Donnerstag, April 25, 2024

Seltene Erkrankungen – öfter darüber sprechen

Je besser Ärzteschaft und Öffentlichkeit über Seltene Erkrankungen informiert sind, umso seltener gibt es Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen.

Von individuellen Patientenerlebnissen bis zum nationalen Aktionsplan: beim Pharmig Academy Dialog am 3.4. im Novomatic Forum sprachen Betroffene, Ärzte und Behördenvertreter über die Herausforderungen im Zusammenhang mit seltenen Erkrankungen. Ziel der Veranstaltung war es, einmal mehr aufzuzeigen, wo die Probleme für Betroffene liegen und wie man auf nationaler Ebene darauf reagiert und reagieren könnte.

„Laufend und regelmäßig erhielt ich eine Diagnose, die keine war“ – so beschrieb eine Patientin den langen Weg bis zur richtigen Diagnose ihrer seltenen Erberkrankung. Ärzte seien oft ratlos, Patienten ebenfalls und durch ihren Schmerz- und Leidenszustand zudem überfordert. 20 Jahre habe ein Patient auf seine Diagnose warten müssen. Ein anderer habe sich auf Anraten eines Arztes sogar die Zähne reißen lassen, weil dieser darin die Ursache für die Beschwerden sah. „Es ist schwierig und langwierig, die Krankheit zu diagnostizieren, weil eine seltene Erkrankung, wie etwa Morbus Fabry, durch eine Vielzahl an Symptomen gekennzeichnet ist. Man wird oft abgestempelt, dass Symptome psychosomatischen Ursprungs wären. Ärzte signalisierten mir, ich solle ihnen nicht ihre wertvolle Zeit stehlen“, so eine Patientin. Dazu auch Dr. Rainer Riedl, Obmann von Pro Rare Austria: „Es kommt zudem zu Fehlbehandlungen und falschen Therapien, die letztlich ja der Öffentlichkeit Geld kosten.“

Die Vernetzung der unterschiedlichen Fachgebiete ist ein entscheidender Weg zu einer verbesserten Versorgung, wie die Patienten anhand ihrer geschilderten Erlebnisse aufzeigen konnten. In Österreich ist diese Vernetzung noch ausbaufähig. Oft fehlt es nach wie vor an Ansprechpersonen und Expertisezentren als erkennbare Anlaufstellen. Ein erweiterter Bluttest sei oft eine einfache Möglichkeit im Zuge einer Diagnose, so eine Patientin. Allerdings braucht es auch Ärzte, die informiert sind und diese oft speziellen oder zusätzlichen Schritte einleiten. Dazu muss bereits auch in der Ärzteausbildung angesetzt werden, damit Wissen und Vernetzung in der Folge gefördert werden. Wesentlich ist dabei auch die Sensibilisierung von Allgemeinmedizinern, um letztendlich das Überleben von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu verbessern. Neben den Kinderärzten sind sie zumeist die ersten Ansprechpartner für Betroffene. „Je mehr man über Seltenes spricht, umso weniger selten ist es letztlich“, so eine Patientin bezüglich einer besseren Aufklärung bei Ärzten.

Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Sperl, Präsident der ÖGKJ und Vorstand der Univ. Kinderklinik Salzburg, sprach im Zuge der Expertenrunde im zweiten Teil der Veranstaltung über die verbesserten – genetischen – Diagnosemöglichkeiten. Dafür braucht es jedoch eine ärztliche Zuweisung sowie eine Kostenübernahme seitens der Krankenkassen. Über das Bekanntmachen von seltenen Erkrankungen sagte Sperl, dass Studierende in ihrer Ausbildung mittlerweile viel umfassender informiert werden. Auch seitens der pharmazeutischen Industrie gäbe es großes Interesse und viel Unterstützung, denn je mehr Information vorhanden ist, umso besser können auch entsprechende medikamentöse Therapien entwickelt werden.

