Erhebliche methodische Mängel – Mammographie-Qualität, unsaubere Studiendurchführung sowie fehlende ärztliche Qualitätssicherung – bei der Kanada-Studie entdeckt.
Als einzige von 8 randomisierten kontrollierten Screeningstudien zeigte die 1980-1985 durchgeführte Kanada-Studie keine Reduktion der Brustkrebssterblichkeit. Dieses Ergebnis wurde nach 25 Jahren Nachbeobachtung erneut veröffentlicht. Die Aussagekraft der Kanada-Studie ist jedoch stark in Zweifel zu ziehen, denn sie hat erhebliche methodische Mängel wie schlechte Mammographie-Qualität, unsaubere Studiendurchführung sowie fehlende ärztliche Qualitätssicherung.
Mammographie-Ergebnisse systematisch verzerrt
Experten sehen die bislang als am „aussagekräftigsten“ gehandelte Kanada-Studie als ein Beispiel, wie im vergangenen Jahrzehnt die Evidenz im Bereich des Brustkrebsscreenings mittels Mammographie systematisch verzerrt wurde. Die Analyse in der Fachzeitschrift European Radiology im Jahr 2014 hob die Notwendigkeit einer ausgewogenen wissenschaftlichen Diskussion zu Nutzen und Schaden des Mammographie-Screenings hervor.
Der „Kanada-Studie“ wurde aufgrund der Reviews vom Nordic Cochrane Institute ein besonders hoher Wert zugeschrieben. Nach einer systematischen Literaturrecherche kommen Heywang-Köbrunner und Katalinic zu dem Schluss, dass die „Kanada-Studie“ gravierende Defizite im Randomisierungsprozess und Testverfahren aufzeige. Bereits zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung dieser Studie im Jahr 1992 hätten Qualität, Randomisierung und Design der Studie eine große Debatte in der Wissenschaft ausgelöst.
Die Autoren machten ihre Kritik an mehreren Punkten fest. Zum einen führen Heywang-Köbrunner und Katalinic mangelhafte Bildqualität, fehlendes Training und fehlende Qualitätssicherung in der Mammographie-Erstellung sowie Befundung an. Die Mammographie-Qualität sei vom zuständigen Physiker als „weit unter damaligem Standard“ bewertet worden. Während der Studie hätten die beiden radiologischen Berater der Studie wegen unüberwindbarer Qualitätsdefizite ihr Amt niedergelegt. Die Interpretation von Bildern mit den in der Literatur zu dieser Studie genannten Qualitätsmängeln sei nach Aussage der Erstautorin in Deutschland nicht zulässig, auch wenn die später eingeführte Qualitätskontrolle gegen Ende der Studie Verbesserungen gezeigt habe.
Ein weiterer Kritikpunkt sind nach Auffassung der Autoren Fehler in der Auswahl der Studienteilnehmerinnen und im Randomisierungsverfahren, die eine Zufallsverteilung zwischen Studien- und Kontrollgruppe garantieren müssten. Schon die Zusammensetzung der untersuchten Gruppen stützte den Verdacht, dass kein Screeningkollektiv untersucht wurde, sondern großenteils Frauen mit Beschwerden. Demnach seien 68 Prozent der eingeschlossenen Karzinome bereits tastbar gewesen. Die Testung solcher Frauen ist jedoch für die Nutzenbewertung eines Krebsfrüherkennungsprogramms prinzipiell ungeeignet.
Auch konnte das im Studienhandbuch dokumentierte Vorgehen die für eine korrekte Randomisierung unverzichtbare Blindung nicht garantieren. In der ersten Runde der Randomisierung sind weiters 19 von 24 Karzinomen in fortgeschrittenem Stadium der Mammographie-Gruppe zugeordnet worden, jedoch nur 5 der Kontrollgruppe. Vor allem die für eine Zufallsverteilung sehr unwahrscheinliche, ungleiche Verteilung dieser weit fortgeschrittenen Stadien (Karzinome mit mehr als 4 befallenen Lymphknoten) in der Startrunde (Prävalenzrunde) der Frauen unter 50 Jahre war signifikant.
Späte Stadien von Karzinomen haben aber einen gravierenden Einfluss auf die Beurteilung der Mortalitätsreduktion und die Kalkulation von Überdiagnosen. Die Autoren betonen, dass die in der „Kanada-Studie“ vorgenommene Selektion der Studienteilnehmerinnen (ca. 10% der Bevölkerung, extrem hoher Anteil an Tastbefunden) einer Screeningstudie widerspreche. Denn laufende Screening-Programme sind bevölkerungsbezogen und richten sich an asymptomatische Frauen. Aufgrund der im Design festgestellten Probleme (Randomisierung nach der klinischen Untersuchung am Studienzentrum, fehlende Garantie der Blindung bei dezentraler Randomisierung) erfüllte die Studie nach Einschätzung der Autoren nicht die für eine evidenzbasierte Analyse zu fordernden Voraussetzungen.
Mammographie-Sreening: Nutzen überwiegt
Das Setting der „Kanada-Studie“ kann nicht mit den modernen qualitätsgesicherten Screening-Programmen verglichen werden. Denn in ihnen unterliegt im Gegensatz zur „Kanada-Studie“ die Ausbildung des Personals, die Bilderstellung, die Befundung und auch das Vorgehen bei der Abklärung auffälliger Befunde einer strengen Qualitätssicherung. Neue Ergebnisse aus diesen qualitätsgesicherten Screeningprogrammen berichten eine Mortalitätsreduktion um bis zu 40 Prozent. Ein unabhängige Expertengremium kam mittlerweile zu dem Schluss, dass der Nutzen des Mammographie-Screenings für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren klar den potenziellen Schaden überwiegt.
Quellen:
Kooperationsgemeinschaft Mammographie http://newsroom.mammo-programm.de/
Die Studie ist verfügbar unter: http://link.springer.com/article/10.1007/s00330-015-3849-2