Donnerstag, April 18, 2024

Wirkstoffgleicher Antikonvulsiva-Wechsel führt zu mehr Epilepsie-Anfällen

Das Risiko, bei Epilepsie Anfälle zu erleiden, steigt nach einem Antikonvulsiva-Wechsel auf eine wirkstoffgleiche Substanz um über 30%.

Fast 800.000 Menschen in Deutschland sind an Epilepsie erkrankt, die Behandlung mit Antikonvulsiva führt bei zwei Dritteln der Patienten zur Anfallsfreiheit. Eine Studie zeigte unlängst allerdings, dass das Risiko, epileptische Anfälle zu erleiden, nach Wechsel auf ein wirkstoffgleiches Antikonvulsivum eines anderen Herstellers um über 30% stieg. Das spricht dafür, eine wirksame Therapie nicht zu verändern. Jedoch ist das nicht immer mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar.

In einer rezenten Stellungnahme sensibilisierten Experten der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie dieses Problem. Dagegen helfen sollten praktische Vorschläge, um Patientenwohl und Wirtschaftlichkeitsgebot möglichst gerecht zu werden. Demnach kann ein unkritischer Herstellerwechsel von Antikonvulsiva für Patienten mit Epilepsie weitreichende, negative Folgen haben. Denn es kommt zu wieder oder vermehrt auftretenden epileptischen Anfällen.

 

Antikonvulsiva bei Epilepsie effektiv

Jedenfalls gehört die Epilepsie zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Etwa 5% der Bevölkerung erleiden im Laufe des Lebens einen epileptischen Anfall und fast 1% leidet an wiederkehrenden Anfällen. Diese Patienten werden mit sogenannten Antikonvulsiva behandelt. Das sind spezielle Wirkstoffe, die gegen Krampfanfälle wirken. Verschiedene Substanzen dieser Medikamentengruppe sind auf dem Markt. Wenn eine Substanz keinen Erfolg zeigt, wird eine andere versucht. Etwa zwei Drittel der Patienten kann erfolgreich behandelt werden und bleibt unter der Antikonvulsiva-Therapie langanhaltend anfallsfrei.

Wenn die Behandlung effektiv ist, so sollten die behandelnden Therapeuten immer von einem Antikonvulsiva-Wechsel absehen. Denn es macht keinen Sinn, einem Patienten einen neuen Wirkstoff zu verschreiben, wenn er unter der bisherigen Therapie gut eingestellt ist. Wenn er also beschwerdefrei ist und keine nicht-tolerierbaren Nebenwirkungen erleidet.

 

30% erhöhtes Anfallsrisiko nach Wechsel auf ein wirkstoffgleiches Präparat eines anderen Herstellers

Doch nicht nur der Wechsel von Substanz zu Substanz ist problematisch. Auch schon ein Antikonvulsiva-Wechsel von der einen Substanz eines Herstellers zu der gleichen Substanz eines anderen Herstellers hat negative Auswirkungen. Dies ist beispielsweise der Fall von einem Originalpräparat auf ein Generikum oder von einem Generikum auf ein anderes Generikum. Schließlich gilt das auch von einem Generikum zu einem Originalpräparat.

Dies zeigte unlängst eine landesweite Auswertung von über 30.000 Epilepsie-Patienten, die 163 Neurologen in Deutschland behandelten. Die Studie ergab, dass sich das Risiko von wiederauftretenden epileptischen Anfällen bei bis dato anfallsfreien Patienten nach Wechsel auf die gleiche Substanz eines anderen Herstellers um über 30% erhöhte. Davon schienen insbesondere ältere Patienten betroffen zu sein. Die Studienautoren schlussfolgerten, dass ein Hersteller-Wechsel im Praxisalltag demnach nicht unkritisch sei.

Praktisch stellt das Studienergebnis behandelnde Neurologen vor ein Dilemma. „Wie alle Ärzte unterliegen wir dem Wirtschaftlichkeitsgebot und versuchen, möglichst häufig die kosteneffizientesten Präparate einzusetzen. Doch jeder Herstellerwechsel bei einem Antikonvulsivum kann zu Anfallsrezidiven führen, was wir natürlich zum Wohl unserer Patienten vermeiden möchten“, erklärt Prof. Dr. med. Hajo M. Hamer, Universitätsklinikum Erlangen, 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie.

Warum ist das der Fall, wo Generika doch eigentlich wirkstoffgleich sein müssten? „Verschiedene generische Präparate enthalten zwar die gleichen Wirkstoffe, unterscheiden sich aber mitunter hinsichtlich der Hilfsstoffe. Auch wenn sich die Darreichungsform, das Aussehen, die Größe oder die Stärke der Tabletten ändern, kann das zu Einnahmefehlern und Verwechselungen führen, die den Therapieerfolg gefährden und zu einem höheren Anfallsrisiko führen können“, so Prof. Hamer.

 

Stellungnahme gibt Neurologen praktische Vorschläge an die Hand!

Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. hat daher vor wenigen Tagen eine Stellungnahme [2] publiziert, die sich dieser Thematik annimmt. Sie gibt u.a. Neurologen praktische Vorschläge an die Hand, wie Präparatsumstellungen im Praxisalltag einerseits möglichst vermieden, andererseits bestmöglich medizinisch begleitet werden können.


Literatur:

Lang JD, Kostev K, Onugoren MD et al. Switching the manufacturer of antiepileptic drugs is associated with higher risk of seizures. A nationwide study of prescription data in Germany. Ann Neurol. 2018 Dec; 84 (6): 918-925.

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie e.V. Herstellerwechsel bei Antikonvulsiva. Abrufbar unter http://www.dgfe.info/

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