Mittwoch, April 24, 2024

Welt-Alzheimer-Tag am 21. September

Zum Welt-Alzheimer-Tag am 21. September 2017 fordern österreichische Experten mehr Aufmerksamkeit für die „stumme“ Krankheitsphase.

Durch die fortschreitende Entschlüsselung der Entstehung von Demenz zeigt sich immer deutlicher, dass sich die Alzheimer-Erkrankung lange vor dem Auftreten klinischer Symptome entwickelt. Österreichische Experten betonen zum Welt-Alzheimer-Tag, dass dieser frühen, „stummen“ Phase besondere Aufmerksamkeit gelten muss. Dies wird immer wichtiger, da auch bis 2025 mit neuen, effektiven Therapien gerechnet wird, die in das Krankheitsgeschehen eingreifen und das Auftreten klinischer Symptome verhindern oder zumindest verzögern sollen. Erheblichen Nachholbedarf sehen Experten in Österreich bei der Unterstützung betreuender Angehöriger und bei einer angemessenen Einstufung für den Pflegegeld-Bezug. Seit dem Jahr 1994 findet der Welt-Alzheimer-Tag am 21. September statt, rund um den Globus wird die Situation der Alzheimer-Kranken und deren Angehörigen ins Rampenlicht gestellt.

 

Stumme Phase der Alzheimer-Erkrankung zum Welt-Alzheimer-Tag in Österreich im Fokus

Früherkennung und ein früher Behandlungsbeginn in der oft viele Jahre andauernden „stummen“ Phase der Alzheimer-Erkrankung – in der pathologische Veränderungen nachweisbar sind, aber noch keine klinischen Symptome auftreten – wird der Schlüssel für effektive Therapien gegen die Alzheimer-Erkrankung sein. Alzheimer ist mit bis zu 70 Prozent der Fälle die häufigste Form Demenz-Erkrankungen. Das ist eine der zentralen Botschaften von Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco (Wien), Präsident der Österreichischen Alzheimergesellschaft (ÖAG), und Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt (Graz), Past Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, zum aktuellen Welt-Alzheimer-Tag.

Die wissenschaftliche Entschlüsselung des Entstehens der Alzheimer-Erkrankung führt zu einer Neuorientierung bei der Krankheitsdefinition führt. Erst kürzlich hat ein internationales Forscherkonsortium in einer Publikation dafür plädiert (www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5549378/), sich bei Morbus Alzheimer vom Konzept klar definierten Krankheitsstadien zu verabschieden, und zukünftig die Erkrankung als vielfältigen und facettenreichen Prozess im Sinne eines biologischen und klinischen Kontinuums zu verstehen.

„Dieses Konzept des Kontinuums ist auch für die Entwicklung effektiver Krankheits-modifizierender Therapien entscheidend“, so Prof. Dal-Bianco. „Der Krankheits-Prozess kann über 20 Jahre oder mehr andauern und verläuft von einer symptomfreien Phase über eine lange präklinische Phase, in der die pathologischen Veränderungen über Biomarker nachweisbar sind, ohne dass es zu klinischen Symptomen kommt, bis hin zur klinischen Phase mit typischen Symptome von kognitiven und funktionellen Beeinträchtigungen.“ Aus gutem Grund lenkt die Alzheimer-Forschung ihr Interesse insbesondere auf die „stumme“ Phase des Krankheitsgeschehens und die Frage, wie in genau diese am besten eingegriffen werden kann, um eine weitere Entwicklung des Krankheitsgeschehens zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Prof. Schmidt: „Von Interesse ist hier auch, warum es nicht bei allen Menschen, die für Alzheimer typische pathologische Veränderungen im Gehirn aufweisen, auch tatsächlich zu klinischen Symptomen kommt.“

Wichtige Beiträge liefern hier unter anderem Fortschritte bei den Biomarkern, betont Prof. Schmidt: „So werden etwa mit MRT oder PET-Untersuchungen Amyloid-Ablagerungen in Gehirn sichtbar gemacht, das Eiweiß ist ein typischer Biomarker für Alzheimer. Auch Untersuchungen der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit können Aufschluss über das Vorliegen pathologischer Veränderungen mit hohem Alzheimerrisiko geben.“ Führende Alzheimer-Spezialisten gehen davon aus, dass bis 2025 tatsächlich neue Therapien verfügbar sein werden, wobei österreichische Gruppen führend an der Erforschung von Immuntherapien zur Reduktion pathologischer Veränderungen des Tau-Proteins beteiligt sind.