Für Allgemeinmedizinerin Dr. Renate Hoffmann-Dorninger, Präsidiumsmitglied der ÖGAM sowie Präsidentin der WIGAM, ist ein intensiver Gesprächsprozess mit den Patienten für eine richtige Diagnose wesentlich. „Das ist aus zeitlichen Gründen in einer Kassenpraxis nicht immer einfach“, so Hoffmann-Dorninger. Ihrer Meinung nach ist aber auch eine Quartärprävention essenziell, also der Schutz des Patienten vor einer Überdiagnostizierung aufgrund zu vieler unspezifischer Merkmale. Auf jeden Fall seien virtuelle Netzwerke wichtig, denn in den Kliniken gäbe es bereits viele Experten, die umfassendes Wissen hätten und in europaweitem Wissensaustausch stünden, so Hoffmann-Dorninger. Mangelnde Vernetzung verhindere aber einen Zugriff auf dieses Wissen und einen Austausch unter Experten.

Wo liegen die Verantwortlichkeiten in der nationalen Gesundheitspolitik? Hierzu nahm Dr. Magdalena Arrouas Stellung, Leiterin der Abteilung III, öffentliche Gesundheit und medizinische Angelegenheiten sowie Vorsitzende des Beirates für Seltene Erkrankungen im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF). Politik hat die Aufgabe, die strukturellen und anderen Rahmenbedingungen zu schaffen. „Hierzu gehört die Information der Bevölkerung und das Schaffen von mehr Bewusstsein. Die Etablierung des nationalen Aktionsplans für seltene Erkrankungen ist ein wichtiger Schritt dazu gewesen, wenngleich wir hier noch am Anfang stehen“, sagte Arrouas. Es läge aber nicht in der alleinigen Verantwortung der Behörde, sondern sei Aufgabe mehrerer Stakeholder im Gesundheitswesen. Es sei, so Arrouas weiter, letztlich auch eine Frage der Verfügbarkeit finanzieller Mittel.

Ass. Prof. Priv.-Doz. Dr. Till Voigtländer, Leiter der Nationalen Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen NKSE, sieht einen der zentralen Punkte in der Awareness, sprich im noch besseren Einbringen des Themas der seltenen Erkrankungen in die Gemeinschaft. „Kein Arzt kann über 6.000 und 8.000 seltene Erkrankungen Bescheid wissen. Wir müssen das weiter institutionalisieren, wie es mit dem nationalen Aktionsplan geschehen ist“, so Voigtländer. Er sieht konkret zwei Handlungsfelder: das in Österreich vorhandene diagnostische Potenzial besser sichtbar zu machen und qualitativ abzusichern. Das zweite Feld ist ein Qualitätskriterienkatalog für Labors. Hier wird derzeit ein Dokument erarbeitet. Bei Zentren ist die Entwicklung bereits weiter fortgeschritten: Auf struktureller Ebene werden derzeit Zentrumstypen definiert, um hier Expertisezentren besser als solche auch benennen und erkennen zu können. „Diese Zentren bringen aber nichts, wenn wir sie nicht in die Strukturen einbinden und alle informieren, damit letztlich auch der Allgemeinmediziner darüber Bescheid weiß“, resümiert Voigtländer.

Pro Rare Obmann Riedl wies auf die in Österreich existierenden föderalen Strukturen hin, die das Umsetzen von Maßnahmen für eine bessere Versorgung schwierig machen. Er verlangt einen schnelleren Ernennungsprozess von Expertisezentren: „Wenn das zu lange dauert, besteht die Gefahr, dass solche Zentren dann vielleicht an internationalen Studien usw. nicht teilnehmen können und so die Expertise wieder verloren geht.“ Auch Voigtländer nahm Bezug auf die föderalen Strukturen und sagte, dass es nicht alleinig die Verantwortung des Ministeriums sei, sondern auch der Sozialversicherungsträger und Bundesländer, um ein nationales Netzwerk zu fördern. Dr. Arrouas vom BMGF verwies an dieser Stelle auf die „Zielsteuerung Gesundheit“ und das partnerschaftliche Zusammenspiel der erwähnten Systempartner, um die Fragmentierung zu überwinden. „Dieser Prozess ist gerade am Laufen“, so Arrouas.

In der Schlussrunde waren sich die Podiumsteilnehmer einig: für eine verbesserte Diagnose und Versorgung, für mehr Anlaufstellen zur Koordination von Patienten mit seltenen Erkrankungen sind finanzielle Mittel und mehr personelle Ressourcen vonnöten, darüber hinaus eine entsprechende breite und intensive Kommunikation über diese Anlaufstellen. Eine europaweite Vernetzung findet bereits statt, auch an einer gemeinsamen europäischen Qualitätskontrolle der Zentren wird gearbeitet.

Quelle: www.pharmig.at

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