Freitag, April 19, 2024

Rheumatischer Formenkreis – Erkrankungen und Symptome, die nicht nur die Gelenke betreffen

Der Begriff Rheumatischer Formenkreis beschreibt nicht nur zahlreiche Erkrankungen des Bewegungs- und des Stützapparates, es können aber auch alle anderen Organe betroffen sein.

Rheumatischer Formenkreis, Störungen des Immunsystems: fehlgeleitete Abwehrzellen beginnen vermehrt Antikörper gegen körpereigene Gewebe oder Botenstoffe zu produzieren. In der Folge entstehen Entzündungsprozesse in Gelenken, aber auch in anderen Bereichen. Tatsächlich kann jedes Organ von Rheuma betroffen sein, und zwar bereits, bevor Beschwerden im Bewegungsapparat auftreten. Auch die Psyche leidet häufig mit.



 

Rheumatischer Formenkreis und Herz-Kreislauf-System

Chronische Entzündungsvorgänge, wie sie unter anderem durch autoimmunologische Störungen verursacht werden, sind für den gesamten Körper schädlich. In Blutgefäßwänden kommt es zu Atherosklerose und Durchblutungsstörungen. Die Folgen reichen von Minderdurchblutung bestimmter Areale bis zum kompletten Gefäßverschluss und Organschäden.

Insbesondere die Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System sind fatal. Laut Framingham Risk Score, der das individuelle kardiovaskuläre Risiko bewertet, ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung gleich gefährlich einzuschätzen wie Diabetes. Statistisch gesehen sterben Rheuma-Patienten rund sechs bis zehn Jahre früher, meist an Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Diverse Veränderungen wie z.B. die Pulswerte sind oft bereits lange vor dem Anstieg von Entzündungsparametern oder dem erstmaligen Auftreten von Gelenksentzündungen messbar.
Zusätzlich wird das kardiovaskuläre Risiko durch bei Rheuma häufig eingesetzte entzündungshemmende Schmerzmittel (nichtsteroidale Antirheumatika) und Kortison erhöht.

Rheuma-Patienten sollten daher ihr individuelles Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall durch ausreichende Bewegung sowie Normalisierung von Cholesterinspiegel, Blutzucker, Blutdruck etc. reduzieren.



 

Rheumatischer Formenkreis und Lunge

Bei jedem fünften Patient mit rheumatoider Arthritis sind die Lungenbläschen entzündet. In den meisten Fällen bleibt dies unbemerkt, nur selten sind Husten sowie zunehmende Atemnot die Folge. Bei jedem zweiten Betroffenen kann es zu einer meist nicht krankheitsrelevanten Lungenfibrose (= Versteifung der Lunge mit Gasaustauschstörung) kommen.

 

Rheumatischer Formenkreis und Nervensystem

Werden Nerven durch Gelenk- und Sehnenentzündungen mechanisch eingeengt bzw. abgedrückt, kann dies Fehlempfindungen, Unempfindlichkeit und Schmerzen auslösen – beispielsweise im Handgelenk das Karpaltunnel-Syndrom. Darüber hinaus können Autoimmunprozesse die Nerven angreifen und direkt eine Nervenentzündung verursachen. Entzündungen nervenversorgender Blutgefäße können zum Absterben von Nerven führen.

 

Beeinträchtigung der Tränen- und Speicheldrüsen

Rheumatische Erkrankungen können die Tränen- und Speicheldrüsen schädigen und so die Produktion von Tränenflüssigkeit beziehungsweise Speichel beeinträchtigen. Fehlt die Spülwirkung des Speichels, nehmen Karies, Parodontitis und Parodontose zu. Für Betroffene ist daher sorgfältige Zahnhygiene besonders wichtig.

Mangelt es in den Augen an der reinigenden Wirkung der Tränenflüssigkeit, entwickeln sich leichter Entzündungen und Hornhautläsionen, die unbehandelt auch das Auge zerstören können. Darüber hinaus können verschiedene Schichten des Auges wie beispielsweise die Lederhaut immunologisch angegriffen und geschädigt werden.



 

Rheumatischer Formenkreis und Magen-Darm-Trakt

Bei den klassischen, von Rheumatologen behandelten Krankheiten mit meist erhöhtem Rheumafaktor und vorwiegend peripheren – das heißt außerhalb der Wirbelsäule lokalisierten – Gelenkentzündungen ist eine Beeinträchtigung des Magen-Darm-Traktes fast ausschließlich durch die medikamentöse Therapie ausgelösten Nebenwirkungen zu erwarten.

Hingegen können bestimmte Wirbelsäulen-assoziierte Erkrankungen (meist ohne Erhöhung des Rheumafaktors) unmittelbar mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung einhergehen. Dabei attackieren Immunzellen bestimmte Kollagenstrukturen, die sowohl in der Wirbelsäule als auch im Magen-Darm-Trakt existieren.

Bei gleichzeitigem Auftreten von Gelenkbeschwerden und Beschwerden einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (beispielsweise Blut im Stuhl, Durchfall, unerklärlicher Gewichtsverlust) sollte daher abgeklärt werden, ob eine rheumatische Erkrankung vorliegt. Umso mehr gilt dies, wenn bereits Verwandte betroffen sind.

 

Rheumatischer Formenkreis und Osteoporose

Entzündungsbedingt kommt es gehäuft zu Osteoporose. Bei jedem Rheuma-Patienten sollte daher neben Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin auch die Knochendichte gemessen werden. Diese Empfehlung gilt insbesondere für Patienten ab 40 Jahren, die sich wenig bewegen, erhöhte Entzündungswerte oder chronische Gelenksentzündungen aufweisen und/oder Kortison einnehmen.

 

Rheuma und Psyche

Unbehandelte Schmerzen können sich zu einer nicht therapierbaren chronischen Schmerzkrankheit entwickeln. Darüber hinaus rauben Schmerzen Energie, wodurch auch das Abgleiten in eine Depression begünstigt wird. Es ist keinesfalls ein Zeichen persönlicher Schwäche, im Umgang mit der Erkrankung Unterstützung zu suchen, beispielsweise bei einer Selbsthilfegruppe. Wichtig: Nicht jede Depression erfordert eine psychiatrische bzw. medikamentöse Therapie. Äußerst effektiv wirken bereits regelmäßige Bewegung und Sozialkontakte.




Quelle:

» Rheuma – nicht nur die Gelenke sind betroffen «. OA Dr. Andrea Studnicka-Benke, Universitätsklinik für Innere Medizin III, mit Hämatologie, internistischer Onkologie, Hämostaseologie, Infektiologie, Rheumatologie und Onkologisches Zentrum. Salzburger Landeskliniken, Universitätsklinikum Salzburg zum Rheumatag, Oktober 2014

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