 

Fortschritte bei der Entschlüsselung relevanter Genmutationen

Zunehmend werden auch Gen-Mutationen entschlüsselt, die das Risiko beeinflussen, eine Alzheimer-Erkrankung zu entwickeln. Erst kürzlich wurde eine groß angelegte internationale Studie mehrerer Forschungskonsortien unter Beteiligung der Universitätsklinik für Neurologie in Graz publiziert (www.nature.com/ng/journal/v49/n9/full/ng.3916.html), in der drei neue Genmutationen beschrieben werden konnten, die das Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung beeinflussen. „Diese seltenen Varianten, die auf eine kausale Rolle von Mikrogliazellen und somit Immunzellen im Gehirn für die Alzheimer-Erkrankung hinweisen, könnten auch gute Ansatzpunkte für neue Therapien liefern“, so Prof. Schmidt. „Darüber hinaus konnten wir auch andere Gene und Proteine identifizieren, die als Netzwerk eine wichtige Rolle im Krankheitsgeschehen spielen dürften.“

Wichtige Impulse für die Erforschung genetischer Abweichungen, die für Alzheimer eine Rolle spielen und damit für mögliche Ziele für innovative Therapien, haben die Bewohner einiger abgeschiedener Andendörfer im Nordwesten Kolumbiens geliefert: Unter ihnen – rund 25 Großfamilien sind betroffen – ist eine Genmutation verbreitet, die dazu führt, dass zahlreiche Bewohner bereits ab Mitte 30 an einer besonders rasch fortschreitenden und dramatisch verlaufenden Form von Alzheimer erkranken.

 

Zu wenig Pflegegeld für viele Betroffene

Die derzeitige Handhabung der Pflegegeld-Einstufung ist in Österreich häufig problematisch. Oft wird die tatsächliche Beeinträchtigung untertrieben und heruntergespielt, auch weil die Betroffenen oft ihren mentalen Zustand verbergen wollen und Pflegestufe-Gutachter nicht die notwendige Spezialisierung haben, um die Situation richtig einschätzen können.  „Hier wären eine Sensibilisierung und entsprechende Schulungen erforderlich, damit die aktuell sehr restriktive Einstufungs-Praxis den tatsächlichen Betreuungs-Erfordernissen angepasst wird, die eine Alzheimer-Erkrankung mit sich bringt“, so Prof. Dal-Bianco.

Das niedrige Pflegegeld geht auch auf Kosten der betreuenden Angehörigen, die so weniger Spielraum haben, Hilfe und Entlastung zu organisieren. 80 Prozent der Alzheimer-Betroffenen werden in Österreich zu Hause betreut – schon angesichts der hohen Kosten institutioneller Pflege eine erhebliche Entlastung der öffentlichen Sozialbudgets.

Was dabei oft übersehen wird: „Betreuende Angehörige haben eine höhere Morbidität und Mortalität als Menschen ohne Betreuungsaufgaben“, weiß Prof Dal-Bianco. „Daher ist ein deutlicher Ausbau von Betreuungs- und Beratungsangeboten dringend erforderlich, als materielles Zeichen einer höheren gesellschaftlichen Wertschätzung dieses unschätzbar wichtigen Beitrags.“ Nach dem Tod der kranken Angehörigen fallen Betreuende häufig in ein regelrechtes schwarzes Loch, so Prof. Dal-Bianco. „Wichtig wäre es, wenn sie gerade in dieser Phase ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Selbsthilfegruppen weitergeben.“

Related Articles

Aktuell

Kombination von Azelastin und dem Nasenspray Fluticason bei allergischer Rhinitis

Die Kombination von Azelastin und dem Corticoid-Nasenspray Fluticason kann die Symptome einer allergischen Rhinitis deutlich verringern. Allergische Rhinitis, oft gekennzeichnet durch Symptome wie Niesen, Nasenjucken,...
- Advertisement -

Latest Articles

Zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom kultivieren

Wichtig zur Klärung der Metastasierung: Forscher gelang es, zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom zu kultivieren. Die Forschung zum kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC), einer besonders aggressiven Form...

Ernährung bei Frauen in der Perimenopause

Der Einfluss des Zustands der Ernährung von Frauen in der Perimenopause ist ein wichtiger Faktor für deren Gesundheit und Lebensqualität. Der Zustand der Ernährung spielt...

Terpene und Cannabinoide in Cannabis sativa, dem Hanf

Cannabis sativa, der Hanf-Pflanze, und seine medizinische Bedeutung – ein Überblick über Terpene und Cannabinoide. Cannabis sativa, allgemein bekannt als Hanf, zählt zu den ältesten...