Anhand eines rezenten Fallberichts haben Virologie-Experten der MeduniWien unlängst über Windpocken als mögliche Ursache von Schlaganfällen im Kindesalter berichtet.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen 6-jährigen Patienten, der morgens über eine Schwäche im Bereich des linken Armes sowie über Parästhesien an der linken Körperseite klagte. Im Verlauf des Tages kam es zusätzlich zu einer Schwäche der linken unteren Extremität sowie einem herabhängenden linken Mundwinkel. Laut Kindeseltern war der Patient an diesem Tag ruhiger als sonst, sprach weniger und zeigte Wesensveränderungen.
Anamnese und Bildgebung
Bei stationärer Aufnahme (am selben Tag) wurden eine pseudoschlaffe Hemiparese der linken Körperhälfte sowie eine Fazialisparese der linken Gesichtshälfte diagnostiziert. In der noch am Aufnahmetag durchgeführten Magnetresonanztomographie zeigte sich ein Insult im Versorgungsgebiet der Arteria cerebri media und A. anterior dexter. Jedenfalls hat man umgehend eine gerinnungshemmende Therapie eingeleitet.
Anamnestisch beziehungsweise klinisch gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Hinweis auf einen Infekt. Es erfolgte eine ausführliche internistische Abklärung sowie weitere bildgebende Untersuchungen, wobei keinerlei Auffälligkeiten gefunden wurden. Daraufhin wurde eine Lumbalpunktion durchgeführt und es zeigte sich ein Lympho-Monozytäres Zellbild mit jedoch sehr geringer Zellzahl (24 Drittelzellen).
Virologische Untersuchung
Die virologische Untersuchung des Liquors auf die für eine Meningitis/Enzephalitis häufig im Kindesalter in Betracht kommenden Erreger (Herpes-Simplex-Virus Typ 1 und Typ 2, Varizella-Zoster-Virus, Cytomegalievirus, Epstein-Barr Virus, Enterovirus, Adenovirus, Parvovirus, sowie auf Grund der Saisonalität Influenzavirus), ergab, dass VZV DNA in geringer Konzentration im Liquor vorhanden war.
Im Blut des Patienten konnte keine VZV DNA detektiert werden, es wurden jedoch erhöhte Konzentrationen von VZV IgG Antikörpern bei negativen VZV IgM Antikörper nachgewiesen, eine Antikörperkonstellation die mit einer bereits durchgemachten Varizella-Zoster-Virus Infektion vereinbar ist. Eine VZV Impfung hatte der Patient nicht erhalten. Auf Grund dieser Befundkonstellation wurde eine genauere Anamnese erhoben, bei der sich eine erst 6 Monate zurückliegende Primärinfektion mit VZV herausstellte.
Behandlung
Infolge dessen erhielt der Patient umgehend eine intravenöse, gewichtsadaptierte Therapie mit Acyclovir für 14 Tage. Von neurologischer Seite besserte sich der klinische Zustand des Patienten deutlich. Bei Entlassung zeigte sich der Kraftgrad der linken OE und UE unauffällig. Der junge Patient konnte schließlich in stabilem Allgemeinzustand in die häusliche Pflege entlassen werden.
Schlaganfall im Kindesalter durch Windpocken nicht selten
Schlaganfälle im Kindesalter sind selten (Inzidenz in Europa und USA 2,5 bis 10/100 000). Und sie treten zumeist nach Infektionen auf (40%). Neben Infekten können Herzvitien, Koagulopathien oder auch arterielle Dissektionen juvenile Schlaganfälle verursachen. Eine zeitliche Assoziation zwischen einer Primärinfektion mit Varizella-Zoster Virus (besser bekannt als Windpocken, Feuchtblattern oder Varizellen) und dem Auftreten von Schlaganfall im Kindesalter wurde erstmalig Anfang der 80er Jahren beschrieben (Eda I et al., Brain Dev., 1983).
Seitdem konnten zahlreiche epidemiologische Studien sowie auch Metaanalysen zeigen, dass ein ischämischer Schlaganfall eine seltene, jedoch schwerwiegende Komplikation im Kindesalter nach Windpocken darstellt (Elkind MS et al., Circulation 2016; Amlie-Lefond et al., J Stroke Cerebrovasc Dis, 2016). In der Folge zeigten bei Untersuchungen bei Erwachsenen, dass auch die Reaktivierung von VZV – also ein Herpes Zoster – mit Schlaganfällen einhergehen kann (Grose C. et al, Circulation, 2016).
Vaskulopathie durch Herpes Zoster
Es ist bereits seit längerem bekannt, dass Herpes Zoster eine Vaskulopathie verursachen kann, die besonders häufig bei den intrakraniellen Arterien auftritt (z.B.: A. ophtalmica). Dabei kommt es zu einer lokalen Entzündungsreaktion der Arterien, die das Virus verursacht. Wobei es über afferente Nervenfasern zu den Arterien transportiert wird.
Nachdem das Virus über die Adventitia zur Gefäßwand vorgestoßen ist, befällt es alle Schichten der Arterie. Und es verursacht damit die charakteristische Pathologie der granulomatösen Arteriitis (Nagel et al., Curr Neurol Neurosci Rep. 2016).
Auf Grund dieser Erkenntnisse bei Erwachsenen wird angenommen, dass die Ursache der VZV assoziierten Schlaganfälle bei Kindern ebenfalls eine Vaskulopathie der intrakraniellen Gefäße ist. In diesem Sinn wurde der klinische Terminus „Post-Varizellen-Arteriopathie der Kindheit“ eingeführt. Dieser umfasst das Auftreten sowohl einer transitorischen ischämischen Attacke als auch eines Schlaganfalls innerhalb von 12 Monaten nach Windpocken (Lanthier S al., Neurology, 2005).
Windpocken-Impfung gegen Schlaganfall
Von den meisten der bisher mit Windpocken dokumentierten assoziierten Beispielen von Schlaganfall, waren gesunde und immunkompetente Kinder betroffen, die keine Impfung gegen VZV erhalten hatten. Auf Grund der langen Latenzphase zwischen der VZV Primärinfektion bis zum Auftreten der klinischen Symptomatik (bis zu einem Jahr), ist die Diagnosefindung oft erschwert. Und es bedarf neben dem klinischen Wissen auch die Erhebung einer genauen Anamnese.
Falls jedoch eine VZV Primärinfektion innerhalb der letzten 12 Monate vermutet bzw. bestätigt wird, sollte man bei Auftreten eines Schlaganfalls im Kindesalter eine Lumbalpunktion und ein Nachweis von VZV aus Liquor mittels PCR erwägen. Bei Nachweis von VZV im Liquor wird eine Therapie mit Acyclovir empfohlen (Amlie-Lefond et al., J Stroke Cerebrovasc Dis, 2016).
Im vorliegenden Fall führte die zielorientierte Diagnostik zum Verabreichen der spezifischen antiviralen Therapie und damit zu einer merklichen klinischen Verbesserung. Dies unterstreicht die Bedeutung einer raschen Erregerdiagnostik auch in Hinsicht von Windpocken bei Schlaganfall im Kindesalter.
Quelle:
VIRUSEPIDEMIOLOGISCHE INFORMATION” NR. 06/17 von Dr. Florian J. Mayer & Prof. Dr. Theresia Popow-Kraupp.