Freitag, April 19, 2024

Nebenwirkungen nach Corona-Impfung durch starken Nocebo-Effekt

Für die Mehrzahl aller berichteten Nebenwirkungen nach der ersten Corona-Impfung könnte der Nocebo-Effekt verantwortlich sein.

Für rund drei Viertel aller berichteten Nebenwirkungen nach der ersten Corona-Impfung gegen Covid-19 könnte der sogenannte Nocebo-Effekt verantwortlich sein. Das ist das Ergebnis einer aktuellen internationalen Studie (Haas et al., 2022) mit mehr als 45.000 TeilnehmerInnen. Die Erkenntnisse könnten helfen, die Ängste gegenüber der Corona-Impfung abzubauen.

„Die Studie ist der Beleg, dass die Erwartung der frisch Geimpften, Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Müdigkeit zu spüren, zu einem starken Auftreten ebendieser Nebenwirkungen führt“, erklärt Ulrike Bingel, Professorin für Klinische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Essen und Sprecherin des Sonderforschungsbereichs 289 Treatment Expectation („Behandlungserwartung“).

Jedenfalls ist der Nocebo-Effekt (Lat.: „Ich werde schaden“) kein neues Phänomen. Sondern man konnte ihn vielfach in unterschiedlichen medizinischen Studien nachweisen. Denn das Wissen um mögliche Beschwerden, die auftreten können, führt dazu, dass wir genau diese Symptome auch bei uns wahrnehmen. Er ist sozusagen das negative Gegenstück zum Placebo-Effekt.

 

Nocebo-Effekt könnte die Angst vor Nebenwirkungen vor der Corona-Impfung zerstreuen

„Der Nocebo-Effekt ist im Zusammenhang mit Corona-Impfungen besonders unglücklich, weil er Ängste und Bedenken gegenüber der Impfung fördert“, betont Winfried Rief, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Marburg. Er war an der aktuellen Studie beteiligt und erforscht die Ursachen des Noceboeffekts im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 289. Seine Hoffnung: „Wenn wir diese Nocebo-Reaktionen nachweisen und erklären, hoffen wir, die Sorgen vieler rund um die Impfung zu zerstreuen. Denn gerade die Angst vor Nebenwirkungen wird häufig als Grund angegeben, die Impfung zu vermeiden.“

 

Amerikanische Studie unter deutscher Leitung

Die aktuelle Metastudie um die Psychologin Julia Haas, die nach der Promotion in Marburg zum Beth Israel Deaconess Medical Center der Harvard Medical School in Boston wechselte, analysierte zwölf große Corona-Impfstudien aus verschiedenen Ländern, darunter die USA, Australien, China, Brasilien, Südafrika, Großbritannien und Belgien. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse der Analyse im renommierten „JAMA Network Open“.

Unter dem Strich erhielten 22.578 StudienteilnehmerInnen eine Placebo-Impfung ohne eine wirksame Substanz. Zudem bekamen 22.802 Impfstoffe verschiedener Hersteller. Der Vergleich der Häufigkeiten von berichteten Nebenwirkungen kam zu einem verblüffenden Ergebnis. Denn nach der ersten Impfung berichteten 35,2 % der Placebo-TeilnehmerInnen vor allem über Kopfschmerzen und Müdigkeit. Hingegen waren es in der Impfgruppe 46,3 %. Daraus ergibt sich, dass statistisch auch in der Gruppe mit der Corona-Impfung 76 % der Nebenwirkungen auf dem Nocebo-Effekt beruhen.

 

Nach der zweiten Impfung wurde der Nocebo-Effekt allerdings schwächer.

Nur noch etwa die Hälfte der berichteten Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit sind mit dem negativen Erwartungseffekt zu erklären. Weil tatsächlich Geimpfte bereits bei der ersten Impfung etwas mehr Nebenwirkungen realisiert haben als die Kontrollgruppe. Deshalb haben sie auch bei der zweiten Impfung stärker die Erwartung, wieder Nebenwirkungen zu spüren. Zusätzlich ist zudem die Immunreaktion des Körpers bei der zweiten Impfung auch stärker. Professor Winfried Rief fordert deshalb eine spezifischere Aufklärung der Bevölkerung über den Nocebo-Effekt bei der Corona-Impfung, um die Ängste vor Nebenwirkungen abzubauen.


Literatur:

Haas JW, Bender FL, Ballou S, Kelley JM, Wilhelm M, Miller FG, Rief W, Kaptchuk TJ. Frequency of Adverse Events in the Placebo Arms of COVID-19 Vaccine Trials. A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Netw Open. 2022 Jan 4;5(1):e2143955. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.43955. PMID: 35040967.

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