Freitag, April 19, 2024

Zahnspange online? Lieber zum Zahnarzt gehen!

Lose Zahnspange, feste Zahnspange oder Aligner: Es gibt durchaus verschiedene Methoden, Zahnfehlstellungen zu korrigieren. Während die losen und festen Zahnspangen den meisten Menschen bekannt sind, scheinen Aligner ein neues Phänomen zu sein.

Die Funktionsweise ist einfach: Bei leichten Fehlstellungen wird ein Scan der Zahnreihen genommen. Nach diesem Scan fertigt ein Labor durchsichtige Kunststoffschienen an. Diese durchsichtigen Kunststoffschienen werden ein bis zwei Wochen über den Zähnen getragen, und zwar für etwa 20 bis 22 Stunden täglich.

Nach jeweils ein bis zwei Wochen werden neue Schienen angefertigt. Das geht so lange, bis das gewünschte Ergebnis erzielt ist. Wie wirksam diese Methode ist, darüber kann man streiten. Denn wissenschaftliche Belege gibt es für die Methode bislang kaum.

 

Unsichtbare Zahnschienen werden mit kurzer Behandlungszeit beworben

Üblicherweise untersucht der Zahnarzt oder die Zahnärztin die Zähne und scannt sie. Die Daten bilden die Grundlage zur Berechnung der gewünschten Korrektur. In der Regel gibt es jetzt schon eine Vorher-Nachher-Simulation, die Patienten und Patientinnen können also sehen, wie das Ergebnis sein wird.

Der Patient oder die Patientin bekommt mehrere der durchsichtigen Kunststoffschienen, und zwar jeweils in einem Abstand von zwei Wochen. Die Schienen werden tagsüber und nachts mit Ausnahme der Mahlzeiten getragen. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Zahnspangen: Die Behandlungszeit ist extrem kurz und liegt oft bei unter einem Jahr.

Zahnspange © JLO-Foto / shutterstock.com
Zahnspange © JLO-Foto / shutterstock.com

Nicht für jede Art von Korrektur geeignet

Mit den durchsichtigen Kunststoffschienen werden nur leichte Fehlstellungen behandelt. Das können vorstehende Schneidezähne sein oder kleine Lücken, aber auch leichte Endstände. Für Jugendliche und Kinder gibt es die schienen zwar, aber die Zielgruppe sind eigentlich Erwachsene. Die Schienen für Kinder tragen einen kleinen farbigen Punkt. Der wird mit der Zeit immer heller und ist schließlich ganz transparent. Das zeigt an, dass es Zeit für die nächste Schiene ist.

Aligner waren lange Jahre durch ein Patent geschützt. Das ist inzwischen ausgelaufen. Früher sollten die Kunststoffschienen etwa 6.000 Euro kosten, oft sogar mehr. Sie wurden von Kieferorthopäden und -orthopädinnen angeboten. Heute liegen die Kosten für die Therapie meist bei weniger als 2.000 Euro. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Firmen neu gegründet, die Aligner anbieten.

 

Vor- und Nachteile der Aligner

Bevor es um Vor- und Nachteile gegenüber herkömmlichen (festen) Zahnspangen geht, muss bedacht werden: Ist die Korrektur nötig? Gerade bei kleinen, leichten Korrekturen handelt es sich in der Regel um ästhetische Probleme, nicht um gesundheitlich notwendige Korrekturen. Werden die Fehlstellungen (die in diesem Fall eher als nicht perfekte Stellungen bezeichnet werden sollten) nicht korrigiert – drohen dann gesundheitliche Schäden? Ist das nicht der Fall, braucht es weder Kunststoffschienen noch eine andere Art der Korrektur. Die moderne Zahnheilkunde ist immer noch der Heilung und Prävention verschrieben, es geht hier nicht um ästhetische Eingriffe.

Ein ganz wichtiger Nachteil der Aligner liegt in der Studienlage. Wir wissen einfach nicht, wie wirksam die Schienen sind. Es ist nicht klar, ob sie mit einer festen Zahnspange mithalten können. Der wissenschaftliche Beleg steht also aus.

Als Vorteil kann man die kürzere Behandlungszeit werten. Eine Tragezeit von weniger als einem Jahr erreichen feste Zahnspangen nicht. Da die Kunststoffschienen beim Essen und für die Zahnpflege aus dem Mund genommen werden können, ist die Zahnpflege außerdem leichter. Das haben die Schienen mit der losen Zahnspange gemeinsam. Denn was die Zahnpflege bei einer festen Zahnspange so schwierig macht, sind die Essensreste, die sich an Brackets, Gummis und Drähten sammeln können.

Stabil sind die Zahnstellungen nach der Behandlung mit dem Aligner aber nicht. Sie müssen mit Retainern stabilisiert werden.

