Donnerstag, April 25, 2024

Psychische Krankheiten – Mängel in den Versorgungsstrukturen

Psychische Krankheiten betreffen Großteil der Bevölkerung – Eklatante Mängel in den Versorgungsstrukturen, innovative Medikamente werden nicht bezahlt.

Nahezu jeder Dritte ist im Lauf seines Lebens von zumindest einer psychischen Krankheit betroffen, am häufigsten sind heute Angststörungen, gefolgt von Depressionen und Suchterkrankungen. Das berichten Psychiater auf einer Pressekonferenz anlässlich der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Bereits ein Viertel der gesamten Krankheitslast in Österreich wird von psychischen Erkrankungen verursacht, aber nur rund sechs Prozent der Gesundheitsausgaben werden für deren Behandlung aufgewendet. Die Frage Psychotherapie „oder“ Medikamente stellt sich nur selten. In den allermeisten Fällen gilt „sowohl als auch“. Studien zeigen, dass die Kombination mehr bringt, als jeder Ansatz für sich allein. Allerdings sind innovative Medikamente in Österreich zwar zugelassen, werden aber von den Kassen nicht erstattet. Psychiater beobachten, zum Beispiel im Zusammenhang mit Diskussionen und Berichten über politische Gewalt, einen aktuellen Trend zur Stigmatisierung psychischer Krankheiten, und befürchten durch diesen „Stigma-Turbo“ höheren Leidensdruck, massivere soziale Auswirkungen und Probleme bei der rechtzeitigen Therapie.

Die WHO geht davon aus, dass nahezu jeder Dritte im Lauf seines Lebens von zumindest einer psychischen Krankheit betroffen ist. Es kann aus übertragbaren deutschen Studien abgelesen werden, dass psychische Krankheiten einen Großteil der Bevölkerung betreffen. Am häufigsten verbreitet sind Angststörungen. Darunter fallen auch Phobien, von denen nur ein Teil wirkliche Schwierigkeiten im Alltag bereitet. Betrachtet man Häufigkeit und Leidensdruck gemeinsam, sind es Depressionen, die laut WHO-Berechnungen die größte „Burden of Disease“ bescheren. Bis 2030 werden bereits drei psychische Krankheiten unter den Top 5 liegen: Depression auf Platz 1, Alzheimer und andere Formen der Demenz auf Platz 3 und die Alkoholsucht auf Platz 5, führt die ÖGPP-Präsidentin aus.

Gleich hinter der Depression rangieren heute die Suchterkrankungen, unter denen die Alkoholabhängigkeit die verbreitetste ist. Prim. Radoš: „Oft hat sie ihren Ursprung in einem unzureichenden Selbstbehandlungsversuch von Depressionen oder Angststörungen. Das eröffnet einen Teufelskreis, indem der Alkoholkonsum die Depressionen weiter verstärkt, was viele mit noch mehr Alkohol zu bekämpfen versuchen.“

Eklatante Mängel in den österreichischen Versorgungsstrukturen

Es sei angesichts dieser Entwicklungen erstaunlich, dass die „eklatanten Mängel in den Versorgungsstrukturen“ von den Verantwortlichen einfach hingenommen und nur selten thematisiert werden, sagt Prim. Radoš: „Wenn bereits ein Viertel der gesamten Krankheitslast in Österreich von psychischen Erkrankungen verursacht wird, aber nur rund sechs Prozent der Gesundheitsausgaben für deren Behandlung aufgewendet werden, ist das aus psychiatrischer Sicht ein Alarmsignal.“

Tatsächlich mangelt es inzwischen in der Versorgung an allen Ecken und Enden: Österreich liegt mit 35 bis 55 Betten pro 100.000 Einwohner nicht nur im stationären Bereich weit hinter vergleichbaren Ländern, mit 15 Psychiatern pro 100.000 Einwohnern stehen bei uns auch deutlich weniger Fachärztinnen und Fachärzte zur Verfügung als im OECD-Durchschnitt. Prim. Radoš: „Folglich sind drei Monate Wartezeit für ein Erstgespräch keine Ausnahme, für einen kassenfinanzierten Psychotherapieplatz brauchen viele Betroffene noch viel mehr Geduld.“

Psychiater, Psychotherapeuten oder Psychologen? Wo Betroffene Hilfe finden.

