrombosen im Gehirn – ebenso diskutieren wie Fortschritte in der Sekundärprävention.
Kurz zusammengefasst stellt im Bereich des Schlaganfalls die rasante Entwicklung der letzten eineinhalb Jahrzehnte nicht nur eine der signifikantesten Erfolgsgeschichten der jüngeren Medizingeschichte dar. Sie zeigt auch, wie es in Österreich gelingen konnte, trotz knapper werdender Budgets die Behandlungsqualität einer so häufigen und gefürchteten Erkrankung erheblich zu verbessern.
In Österreich sind jedes Jahr etwa 24.000 Menschen von einem Schlaganfall betroffen. Die Tendenz ist leider steigend, vor allem weil wir immer älter werden und das Schlaganfall-Risiko mit zunehmendem Alter steigt. Die bereits vor rund 15 Jahren geschaffene Möglichkeit, schlaganfallauslösende Blutgerinnsel medikamentös aufzulösen (intravenöse Thrombolyse) war nicht nur ein Meilenstein in der Therapie, sondern hat auch die neurologische Akutversorgung deutlich verändert. In manchen Spitälern war die Einrichtung von Schlaganfall-Überwachungsstationen, den Stroke Units, die Initialzündung für die Gründung von eigenen neurologischen Abteilungen. Heute steht Österreich  mit seinem Netz von 38 spezialisierten Schlaganfall-Überwachungs-Einheiten vorbildlich da (siehe Grafik).

Neues Therapieverfahren für besonders schwere Schlaganfälle

Wie inzwischen viele internationale Studien, Meta-Analysen und die Daten unseres nationalen Registers gezeigt haben, konnte die Versorgungsqualität durch diese Spezialeinrichtungen enorm verbessert werden. Ein Problem blieb aber eine kleine Gruppe von rund zehn Prozent der Patienten, die einen Verschluss in den großen Gehirngefäßen hatten und denen mit der intravenösen Thrombolyse nur selten geholfen werden konnte. Das betrifft in Österreich immerhin gut 2.000 Menschen jährlich. Für diese Fälle gibt es jetzt die zusätzliche Möglichkeit der mechanischen Gerinnsel-Entfernung (endovaskuläre Thrombektomie). Dabei wird der Thrombus mit einem Katheter, der in der Leiste eingeführt und bis zum Gehirn geschoben wird, aus dem Gehirngefäß herausgezogen.
Mittlerweile wurde dieses innovative Verfahren weltweit in sechs randomisierten Studien und einer Metaanalyse untersucht. Wie die umfangreiche Datenlage zeigt, ist die endovaskuläre Thrombektomie nicht nur ein sicheres, sondern auch sehr effektives Verfahren. International wird der Nutzen einer Behandlungsmethode mit der sogenannten „number needed to treat“ (NNT) dargestellt.  Damit wird angegeben, wie viele Behandlungen nötig sind, um bei einem Patienten das gewünschte Therapieziel zu erreichen. Beim Schlaganfall ist dies ein Überleben ohne relevante Behinderung. Mit einem Wert von NNT = 2,6 eröffnet die endovaskuläre Thrombektomie dem geeigneten Schlaganfallpatienten wirklich günstige Chancen. Diese überzeugenden Ergebnisse haben dazu geführt, dass dieses Behandlungsverfahren für geeignete Schlaganfallpatienten nun als Standardmethode definiert ist.

Personal- und ausbildungsintensive Herausforderung

Für das österreichische Gesundheitssystem bedeutet das eine neue Herausforderung. Diese Spitzenleistung der Schlaganfall-Behandlung ist interdisziplinär, personalintensiv und stellt hohe Anforderungen an die Ausbildung. Eingangs ist eine exakte Diagnosestellung an einer Stroke Unit nötig, um festzustellen, ob der Patient für diesen endovaskulären Eingriff geeignet ist. Danach erfolgt ein Sekundärtransport in das Interventionszentrum, wo ständig ein hoch-spezialisiertes Team verfügbar sein muss. Neben dem Interventionisten (meist Radiologen)  braucht es einen Anästhesisten, Assistenz und einen Neurologen als Case Manager.

Flächendeckende Versorgung in ganz Österreich weitgehend sichergestellt

Wegen Infrastruktur und Behandlungsqualität ist dieses Behandlungsangebot überall auf einige wenige spezialisierte Zentren konzentriert, in Österreich sind es derzeit 10. Das setzt nicht zuletzt auch ein gut funktionierendes Transportwesen voraus, wo Patienten rasch und ohne Verzögerung nötigenfalls auch mit dem Hubschrauber zur endovaskulären Intervention und danach wieder zurück an die erstversorgende Stroke Unit gebracht werden können.
Es ist erfreulich – und in Zeiten wie diesen keineswegs selbstverständlich – dass Österreich diesen Herausforderungen gewachsen ist. Im Moment sehen wir, dass die neue Methode zunehmend häufiger zum Einsatz kommt. Waren es im Jahr 2011 noch weniger als 200 Interventionen in Österreich, so wurden im vergangenen Jahr bereits mehr als 1.000 Eingriffe dieser Art durchgeführt.
Diese Entwicklungen kann man nicht hoch genug einschätzen. Sie wird viele Menschenleben retten und vielen Patienten ein Leben mit schwersten Behinderungen ersparen. Daher scheint es keinesfalls übertrieben, von einem weiteren Meilenstein in der Geschichte der österreichischen Neurologie zu sprechen.

Quelle:

ÖGN-Jahrestagung in Villach: Leistungsschau der österreichischen Neurologie – Flächendeckende endovaskuläre Versorgung schwerer Schlaganfälle in ganz Österreich weitgehend sichergestellt

Statement Prim.a Univ.-Doz.in Dr.in Elisabeth Fertl, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN); Vorständin der Neurologischen Abteilung am Krankenhaus Rudolfstiftung, Wien, Gastprofessorin der Medizinischen Universität Wien

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