Wer auf moderne Zahlheilkunde setzen möchte, sollte bezüglich Zahnspange lieber den Weg zu Kieferorthopäden antreten. © UfaBizPhoto / shutterstock.com
Wer auf moderne Zahlheilkunde setzen möchte, sollte bezüglich Zahnspange lieber den Weg zu Kieferorthopäden antreten. © UfaBizPhoto / shutterstock.com

Angebote bergen Risiken

Die Kunststoffschienen werden natürlich nicht nur von Kieferorthopäden und -orthopädinnen angeboten, sondern sind im Netz frei verfügbar. Bei Do-it-yourself-Angeboten sollen Patienten und Patientinnen alles selbst machen.

Das spart Kosten. Und es sind gerade diese niedrigen Kosten, die die transparenten Kunststoffschienen so attraktiv machen. Aber kann man als Laie wirklich einen Abdruck nehmen, nach dem ein Labor passende Schienen anfertigt? Ist man in der Lage, die Zahnschienen ohne fachlichen Rat und Untersuchungen im richtigen Turnus durch neue Modelle zu ersetzen? Das Problem sind nicht die Kunststoffschienen, mit denen der Kieferorthopäde oder die Kieferorthopädin die Zahnfehlstellungen korrigiert. Für kleinere Eingriffe scheinen die Schienen durchaus geeignet zu sein. Problematisch sind vielmehr die Start-up-Unternehmen, die Alignerbehandlungen über das Internet anbieten und keinen Termin in der kieferorthopädischen Praxis voraussetzen. Deswegen: wer auf moderne Zahlheilkunde setzen möchte, sollte lieber den Weg zu Kieferorthopäden antreten.

Die Bundeszahnärztekammer hat sich dazu schon 2018 klar geäußert. Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten können von Laien weder selbst festgestellt, noch selbst behandelt werden. Die Ausübung der Zahnheilkunde ist aus gutem Grund allein Zahnärzten und Zahnärztinnen angetragen.

Und auch die Richtlinien für die kieferorthopädische Behandlung schreiben vor, dass eine solche Behandlung nur nach einer ausführlichen Patientenuntersuchung unter Erhebung und Auswertung von Befundunterlagen durchgeführt werden darf. Der Zahnarzt oder die Zahnärztin müssen selbststündlich und eigenverantwortlich den Behandlungsplan erarbeiten. Kann es also erlaubt sein, sich so ein Selbstmach-Set im Internet zu bestellen und einfach allein die Zahnstellung zu korrigieren? Was passiert, wenn etwas schiefläuft? Tragen die Zähne vielleicht Schäden davon, wenn die Schienen nach dilettantisch genommenen Abdrücken gefertigt werden? Wer ist dann haftbar zu machen? Die rechtliche Lage ist derzeit völlig unklar.

 

Bundestag äußert sich im April 2020

Der Fachbereich Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages hat sich am 1. April 2020 in einer schriftlichen Arbeit zur Zulässigkeit gewerblicher Anbieter von sogenannten Aligner-Zahnschienen geäußert. Geschildert wird das Problem: Start-up-Unternehmen bieten Alignerbehandlungen ohne Konsultation einer kieferorthopädischen Einrichtung an. Der Patient oder die Patientin neben zu Hause selbst einen Zahnabdruck oder fotografieren einfach die Zähne. Aus diesen sehr rudimentären Informationen wird ein 3D-Abdruck simuliert, dann wird dem Patienten oder der Patientin die Schiene zugesandt. Einige Internet-Anbieter vertrauen allerdings auch auf eine Kooperation mit kieferorthopädischen Einrichtungen. Die Probleme sind also bei den Anbietern bekannt.

Das Arbeitspapier befasst sich mit den zentralen Rechtsgrundlagen in der Frage, ob sich die gewerblichen Anbieter von Alignern irgendwie mit dem Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde (kurz ZHG) vereinbaren lassen. Man kommt zu dem Schluss, dass es sich vermutlich um einen Verstoß gegen das ZHG handelt, der möglicherweise nach dem Gesetz strafbar ist. Außerdem wurden Verstöße gegen das Heilpraktikergesetz (Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung, kurz HeilPrG) und gegen das MPG (Gesetz über Medizinprodukte) ausfindig gemacht. Sogar die Berufsordnungen der Länder sehen das gewerbliche Anbieten von Alignern kritisch.

Das Problem ist schnell erklärt: Das Verfahren einer Korrektur von Zahnfehlstellungen über Aligner ist als Erwachsenenbehandlung in der Zahn- und Kieferkorrektur anerkannt. Volljährige privat Krankenversicherte können bei medizinischer Notwendigkeit sogar Beihilfen ihrer Krankenkasse für die Behandlung durch einen Kieferorthopäden erhalten. Damit ist klar, dass es um eine medizinische Behandlung geht – und die darf ausschließlich von entsprechend ausgebildeten Fachleuten durchgeführt werden. Vereinfacht ausgedrückt: Mit der Nutzung der Aligner aus dem Internet für die Selbstbehandlung macht man sich strafbar. Das Problem ist nicht die Behandlung mit den Kunststoffschienen, sondern dass diese eigenmächtig und ohne Risikoeinschätzung oder Verlaufskontrolle passiert.

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