Für die Betroffenen ist es oft gar nicht einfach herauszufinden, wo und bei wem sie adäquate Hilfe finden. „Die Antwort ist: Bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung ist die fachliche Expertise einer ausgebildeten Psychiaterin oder eines Psychiaters nötig“, so Prim. Radoš. „Für Krankheiten sind generell zunächst Ärztinnen und Ärzte zuständig, im Fall seelischer Erkrankungen sind das die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin.“ Neben der inzwischen obligaten Integration der Psychotherapie in die psychiatrische Ausbildung bringen auch die neuen Erkenntnisse der Neurobiologie zusätzliche Anforderungen mit sich. „Dazu kommt, dass unsere Patientinnen und Patienten immer älter werden und wir daher mehr über Komorbiditäten und Medikamenten-Interaktionen Bescheid wissen müssen“, sagt Prim. Radoš.

Psychotherapeuten ohne fachärztlichen Hintergrund seien hingegen auch für Menschen ohne psychische Erkrankungen zuständig. Ihre Angebote können bei Problemen mit der Familie oder in der Partnerschaft hilfreich sein oder Menschen weiterbringen, die ganz allgemein ihr persönliches Potential erweitern wollen. „Psychotherapie ist vor allem in Form störungsspezifischer Ansätze bei vielen psychiatrischen Erkrankungen wesentlicher Bestandteil einer fachkundigen Behandlung“, so Prim. Radoš. „In diesem Fall sollte die Therapie dann auch von den Krankenkassen erstattet werden.“

Klinische Psychologinnen und Psychologen wiederum können Potentiale und Defizite mit Testverfahren analysieren und helfen den Patientinnen und Patienten ihre Krankheit zu verstehen sowie Gefühle, Erleben und Verhalten einzuordnen und besser zu bewältigen.

Was hilft besser: Medikamente oder Psychotherapie? Neue Arzneien häufig nicht erstattet

Zunehmend wird auch diskutiert, wie Hilfe für psychisch Kranke aussehen soll. „Zugespitzt lautet die Frage oft: Helfen Medikamente oder Psychotherapie besser? Tatsache ist: Die Frage Psychotherapie oder Medikamente stellt sich nur selten. In den allermeisten Fällen gilt ‚sowohl als auch‘“, erklärt Prim. Radoš. „Studien zeigen, dass die Kombination mehr bringt, als jeder Ansatz für sich allein.“

Tatsächlich sind Wirksamkeit und Effektstärken der Psychopharmaka erwiesenermaßen den in der somatischen Medizin verwendeten Substanzen zumindest ebenbürtig, so Prim Radoš: „Umso bedauerlicher ist, dass eine Reihe innovativer Präparate zur Behandlung von Depressionen oder der Alkoholkrankheit, in Österreich zwar zugelassen wurden, von den Kassen aber nicht erstattet werden.“ Das Argument, dass es für all diese Anwendungen bereits wirksame Medikamente gäbe, würde so vermutlich bei somatischen Erkrankungen nicht akzeptiert werden, sagt die ÖGPP-Präsidentin: „Jeder, der sich auch nur ansatzweise mit der Materie beschäftigt hat, müsste wissen, dass es viele Patienten gibt, die auf die vorhandenen Präparate nicht oder nur unzureichend ansprechen oder unter Nebenwirkungen leiden. Viele von ihnen könnten von den neuen Medikamenten profitieren. Hier werden psychisch Kranken bewusst und ausschließlich aus dem Motiv des Einsparens Therapieoptionen vorenthalten.“

Quelle: www.oegpp.at/

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